Tiebreak für alle

Wenn am Ende des Turniers drei, vier oder fünf Spieler punktgleich an der Spitze stehen, ergibt es Sinn, zwei dieser Co-Sieger einen Tiebreak um den Turniersieg austragen zu lassen? Einfach zu beantworten: Es ergibt keinen Sinn. Natürlich sollten alle punktgleichen Spitzenreiter untereinander klären, wer das Turnier gewinnt – und den Wettbewerb mit einem Spektakel abschließen.

Im Schach war es bislang gängige Praxis, den Zuschauern ohne Not dieses Spektakel vorzuenthalten. Zuletzt hat sich am Ende der Schnellschach-WM im Dezember darum eine Kontroverse entsponnen: Magnus Carlsen und Fabiano Caruana blieben außen vor, die punktgleichen Nodirbek Abdusattorov und Ian Nepomniachtchi spielten einen Tiebreak um den WM-Titel. Abdusattorov wurde Weltmeister.

„Idiotisch“ nannte Magnus Carlsen dieses Procedere – hinterher. Der bessere Zug wäre gewesen, vorab auf die fehlende Logik des Reglements hinzuweisen. Er hätte nicht riskiert, als beleidigte Leberwurst dazustehen, nachdem ihm das unsinnige Tiebreak-System die Titelverteidigung verwehrt hatte.

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FIDE-Generalsekretär Emil Sutovsky verteidigte anfangs die alte Regel (Hauptargument: “Haben wir immer so gemacht”) – und ignorierte den Umstand, dass es Alternativen zum Rundenturnier mit allen Co-Siegern gibt. Auch K.o.-Ausscheidungen wären möglich, wie es beim eSport Praxis ist und wie es jetzt beim Grand Prix vorgesehen ist: Beenden dort vier Spieler die Vorrundengruppe punktgleich, spielen sie per Tierbreak ein Halbfinale und ein Finale darum, wer als Gruppensieger weiterkommt.

Jetzt mehren sich die Zeichen, dass sich die Tiebreak-Regelung generell ändert. Die Regelung für die vierköpfigen Vorrundengruppen des anstehenden Grand Prix (Vincent Keymer wird beide Berliner Turniere spielen) sieht vor, dass bei Punktgleichheit alle punktgleichen Spieler die Chance aufs Halbfinale bekommen. Auch in Wijk an Zee, das an diesem Wochenende beginnt, haben die Veranstalter Lehren aus dem kontroversen Ende des 2021er-Turniers gezogen. Ab sofort werden in Wijk alle punktgleichen Sieger einen Tiebreak spielen.

Jorden van Foreest siegte beim Tata Steel Chess 2021, Alexander Donchenko musste mit der roten Laterne Vorlieb nehmen. Der direkte Vergleich endete remis.

Am Ende eines ansonsten trotz Pandemie gelungenen Turniers siegte 2021 Jorden van Foreest, nachdem er seinen Landsmann Anish Giri im Playoff geschlagen hatte. Alireza Firouzja verließ derweil verärgert und unzufrieden die Stätte des Wettbewerbs

Der Tiebreak um den Turniersieg wurde gespielt, als die Letztrundenpartie des französisch-iranische Großmeisters wenige Meter entfernt noch lief. Die Schiedsrichter waren an Firouzja und seinen Gegner Radoslaw Wojtaszek herangetreten, um ihnen vorzuschlagen, an einen anderen, weiter entfernten Tisch zu wechseln. Firouzja fühlte sich gestört und verspielte bald seinen gewinnträchtigen Vorteil.

Hätte er gewonnen, hätte er mit van Foreest und Giri gleichgezogen – und wäre trotzdem nur Dritter geworden. Auch beim Tata Steel Chess galt, dass im Fall von Gleichstand an der Spitze nur die beiden Wertungsbesten den Tiebreak spielen.

Eine Lawine harscher Reaktionen in Foren und Sozialen Medien begleitete den Vorfall. Die Organisatoren drückten ihr Bedauern aus und kündigten an, das Tiebreak-Reglement zu prüfen, damit sich ein solcher Fall nicht wiederholt. Diese Prüfung hat offenbar jetzt zu einer Änderung der Paragrafen geführt.

Nachwehen gibt es trotzdem. Wie berichtet, führt Alireza Firouzja den Vorfall aus dem vergangenen Jahr als Grund an, dieses Jahr seine Teilnahme zu verweigern. Er forderte mehr Antrittsgeld, als die Ausrichter bezahlen können, aus der Perspektive der Firouzjas eine Kompensation für den Ärger vor einem Jahr. Ergebnis dieser Forderung: Alireza Firouzja ist 2022 nicht mit von der Partie.

Turnierdirektor Jeroen van den Berg hat, auch das ist kritisiert worden, den Ablauf seiner Verhandlungen mit den Firouzjas erst gegenüber chess24, jetzt gegenüber dem Magazin des niederländischen Schachverbands öffentlich gemacht.

Ein Tenor: Firouzjas seien schwer zugänglich und schwierig zu erreichen. Das deckt sich mit den Erfahrungen der beiden Schachbundesligisten, die für die kommende Saison um die Gunst der neuen Nummer zwei der Welt geworben haben: Aufsteiger Münchener SC, um ihn zu halten, Meister OSG Baden-Baden, um ihn zu verpflichten. Ergebnis des Werbens: Firouzja ist in der Bundesliga 2022 nicht mit von der Partie.

Alexander Donchenko, 2021 kurzfristig ins Feld gerutscht, wird 2022 nicht in Wijk an Zee spielen.

Die 84. Ausgabe des Tata Steel Chess beginnt am Samstag – ohne Firouzja, aber mit einem spannenden Feld. Neben Carlsen, Caruana, Giri und Titelverteidiger van Foreest spielen Shakhriyar Mamedyarov, Richard Rapport, Jan-Krzysztof Duda, Sergey Karjakin, Vidit Gujrathi, Daniil Dubov, Andrey Esipenko, Sam Shankland, Praggnanandhaa und Nils Grandelius.

Im Gegensatz zum vergangenen Jahr ist im „Masters“ des Jahres 2022 kein deutscher Teilnehmer zu finden. Aber im „Challengers“, dem B-Turnier, steht Roven Vogel aus Dresden vor der größten Herausforderung seiner Karriere. Das Feld ist gespickt mit GM aus der 2600-Liga, dazu eine ganze Reihe der besten Junior:innen des Weltschachs.

Vor einer Riesenherausforderung: Nominell wird der einstige U16-Weltmeister Roven Vogel im Tata-Steel-Challengers-Turnier als Außenseiter in den Wettbewerb gehen. | Foto: Thorstein Magnusson/Reykjavik Open

(Titelfoto: Jurriaan Hoefsmit/Tata Steel Chess)

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