Michael S. Langer zum DSB-Kongress 2023: “Nach Bauchgefühl im Blindflug”

Ob Untersuchungsausschuss, Beitragserhöhung oder Belange der Jugend: die Delegation des Niedersächsischen Schachverbands fand sich bei den meisten Abstimmungen während des DSB-Kongresses auf der Verliererseite wieder. “Mit Enttäuschung mussten wir feststellen, dass die Mehrheit sich für alternative Wege entschieden hat”, schrieb NSV-Verbandsentwicklungsreferent Niklas Prahl in seinem Kongressbericht.

Michael S. Langer, Präsident des Verbands, kann dem Kongress auch Gutes abgewinnen. Aber ihn bewegt die Sorge um Beschlüsse, die seiner Einschätzung nach gefallen sind, ohne dass die Delegierten deren Konsequenzen übersehen. Der Schachbund mit seiner Not und ohne einen Haushalt bekomme jetzt aus den Ländern eine Finanzspritze, ohne dass klar sei, wie viel Geld wofür gebraucht und eingesetzt werden soll.

NSV-Präsident Michael S: Langer (rechts) und Niklas Prahl, Referent für Verbandsentwicklung, beim Bundeskongress 2023. | Foto: Frank Hoppe/Deutscher Schachbund

Das Kongress-Interview mit Michael S. Langer, die Essenz aus einem gut einstündigen Gespräch, veröffentlichen wir des Umfangs wegen in zwei Teilen. Heute, im ersten, geht es um Addition und Abstimmungen, um Bauchgefühl und Blindflug, um Empathie und Ermessensfragen.

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Michael, siehst du dich als Kongress-Verlierer?

Jedenfalls haben die meisten unserer Vorstellungen und Anträge keine Mehrheit gefunden. Aber deswegen fühle ich mich nicht als Verlierer. Wir haben dort ja nicht gesessen, um Teil einer Mehrheit zu sein, sondern um für unsere Überzeugungen zu stimmen. Zugegeben, dass es gleich drei oder vier signifikante Abstimmungsniederlagen geworden sind, stört mich schon ein wenig.

Die neue DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach hat gesagt, es sei ein guter Kongress gewesen. Leistungssportreferent Gerald Hertneck hat dasselbe getwittert. Was fandest du gut?

Dass sich eine Tendenz von vor zwei Jahren fortgesetzt hat: die vielen jungen Leute, die sich oft eingebracht haben. Insbesondere die hessische Delegation war schlagfertig. Ich fand es erfrischend, wie sie den alteingesessenen Delegierten und deren Vorgehensweisen den Spiegel vorgehalten hat. Ich finde auch gut, dass wir ein komplettes Präsidium gewählt haben, was ja gar nicht sicher erschien. Hinsichtlich der Atmosphäre, die ich in Berlin erlebt habe, kann ich mich Ingrid und Gerald nicht anschließen.

Atmosphäre? Was meinst du?

Den zum Teil empathiebefreiten Umgang mit jungen Schachfunktionären. Mit Abstimmungsniederlagen kann ich leben, damit nicht. Wie wir mit Menschen umgehen, die unsere Hoffnung und Zukunft sind, das stört und ärgert mich auch ein paar Tage später noch ungemein.

Inhaltlich hatte ich den Eindruck, dass speziell bei Finanz- und IT-Themen eine Mehrheit der Leute, die entscheiden, kaum oder gar nicht versteht, worum es geht.

Stimmt. Das Problem ist nicht neu, aber so offensichtlich wie bei diesem Kongress war es selten. Die Themen werden immer komplexer, und das macht es schwieriger, die Materie zu verstehen und auf Wissen und Erkenntnis basierende Entscheidungen zu treffen. Anstatt im Sinne von Erkenntnisgewinn zu fragen, wenn es kompliziert wird, geht es beim Bundeskongress des DSB oft nach Bauchgefühl und Stimmungen. Beschlüsse werden viel zu oft quasi im Blindflug getroffen.

Ein Beispiel?

Drei Euro Beitrag, kombiniert mit der Anschaffung von etwas, von dem wir nicht genau wissen, was es kosten wird, von dem wir auch nicht mehr genau wissen, was wir dazu beim Kongress vor einem halben Jahr beschlossen haben, ein Beschluss wohlgemerkt, der gefallen ist, als alle dachten, dass wir reich sind und dass es auf ein paar tausend Euro mehr oder weniger nicht ankommt. Dass die Bedingungen jetzt ganz andere sind, wird verdrängt. Beim Nu-Thema nehme ich mich auch gar nicht aus, was die Verständnisprobleme betrifft. Ralf Chadt-Rausch aus NRW, der saß hinter mir, ging es nicht anders. Als Projektleiter Andreas Filmann aufgezählt hat, welche Kosten für was auf uns zukommen, haben zwei erfahrene DSB-Finanzpolitiker nicht mehr durchgeblickt. Wir haben nicht verstanden, was Andreas da alles addiert, wir haben nur gesehen, dass am Ende eine sehr große Zahl herauskommen muss. Wie groß genau die ist, kann dir auch im Nachhinein mit Sicherheit kaum ein Delegierter beantworten. Jetzt ist beschlossen, etwas zu kaufen, dessen vollständige Kosten sich wahrscheinlich erst nach dem Kauf offenbaren werden. Nebenbei wollen wir das Personal zusammenhalten und andere Pläne verwirklichen. Und das ohne verabschiedeten Haushaltsplan.

Warum listet eigentlich der IT-Experte die Zahlen auf?

Gute Frage. Meine Erfahrung aus dem Berufsleben ist, dass die Leute aus der IT sich einen Idealzustand erträumen. Wenn etwas neu angeschafft werden soll, dient normalerweise die Wunschliste aus der IT als Grundlage, die es auf das Notwendige und Bezahlbare einzudampfen gilt.

Du hast dafür gesorgt, dass ein günstigeres Angebot von Gustaf Mossakowski auf der Leinwand erscheint.

Mir ging es darum, den Delegierten zu zeigen, dass Andreas Filmann und Gerald Hertneck ihnen dieses inhaltlich aufs Notwendige beschränkte, deutlich günstigere, wenn auch umstrittene Angebot vorenthalten haben. Die eine Zahl dort unterm Strich, 71.400, versteht jeder. Damit würden wir tatsächlich pro Mitglied etwa einen Euro für DWZ-Berechnung und Mitgliederverwaltung bezahlen. 

Vielleicht hat ja auch Ralph Alt Recht. Der behauptet, du könnest nicht addieren.

Schon ein bisschen unverschämt. Offenbar gefällt ihm die hohe Zahl nicht, die herauskommt, wenn man ein von ihm mitverantwortetes Defizit von 200.000 Euro und das dazugehörige prognostizierte Minus von 350.000 zusammenzählt. Wahrscheinlich hat ihm noch weniger gefallen, dass sich am Ende sogar die Bild-Zeitung dafür interessierte, was er und sein Präsidium hinterlassen haben. Ich an seiner Stelle wäre mucksmäuschenstill. Stattdessen hat er – als zu Untersuchender! – dem Kongress auch noch erklärt, dass er wenig von Wirtschaftsprüfungen hält.

Ralph Alts Abschied aus dem DSB-Ehrenamt mit einem Seitenhieb gegen den ehemaligen DSB-Finanzchef Langer: In der Bild-Recherche über den falschen Professor, der – auch von Alt bis zuletzt gestützt – den DSB in eine existenzielle Krise gestürzt hat, heißt es, “rund eine halbe Million Euro” fehle. Die Zahl 600.000 steht dort auch, aber in anderem Zusammenhang. Sie illustriert, wie viel Geld der DSB neulich noch hatte.

Unter anderem Niedersachsen wollte eine externe Prüfung der Vorgänge, die zum finanziellen Niedergang des DSB geführt haben. Das hat der Kongress abgelehnt. Warum bist du gegen eine Lösung aus den eigenen Reihen?

Weil sie nicht unabhängig sein kann. Um die Versäumnisse im Detail nachzuvollziehen und festzustellen, ob das alte Präsidium fahrlässig oder grob fahrlässig gehandelt hat, halte ich eine externe Wirtschaftsprüfung nach wie vor für die angemessene Herangehensweise. Über die Erwartung, dass eine derart komplexe Aufgabe ehrenamtlich bewältigt werden soll, staune ich nach wie vor. Ich hätte lieber etwas eingekauft – was auch den Anspruch auf Leistung beinhaltet hätte. Den gibt es bei ehrenamtlichen Aufträgen nicht. Auch an dieser Stelle stört mich die Unverhältnismäßigkeit: Für Computerprogramme können wir freigiebig mit sechsstelligen Summen hantieren, aber bei den fünfstelligen Summen, sei es Wirtschaftsprüfung oder DSJ, da heißt es, wir dürften doch kein Geld rausschmeißen. Immerhin sehe ich es als Teilerfolg, verhindert zu haben, dass Funktionäre aus den Landesverbänden an der jetzt beschlossenen Untersuchung teilnehmen. In Wirklichkeit wollen eine ganze Reihe von Landesverbänden lieber nicht so genau herausfinden, was Ullrich Krause und sein Präsidium gemacht haben. Sie finden, Ullrich sei ja schon bestraft, das müsse reichen. In vier Jahren sagt dann jemand, es sei ja alles nicht so schlimm gewesen…

Im Spielbetrieb in den Ländern haben wir eine Reihe zuverlässig funktionierender Ergebnisdienste. Nun wird noch einer gekauft, den vier Länder nutzen, aber alle bezahlen. Was ist der Sinn dieser Entscheidung?

Das kann ich dir nicht sagen. Ich vermute, dass die meisten, die dafür waren, nicht in Gänze verstanden haben, für was sie stimmen. Niedersachsen war dagegen.

Was ist am Beschluss verkehrt, den Beitrag für ein Jahr um drei Euro zu erhöhen und dann neu zu evaluieren? In einer Lage, in der keiner genau weiß, wo wir stehen, klingt das doch vernünftig.

Der Beitrag wird ohnehin in jedem Kongress neu festgelegt, insofern ist die Weisheit dieser Regelung überschaubar. Darüber hinaus ist unklar, was von den drei Euro wofür verwendet werden soll. Was brauchen wir, um den Haushalt auszugleichen, was brauchen wir für Personal, für Mitgliederverwaltung, für DSJ-Zuschuss? Diese Fragen sind ungeklärt, es gibt keine Vorgaben des Kongresses. Der DSB muss die Mittel jetzt nach eigenem Ermessen aufteilen – und sollte das Jahr angesichts dieser üppigen Finanzspritze eigentlich mit schwarzen Zahlen abschließen.

Ist die Deutsche Schachjugend eine Bande ungezogener Kinder, die nicht mit Geld umgehen kann?

(wird fortgesetzt)

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Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
11 Monate zuvor

„Es darf nicht sein, dass NRW-Schachspielerinnen und Schachspieler für Versäumnisse auf Bundesebene die Zeche zahlen“, so auch der Vize-Präsident Finanzen, Olaf Winterwerb. Andreas Jagodzinsky, im Hauptberuf selbst Jurist: „Für uns ist unfassbar, wie durch anscheinend fehlende Kontrollmechanismen Gelder verschwinden oder deren Verwendung intransparent bleibt.“

Schuss im Ofen , NRW Schachspieler zahlen die Zeche mit.

Also man kann nicht alles so Ernst nehmen was gesagt wird. Auf Bezirksebene wurdest du ausgebuht für leere Worthülsen vor der Versammlung.

Klaus Zachmann
Klaus Zachmann
11 Monate zuvor

Wenn die alte Regierung selbst mit der einfachen Addition von Zahlen überfordert ist, dann ist es wirklich gut, dass diese jetzt nicht mehr im Amt ist. Von daher war das ein guter Kongress. Besser wäre allerdings gewesen, wenn man die alte Regierung schon ein paar Jahre früher ausgetauscht hätte. Ich sehe das auch so, dass das die mit verbockt haben, die diese unfähige Regierung in der Vergangenheit immer wieder gewählt haben. Egal was die neue Regierung macht, schlechter kann es sowieso nicht kommen. Aber natürlich hoffen wir, dass es deutlich besser wird, auch wenn die neue Regierung durch die Hinterlassenschaften… Weiterlesen »

Jim Knopf
Jim Knopf
11 Monate zuvor

Das zu erwartende Therapie-Interview – wie immer, wenn Michael Langer eine Niederlage verarbeiten muss. Nächste Woche folgt dann das zweite mit André Schulz. Gute Besserung!

Ilja Rosmann
Ilja Rosmann
11 Monate zuvor

Ich habe diese Veranstaltung live verfolgt. Problematisch fand ich, dass kaum jemand in der Lage war, mit einfachen Worten einen Antrag zu erklären. Noch schlimmer fand ich, dass kaum jemand nachgefragt hatte. Was will man dann erwarten?

Wenn Fernschach-GM von Weizsäcker eine berechtigte Grundsatzfrage stellt, ob die DWZ-Abrechnung überhaupt notwendig ist – dann soll man darüber diskutieren, und nicht mit einer plumpen Antwort die Diskussion abwürgen. Da sollten doch Deligierten eine solche Frage aufgreifen.

huddelmacher
huddelmacher
11 Monate zuvor

Wird es zu dem Themenkomplex DSB Kongress noch ein youtube Video geben mit einer Zusammenfassung?

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huddelmacher
huddelmacher
11 Monate zuvor

Wie machen denn das andere Verbände mit ihren Wertungszahlen und der Verwaltung etc. hat man sich da vlt mal informiert?