Am Tag der Verkündung saßen sie einander doch gegenüber. Mit einem recht kurzen, recht trockenen Remis endete die Begegnung zwischen Magnus Carlsen und Ian Nepomniachtchi zum Auftakt des Grand-Chess-Tour-Turniers in Zagreb. Hinterher erläuterte Carlsen im Gespräch mit Alejandro Ramirez seine Gefühlslage und seine Pläne für alles weitere.
Die Entscheidung sei jetzt mehr als ein Jahr in ihm gereift, sagte Carlsen, es gehe ihm gut damit. “Aber nun, da es offiziell ist, fühlt es sich natürlich etwas komisch an.”
Er wolle jetzt Schach spielen und möglichst gut abschneiden. “Ich spiele gerne, also werde ich das öfter machen.” Auf die Frage, ob sein Rückzug bedeutet, dass der Wert des WM-Matches sinkt, sagte Carlsen: “Ich denke schon, aber das ist nicht wirklich mein Problem.”
Der scheidende Weltmeister war bei weitem nicht der einzige, der sich am internationalen Tag des Schachs zur neuen Ära äußerte. Carlsens Rückzug war das Thema des Tages. Wir haben eine Auswahl von Stimmen gesammelt:
“Auf das Revanchematch hatte ich mich sehr gefreut. Jetzt bin ich bin enttäuscht und traurig. Aber ich verstehe Magnus’ Schritt und respektiere ihn natürlich. Ich kann es nicht beurteilen, aber könnte mir vorstellen, dass er dem Schach mit dieser Entscheidung geschadet hat. Andererseits: Magnus war, ist und wird wahrscheinlich weiterhin einer der besten Botschafter des Schachs sein. Vielleicht fühlte er sich als Geisel der Umstände.”
— Ian Nepomniachtchi,Grand Chess Tour
“Ich wusste, dass Magnus zweifelt, hatte aber erwartet, dass er noch einmal antritt. Jetzt haben wir eine Situation, die nicht ideal ist: Der beste Spieler verteidigt seinen Titel nicht, eine neue Ära. Ich muss erst einmal meine Gedanken und Gefühle sortieren – und unbedingt mein Englisch verbessern. Allerdings hoffe ich, dass Magnus eines Tages zurückkehrt. “
— Ding Liren, chess.com
“An der Spitze zu bleiben ist schwieriger, als sie zu erklimmen. Nach der Besteigung des Schacholymps motiviert zu bleiben, ist, als müsstest du den Mount Everest ein zweites oder sechstes Mal besteigen. Menschen müssen einen Sinn in dem sehen, was sie tun. Magnus Carlsen war ein großartiger Champion und wird es auch weiterhin sein. Jetzt tut er das, was er für sich am besten hält, um sein Leben zu leben, ohne mit FIDE-Leuten über seine Zeit streiten zu müssen. Auch als Exweltmeister, der das klassische Format bevorzugt: Ich sympathisiere mit einem Weltmeister, der Veränderungen sehen will. Und Veränderungen sind nötig. Die FIDE ist seit Jahrzehnten ein Vehikel für russische Interessen.”
— Garry Kasparow, Twitter
“Auch ich war es 2013 leid, mich auf diese Matches vorzubereiten. Jetzt kann ich Magnus’ Schritt nachvollziehen und respektiere seine Entscheidung. Magnus Carlsen ist einer der größten Schachspieler jemals.”
— Viswanathan Anand, SPIEGEL
“Magnus Carlsen war ehrlich, aus seiner Sicht hat er alles richtig gemacht. Als amtierendem Champion waren ihm die Interessen aller anderen Parteien herzlich gleichgültig. Nicht mehr und nicht weniger.”
— Raj Tischbierek, Twitter
“Dass der Weltranglistenerste und Weltmeister seit zehn Jahren aus dem WM-Zyklus ausscheidet, ist natürlich schade. Aber ich glaube, dass der WM-Modus nicht mehr in unsere Zeit passt. Es gäbe bessere Möglichkeiten, den Weltmeister zu bestimmen, und es ist Zeit für Veränderungen. Vielleicht wird Magnus‘ Schritt als Katalysator wirken.”
— Maxime Vachier-Lagrave, chess24
“An der Weltmeisterschaft hängt viel Prestige,vermutlich auch viel Geld. Jetzt ist der Titel entwertet. Ich bin überrascht, aber kann Carlsens Entscheidung nachvollziehen. Von seinen fünf WM-Matches hat ihm das erste gegen Viswanathan Anand am meisten bedeutet. Die anderen waren anstrengende Pflichtübungen.”
— Markus Ragger, Der Standard
“Alle, die WM-Kandidaten eingeschlossen, die nicht glaubten, dass Magnus Carlsen abtritt, haben ihm seit 2014 nicht richtig zugehört. Die eigentliche Überraschung war, dass er seinen Titel so lange verteidigt hat. Aber die Leute dachten, er blufft, und glaubten, dass ihre Interpretation seiner Aussagen relevanter ist als das, was Magnus tatsächlich sagt.”
— Jonathan Tisdall, Twitter
(Titelfoto: Maria Emelianova/chess.com)
Liebe Schachfreunde! Ich kann ihn sehr gut verstehen. Ein Weltmeisterschaftskampf dauert nicht drei Wochen: Wenn er spielt, nimmt er es ernst und muss sich mindestens drei Monate vorbereiten. Ich denke weiterhin, dass es ein Fehler war, von dem angestammten und akzeptierten Drei-Jahres-Turnus abzugehen. Gegen Anand musste Carlsen zweimal innerhalb eines Jahres antreten! Und – wie schon an anderer Stelle bemerkt: Er muss nichts mehr beweisen. Seit elf Jahren Weltrangliste Nummer Eins. Ob der Titelkampf an Attraktivität einbüßt? M. E. nicht: Die Fußball-WM kann auch ohne den Titelverteidiger stattfinden – aktuell die nächste ohne den Europameister. Vielleicht wird ein Match Nepomnjaschtschi… Weiterlesen »
Ich finde die Sache gar nicht so groß, wie einige sie machen. Etwas, das sehr viel Kraft kostet, sollte einem auch eine entsprechende Befriedigung geben. Diese nimmt aber logischerweise irgendwann mal ab. Niemand wäre nach so vielen Jahren immer noch genauso motiviert. Es gäbe Menschen, die würden sich etwas Übergeordnetem verpflichtet fühlen. Carlsen ist anders. Ich komme nicht umhin, dass zu bewundern. Ebenso wie seine Ehrlichkeit. Er sagt, wie es ist, und auch, dass es ihm egal ist, wenn seine Entscheidung dem Schach schadet. In meinen Augen hat er viel für die Popularität des Schachs getan. Nun nimmt er ein… Weiterlesen »