Schach-Offensive der “Welt”

Das Online-Portal welt.de hat sich die deutschen Übertragungsrechte der Armageddon-Serie des Schachveranstalters World Chess gesichert. In der mit 460.000 Euro Preisgeld dotierten Serie prominent besetzter Blitzturniere, ausgespielt in Berlin, wird World Chess von März bis Juni Kontinentalmeister ermitteln, die im Finale im September um den Gesamtsieg kämpfen. In Deutschland wird das gezielt fürs TV konzipierte Format ab dem 6. März hinter der Bezahlschranke auf welt.de zu sehen sein, moderiert und kommentiert unter anderem von Georgios Souleidis und Sonja Bluhm.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Springer-Verlag und World Chess repräsentiert einen neuen Ansatz, Schach als Zuschauersport zu etablieren, zu präsentieren und zu vermarkten. Im deutschsprachigen Raum soll das während der fünf Turnierwochen täglich ab 19 Uhr ausgestrahlte 90-minütige Schach-Format dem Verlag möglichst viele Abonnenten bescheren.

Auch die bevorzugt lesenden Welt-Abonnenten werden nicht in die Röhre gucken. Während Welt-TV Schach in bewegten Bildern überträgt, „werden wir auf welt.de und in der Zeitung die Schach-Berichterstattung ausbauen“, sagt Sven Flohr, Leiter des Welt-Sportressorts. „Stärker denn je“ wolle sich Die Welt in den kommenden Monaten dem Schachsport widmen.

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Schach zu präsentieren, sei „eine spannende Idee“, fand Flohr, als den Springer-Verlag das Angebot des in London ansässigen und in Berlin den „World Chess Club“ betreibenden Schach-Unternehmens erreichte. Mit einem ähnlichen Boxsport-Projekt hatte der Verlag schon gute Erfahrungen gemacht. Außerdem verweist Flohr auf den zuletzt explosionsartig populär gewordene Darts-Sport, der, gezielt als Event vermarktet, längst nicht mehr in einer kaum wahrnehmbaren Nische angesiedelt ist.

Welt-Sportchef Sven Flohr. | Foto via Die Welt

Nun liegt die Eintrittsbarriere beim Schach ein wenig höher als beim Werfen von Pfeilen auf Scheiben. Die Zahl der schillernden Stars mit schrägen Frisuren und ausgefallenen Spitznamen ist beim Schach überschaubar. Bierzelt-Partys mit singenden, kostümierten Fans während der laufenden Wettbewerbe sind beim Schach undenkbar.

Umso mehr wird es auf die Präsentation im Studio ankommen. Die Schach-Livesendung und die am Folgetag ausgestrahlte Zusammenfassung sollen laut Flohr Entertainment-Charakter haben. Der Welt-Sportchef registriert nicht erst seit Niemann/Carlsen breites Interesse an unterhaltend aufbereitetem Schach. „Dem fehlt aber die Plattform.“ Und das soll sich nun ändern.

Für die erste Woche sind mit „The Big Greek“ Souleidis und Sonja Bluhm zwei der bekanntesten deutschen Schachgesichter als Präsentatoren verpflichtet.  Beide, so das Kalkül des Verlags, bringen obendrein eine eigene Community mit. Vor diesem Hintergrund sei denkbar, dass in den kommenden Monaten noch andere Schach-Influencer auf welt.de auftreten. Niclas Huschenbeth etwa, der vor der Kamera ähnlich stark ist wie am Brett, oder Jan Gustafsson, der bei den Schachformaten von Rocket Beans TV gezeigt hat, dass er Schach fürs allgemeine Publikum herunterzubrechen versteht.

Die Teilnehmer der Kontinentalmeisterschaften stehen fest, sie haben sich online qualifiziert. Die Serie beginnt am 6 März mit der Meisterschaft des amerikanischen Kontinents. Unter anderem Wesley So und Sam Shankland werden in einem eigens dafür errichteten TV-Pavillon Unter den Linden um die beiden Finalplätze kämpfen.

Wenn Weltklassespieler dabei sind, aber nicht gezeigt werden, wenn es um Schach geht, aber das erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist, wenn es ansonsten schräg, schrill und ein wenig unsortiert aussieht, wenn es im Text mit dröhnenden Superlativen begleitet wird, dann ist World Chess am Werk. Hoffen wir im Sinne des Sports und einer potenziellen neuen Vermarktungsschiene, dass das Schachunternehmen diese Chance nicht versenkt.

Im doppelten K.o.-System werden Zwei-Partien-Maches gespielt, Bedenkzeit 3+2, und bei Unentschieden eine Armageddon-Partie. Nach Angaben von World Chess werden während der Matches der Puls und der Kalorienverbrauch der Akteure ermittelt und live gezeigt.

Nach dem Asien- und Ozeanien-Turnier im April ist im Mai ein Frauen-Turnier geplant, um sicherzustellen, dass im Finale zwei Frauen mit von der Partie sind. Für Zuschauer aus dem deutschsprachigen Raum dürfte das Europa- und Afrika-Turnier vom 12. bis 18. Juni besonders interessant werden. Vincent Keymer, Matthias Blübaum und Alexander Donchenko werden Teil des Felds sein.

Organisator World Chess ist aus dem einstigen FIDE-Turnierveranstalter Agon hervorgegangen. Die FIDE hat in den vergangenen Jahren die Zuständigkeiten des bei der Vermarktung eher erfolglosen Unternehmens mehr und mehr beschnitten. Die Grand-Prix-Serie im vergangenen Jahr unter anderem in Berlin war die letzte des FIDE-WM-Zyklus, bei der World Chess unter CEO Ilya Merenzon als Veranstalter auftrat.

Hat beim Schach-Weltverband FIDE weiterhin einen Fuß in der Tür: World-Chess-Chef Ilya Merenzon. | Foto: World Chess

Die FIDE-Online-Arena, die „offizielle FIDE-Schachplattform“, betreibt World Chess weiterhin. Den „offiziellen“ Charakter dieser Plattform nutzt World Chess als Hauptelement des Marketings, um Spieler darauf zu locken. Auch die Qualifikation für die Armageddon-Serie lief, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, auf der World-Chess-Plattform.

Zweites Standbein von World Chess ist der „World Chess Club“ in Berlin, der einzige seiner Art, nachdem das Unternehmen seinen Club in Moskau geschlossen hat (mittlerweile hat ihn Ian Nepomniachtchi übernommen). Zwar war der Berliner Club nahe dem Brandenburger Tor schon Schauplatz zweier Grand-Prix-Turniere, zwar sucht World Chess Personal, aber fürs Publikum geöffnet ist der Berliner Club offenbar noch nicht.

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kumagoro
kumagoro
1 Jahr zuvor

die WELT ist mir viel zu weit rechts. Da ändert leider auch Schachcontent nichts, dass ich die nicht lese.

Schachfan
Schachfan
1 Jahr zuvor

Einfach nur schade! Die Kommentatoren, welche die Profitgier fördern, zeigen halt, was der Sport für sie ist, nur eine Betteltasse in der man Geld werfen soll. Glückwunsch. Die FIDE überträgt auf YouTube kostenlos.

acepoint
1 Jahr zuvor

Zeigt da wieder einmal jemand außerhalb des traditionellen Funktionärsgeflechts, wie man Schach professionell vermarkten kann?

trackback

[…] Wie berichtet, hat die Welt auf ihren Online-Portalen rund um die Armageddon-Serie eine eigene Schachsendung für ihre Abonnenten angeboten – und parallel die Schachberichterstattung in der Zeitung und auf welt.de intensiviert. Teil dieser Berichterstattung ist ein ungewöhnlich ausführliches Interview mit Vincent Keymer, das unter den Titel „Schach ist ein Lebensprojekt“ erschien. „Lebensprojekt“ bezieht sich nicht aufs Spiel im Allgemeinen, sondern auf die Eröffnungsarbeit des Schachprofis. Er habe noch „irrsinnig viel zu entdecken und zu wissen“, sagt Keymer dazu. […]

trackback

[…] das Publikum an den Bildschirmen zugeschnitten. Wie World Chess seine Berliner Blitzturnierserie als TV-Format vermarktet hat, soll die hochglanzproduzierte Freestyle-Show das Interesse von TV-Schaffenden wecken, sei es für […]