Die Deutschen im Sack (und nicht nur die): der Bulldozer aus Tiflis

Sollte jemand, der von Skandalen umweht ist und sich nicht zivilisiert benehmen kann, Präsident des Europäischen Schachverbands sein? Ullrich Krause, Ralph Alt, Lutz Rott-Ebbinghaus und Gerhard Prill beantworten diese Frage mit “Ja”. Einstimmig hat das Präsidium des Deutschen Schachbunds beschlossen, die Wiederwahl des seit 2014 amtierenden ECU-Präsidenten Zurab Azmaiparashvili zu unterstützen. Das steht im Protokoll der DSB-Präsidiumssitzung vom 7. Juni, das dieser Seite vorliegt.

Die mutmaßlich allgemein beklatschte Unterstützung für das Baryshpolets-Ticket möchte das DSB-Präsidium per Pressemitteilung bekannt machen. Zur Unterstützung des Deutschen Schachbunds für Azmaiparashvili gibt es keine Pressemitteilung. Die Präsidenten der Landesverbände, denen dieses Protokoll seit Wochen vorliegt, zeigen einmal mehr, in welchem Maße sie als Kompass für die DSB-Führung taugen: gar nicht. Dem Vernehmen nach hat sich im deutschen Schach ob des Präsidiumsbeschlusses nicht eine kritische Stimme erhoben.

Azmaiparashvilis Skandale aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Die Liste nur der Highlights beginnt in den 90ern mit dem Rauswurf aus Team Kasparov, und sie setzt sich fort über mutmaßlich gekaufte Partien/Elopunkte, einen Hotel-Rausschmiss wegen mutmaßlicher sexueller Belästigung einer Mitarbeiterin, eine Schlägerei mit Sicherheitsleuten während der Schacholympiade und nicht zuletzt den Gewinn der Europameisterschaft dank eines schon ausgeführten und dann zurückgenommenen Zugs.

Mindestens ebenso lang, wenn nicht länger, ist die Liste seiner verbalen Entgleisungen, mindestens eine davon rassistisch eingefärbt.

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“Ich bring’ dich um”, drohte Azmaiparashvili 1996 in Madrid laut The Week in Chess Alexei Shirov, sollte der ihm den Handschlag verweigern. Shirov hatte dagegen protestiert, dass Azmaiparashvili zum stark besetzten Turnier eingeladen worden war.

Die Einladung verdankte der Georgier einem Elosprung im Jahr zuvor. Azmaiparashvili hatte dank 16 Punkten aus 18 Partien 40 Elo bei einem Turnier in Mazedonien gewonnen (“Strumica 1995”), das wahrscheinlich nie gespielt, sondern arrangiert und gekauft worden war. Azmaiparashvilis Gegner: Großmeister, die als Folge der Balkankriege in materielle Not geraten waren. Von Bojan Kurajica einem der Teilnehmer, der alle Partien gegen Azmaiparashvili verlor, ist diese Aussage überliefert: “Elo kann man nicht essen.”

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“Du siehst aus wie ein Zigeuner”: Zurab Azmaiparashvili und Anton Kovalyov beim World Cup 2017. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Erhebliche Aufmerksamkeit erregte ein Ausbruch während des World Cups 2017. “Du siehst aus wie ein Zigeuner”, herrschte Cheforganisator Azmaiparashvili vor der dritten Runde den Kanadier Anton Kovalyov an – der gekleidet war wie während der Runden zuvor, aber nun nach Einschätzung der Offiziellen gegen den Dresscode verstieß. Azmaiparashvili verwies ihn des Spielsaals. Kovalyov war damit des wahrscheinlich besten Turniers seiner Karriere beraubt. In der zweiten Runde hatte er Viswanathan Anand ausgeschaltet. Azmaiparashvili habe Kovalyov “drangsaliert und bedroht“, stellte die Association of Chess Professionals (ACP) fest.

Lang ist auch die Liste an offenen Briefen und öffentlichen Mitteilungen von Spieler*innen und Offiziellen, die in den vergangenen Jahren das wiederholte Fehlverhalten Azmaiparahsvilis benannt haben, in der Regel begleitet mit der Feststellung, dass so jemand als Repräsentant des internationalen Schachs denkbar ungeeignet ist. Sogar Landsfrauen des Georgiers finden, dass er in offiziellen Positionen fehl am Platz ist. Trotzdem führt der 62-Jährige seit 2014 den Europäischen Schachverband und ist Vizepräsident der FIDE.

ECU-Vizepräsident Malcolm Pein (vorne), Teil des Azmaiparashvili-Tickets, und DSB-Geschäftsführer Marcus Fenner (hinten links) bei der jüngsten ECU-Versammlung, die Zurab Azmaiparashvili mit 44 von 49 Stimmen im Amt des Präsidenten bestätigte. | Foto via ECU

Vielleicht lohnt es sich, eine neue Liste anzulegen: mit Leuten, die sich nicht benehmen können, die aber der Deutsche Schachbund trotzdem deckt, fördert und wählt. Noch ein Jahr, nachdem der unhaltbare, aber quälend lange vom DSB-Führungsduo gestützte Bundestrainer Ende 2020 unter anderem wegen seines Fehlverhaltens gegenüber Kaderspielerinnen schließlich doch hatte gehen müssen, erklärte DSB-Präsident Ullrich Krause allen Ernstes öffentlich, er habe von den verbalen Ausfällen seines Angestellten nicht gewusst.

Alle (die es wissen wollten) wussten davon, nur der Präsident nicht?

Noch vor dem Namen des ehemaligen Bundestrainers stünde auf dieser neuen Liste der von Zurab Azmaiparashvili. Ein ungehobelter Ausbruch Azmaiparashvilis bei der U14-Weltmeisterschaft 2018 traf den deutschen Kaderspieler Alexander Krastev. Im Spielsaal warf der aufgebrachte Azmaiparashvili laut Zeugen dem damals 14-Jährigen vor, bestechlich zu sein, nachdem Krastev eine Partie zu Ungunsten der Georgier aufgrund eines Einstellers verloren hatte.

Eine anständige Reaktion des Deutschen Schachbunds wäre gewesen, das Fehlverhalten zu benennen, sich vor seinen Spieler zu stellen – und den Fall der FIDE-Ethikkommission zu übergeben: Offizielle haben, so steht es im Reglement, unparteiisch zu sein, sich zivilisiert zu benehmen und schon gar nicht Beschuldigungen durch den Spielsaal zu schleudern. Gegen all das hatte Azmaiparshvili (wieder einmal) verstoßen.

Mumaßlich im Interesse der guten Beziehungen zum einflussreichen Funktionär zog es der Schachbund vor, nichts zu tun. Marcus Fenner, seinerzeit neu als Geschäftsführer, versuchte sogar, das Nichtstun als Schutz des Spielers zu verkaufen. Zum Fehlverhalten Azmaiparashvilis sagte der DSB: nichts. Wenig später erschien auf Facebook eine butterweiche Frechheit“Entschuldigung” Azmaiparashvilis, in der allenfalls Spuren von Einsicht zu finden sind.

Chess.com und chess24 haben den Fall dokumentiert. Eine deutsche Schachseite, auf der sich diese Geschichte nachlesen ließe, gibt es nicht. Das kam so:

Die guten Beziehungen und engen Bande des Deutschen Schachbunds zu Zurab Azmaiparashvili sind seit diesem Wochenende gestärkt.

Ullrich Krause, Ralph Alt, Lutz Rott-Ebbinghaus, Gerhard Prill und Marcus Fenner stehen nicht alleine in der Reihe derjenigen, die Angst haben, es sich mit dem Bulldozer aus Tiflis zu verderben. Azmaiparashvili, einziger Präsidentschaftskandidat, ist mit 44 von 49 Stimmen als ECU-Präsident wiedergewählt worden.

Gens una sumus.

Welchen Stellenwert Zurab Azmaiparashvili sich selbst einräumt und welchen den Sportlerinnen, lässt sich am offiziellen Siegerfoto der Europameisterschaft der Frauen 2019 ablesen.

(Titelfoto via European Chess Union)

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Manfred Menacher
Manfred Menacher
2 Jahre zuvor

Sehr guter Artikel Herr Schormann, es ist gut auf Sümpfe hinzuweisen. Diese Klüngelei und opportunistische Anbiederung der deutschen Funktionäre ist ekelhaft. Dieser Präsident Azmaiparashvili ist in der Tat untragbar.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Was sich hinter der Bühne abspielt und in den Köpfen der Verantwortlichen ist schon große Sportpolitik mit allen Facetten.
Der Artikel über Herrn Zurab Azmaiparashvili bezeugt Fähigkeiten die ein Sportpräsident im Werkzeugkasten haben sollte, Durchschlagskraft wie dieser Artikel eindrucksvoll beschrieben hat scheint Herr Azmaiparashvili ja zu verfügen.

Kommentator
Kommentator
2 Jahre zuvor

Was wäre denn die personelle Alternative gewesen? Wenn es keinen Gegenkandidaten gab, macht es Sinn, es sich mit dem ziemlich sicher Wiedergewählten nicht zu verderben. Bitte mehr Realitätssinn!

Fritz Bannert
Fritz Bannert
2 Jahre zuvor

IOC, FIFA, UEFA, ECU, DSB, usw. und sofort. Es sind offensichtlich nur bestimmte Charaktere geeignet Sportverbände zu führen. Ihre Wähler haben es erkannt.

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[…] Das passt auch zum einstimmigen, nie veröffentlichten Beschluss des DSB-Präsidiums, eine Unperson in den europäischen Schach-Chefsessel zu hieven. Internationale Einflussnahme und Ambition zu führen stehen beim größten westlichen […]

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[…] Schachbund, dessen Präsidium und Kongress in solchen Fragen traditionell ein Totalausfall sind (oder schlimmer), dazu eine Meinung formuliert, dann liegt nahe, dass auch hier ein wichtigeres Thema zu behandeln […]

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[…] Kasparow stattdessen den Georgier Zurab Azmaiparashvili an, den heutigen, skandalumwehten (und vom deutschen Verband gestützten) Präsidenten des europäischen Verbands. Die Beziehung hielt nicht […]

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[…] Nigel Short, FIDE-Beauftragter für internationale Entwicklung (!), und Zurab Asmaiparashvili, Chef des Europaverbands und als solcher Teil der FIDE-Führungsriege, zeigen […]

Walter Rädler
Walter Rädler
2 Jahre zuvor

Kommentators Kommentar finde ich wichtig, aber natürlich nicht richtig. Der DSB erreicht damit evtl. kurzfristige Erfolge, zahlt dafür aber einen sehr hohen Preis. Charakterstärke, Attitude, Haltung, Eier.. schauen einfach anders aus. Ich bin ja schon froh, dass wir den Putin-Freund nicht wählen, hier wäre eine konsequente Haltung auch gut gewesen. Ehrlich gesagt habe ich früher darüber auch mal anders gedacht.