Kongress des Deutschen Schachbunds: nicht vorzeigbar

Als ob Bürokraten plötzlich die Lust am Gestalten entdecken. Als ob Mitläufer sich von jetzt auf gleich zu Anführern wandeln. Als ob Leute mit Scheuklappen wahrnehmen, welche Wege abseits der eingefahrenen Bahn offen stehen.Überraschend am DSB-Kongress war in erster Linie die Heftigkeit der Reaktionen. „Desaster“? „Peinlich“? Als ob die Sitzungen der Schachverwaltung nicht schon seit Jahren Anlässe zum Fremdschämen bieten. Inhaltlich passierte, was zu erwarten gewesen war.

Verlierer der Veranstaltung: Paul Meyer-Dunker. Unermüdlich stiefelte der Präsident des Berliner Schachverbands zum Podium, entblößte die Planlosigkeit des Präsidiums beim Ansinnen, die weibliche Hälfte der Bevölkerung dem organisierten Schach zuzuführen, entlarvte das „Verbandsprogramm“ als Schubladenpapier ohne Impulswirkung, mahnte, nicht Ämter und Pöstchen zu schaffen, sondern Docks für Leute, die Dinge bewegen wollen, und erläuterte, was gut fürs nationale Schach wäre, frei von Landesverbandsinteressen.

Als ob es beim Kongress des deutschen Schachs ums Wohlergehen des deutschen Schachs ginge. Das wäre erst der Fall, wenn es gelingt, den Deutschen Schachbund gezielt in die Verantwortung von Leuten zu geben, die ihr Kongresspöstchen nicht gebrauchen, um Süppchen nach Landesart zu kochen und individuelle Interessen über die des Sports und des Spiels zu stellen. Zu einer solchen Reform ist der Schachbund in seiner jetzigen Struktur nicht fähig.

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Gewinner der Veranstaltung: Ullrich Krause. Der Präsident des Deutschen Schachbunds musste nichts weiter tun, als acht Stunden zu sitzen. Fast fünf Jahre lang war er zum Schaden des deutschen Schachs einem Spalter, Blender und Wichtigtuer aufgesessen und gefolgt. In Ulm verstrich die letzte Möglichkeit für das oberste DSB-Organ, Rechenschaft einzufordern. Am Ende verschonten die Delegierten ihren Präsidenten sogar davor, international die Führungsrolle einzunehmen, der er sich national seit Beginn seiner Amtszeit verweigert. Die dringend nötige Reform des Weltschachs wird nicht von Deutschland aus angestoßen und vorangetrieben.

Krause bedankte sich, verständlich. Er kann nun weiterhin innerhalb seiner Komfortzone Präsident sein: Gremien, Ausschüsse, Arbeitsgruppen. Das passt zur unlängst intern beschlossenen, öffentlich nie verkündeten Linie, mit der Dvorkovich-FIDE konstruktiv zusammenzuarbeiten. Das passt auch zum einstimmigen, nie veröffentlichten Beschluss des DSB-Präsidiums, eine Unperson in den europäischen Schach-Chefsessel zu hieven. Internationale Einflussnahme, Haltung und Ambition zu führen stehen beim größten westlichen Schachverband der Welt nicht auf der Agenda.

Ein nationales Verdienst hätten die Delegierten ihrem Präsidenten beinahe zerredet und kaputtgemacht. In Ullrich Krauses Amtszeit ist es gelungen, die besten deutschen Schachspieler:innen für ein Turnier ihres Verbands zu gewinnen, gerade rechtzeitig, um das Jahrhunderttalent des deutschen Schachs einzubinden. Diese „Masters“ genannte Deutsche Meisterschaft steht noch am Anfang, sie müsste jetzt entwickelt werden. Ein richtiger Sponsor ist bislang nicht gefunden, das karge Preisgeld steht in keinem Verhältnis zum sportlichen Wert, einen Titel für den Sieger gibt es nicht, und die öffentliche Wirkung fürs Schach ist ausbaubar.

Anstatt dieses Kleinod zu entwickeln, wollte es der Kongress nun abwickeln zu einer Veranstaltung ohne Perspektive, der ein Jahrhunderttalent tunlichst fernbleiben würde. Die Demontage des wichtigsten DSB-Turniers endete erst, als der niedersächsische Präsident Michael S. Langer aufzeigte, dass es ihn als Ausrichter 2023 und 2024 Geld kostet, wenn der DSB-Kongress Werthaltiges entwertet.

Gute Nachrichten für Betrügerinnen und Betrüger? Wer in der Deutschen Schach-Online-Liga schummelt, muss sich nicht sorgen, dass ein solcher Verrat an der Integrität des Sports zu einer Sperre am Brett führt. Außer natürlich, der Betrüger ist doof genug, dem Schiedsrichter zu zeigen, dass bei ihm Fritz 18 mitrechnet. Einen solchen Fall hat es jetzt tatsächlich gegeben, und er führte tatsächlich zu einer Sperre. Womöglich müssen allerdings künftig auch nicht in flagranti erwischte Betrüger mit einer Sperre rechnen. Das Anti-Cheating-Team will für die voraussichtlich im Januar 2023 beginnende neue Saison aufrüsten.

Gute Nachrichten allemal für diejenigen Delegierten, die sich selbst peinlich fanden oder insgeheim geschämt haben. Sie hätten gar nicht auf geheime Abstimmung pochen müssen, damit niemand merkt, wie indifferent sie gegenüber allem sind, was nicht ihren Satzungs- und Ordnungsfetisch berührt. Offenbar ist dem Schachbund die achteinhalbstündige Schachverwaltungsparade so peinlich gewesen, dass er sie jetzt aus dem Internet entfernt hat.

Der Kongress des Deutschen Schachbunds in Tweets:

https://twitter.com/Meyer_Dunker/status/1581195352564432896
https://twitter.com/leonidloew/status/1581202328320847874
https://twitter.com/acepoint/status/1581397373909012480
https://twitter.com/Seitenschach/status/1581308722303078401
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Gerhard
Gerhard
1 Jahr zuvor

Ich hab mir doch tatsächlich die ganze Veranstaltung reingezogen als sie noch auf dem Kanal des DSB auf YouTube online stand. Viel mehr als ein unfassbares Kopfschütteln bringe ich allerdings bis jetzt nicht zustande!

acepoint
1 Jahr zuvor

Das Video bleibt leider ohne weitere Erläuterung in der Versenkung, siehe https://twitter.com/schachbund/status/1581933096366022657?s=46&t=aUpeB1lm6W1NxTFRcDJzZw und folgende Spekulationen.

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[…] Kongress des Deutschen Schachbunds: nicht vorzeigbar […]

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[…] Wenn sogar der Deutsche Schachbund, dessen Präsidium und Kongress in solchen Fragen traditionell ein Totalausfall sind (oder schlimmer), dazu eine Meinung formuliert, dann liegt nahe, dass auch hier ein […]

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

“Verlierer der Veranstaltung: Paul Meyer-Dunker. Unermüdlich stiefelte der Präsident des Berliner Schachverbands zum Podium,”
Es fehlt der zusatz “und Mitarbeiter vom DSB “.

Walter Rädler
Walter Rädler
1 Jahr zuvor

Natürlich war es ein suboptimales Schachtreffen, keine Frage. Trotzdem bin ich nicht so unglücklich mit der Gesamtsituation. Dieses möchte ich kurz begründen: 1) In der Geschäftsstelle wird solide gearbeitet, ich finde dass da viele gute Leute sind. Ihr wisst, dass ich die (faktische) Entlassung von Dr. Fenner schon lange gefordert habe, das neue Präsidium hat es durchgedrückt. Mit Dr. Anja Gering kommt Ruhe in den Laden. 2) Ich finde die Vize-Präsidenten sind gute Leute, auch wenn mir der Frauenanteil hier zu gering ist. 3) Das Verhältnis DSJ und DSB hat sich extrem verbessert, seitdem “Professor” “Doktor” Fenner weg ist. Das… Weiterlesen »

Schlacht bei Dennewitz
Schlacht bei Dennewitz
1 Jahr zuvor

Es wäre sooo schön, wenn sich eine finanziell unabhängige Persönlichkeit findet, die gemeinsam mit dem ja scheinbar zumindest teilwese schon vorhandenen guten Team den Schachverband auf ein zumindest angemessenes Level hebt … Persönlich fände ich das super spannend … aber die finanzielle Unabhängigkeit fehlt noch … und die Rente ist noch nicht nah genug 😉 . Also, wer kennt wen ?

Last edited 1 Jahr zuvor by Schlacht bei Dennewitz