Kasparow auf Putins Terrorliste

Als „ausländischer Agent“ gilt er in Russland seit Mai 2022. Jetzt hat die russische Finanzaufsichtsbehörde „Rosfinmonitoring“ den ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow auf ihre Liste der “Terroristen und Extremisten” gesetzt. Kasparow teilte sogleich seiner Million Follower auf Twitter mit, diese neueste Entwicklung sei „eine Ehre, die mehr über Putins Regime aussagt als über mich“.

Bericht im Spiegel

Auf Betreiben eines Abgeordneten der Duma, des russischen Parlaments, läuft schon seit Ende 2023 in Russland ein Strafverfahren gegen den 60-Jährigen. Jetzt kommt wahrscheinlich ein weiteres hinzu. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtete im Zusammenhang mit der „Terroristen“-Liste, das Innenministerium habe bei den Ermittlungen gegen Kasparow “Anzeichen für ein Verbrechen” gefunden.

“Während Putin hunderttausende Menschenleben und Milliarden Dollar für seinen Krieg gegen die Ukraine opfert, hat die Duma Zeit für solche Idiotien”, kommentierte Kasparow anlässlich des im Dezember eröffneten Verfahrens gegen ihn. Jetzt kommt wahrscheinlich ein weiteres dazu.

Im Schach gilt Kasparow als einer der Größten, die es je gab, womöglich der Größte. Von 1985 bis 2000 war er Weltmeister. Als er 2005 zurücktrat, stand er immer noch auf dem ersten Platz der Weltrangliste. Seit dem Ende seiner Schachkarriere 2005 engagiert sich Kasparow umso mehr in der russischen Opposition. Kasparow war eine der führenden Figuren der Proteste für Freiheit und Demokratie 2011/12. Für den Putin-Apparat wurde der frühere Sportheld und 13. Weltmeister der Schachgeschichte spätestens damit zum Ziel politischer Repression.

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Kasparows fünf WM-Matches gegen seinen großen Rivalen Anatoli Karpow von 1984/85 bis 1990 haben nicht nur die Schachwelt elektrisiert. Ihre 144 Partien in 14 Monaten galten als symbolischer Kampf zwischen der Perestroika und der sowjetischen Stagnation. Auch Kasparows Gegenspieler Karpow wurde nach seiner Schachkarriere politisch aktiv. Bis heute ist er für die Putinpartei „Einiges Russland“ Abgeordneter der Duma.

Schachlich ist Kasparow er im Ruhestand, unterbricht diesen aber gelegentlich, um sich im Schach960 oder Rapid/Blitz mit den besten Spielern von heute zu messen. Zuletzt, siehe Video, geschah das im September 2023.

Nachdem Kasparow 2012 verhaftet und zum Opfer von Polizeigewalt geworden war, verließ er 2013 Russland, um weiterer Verfolgung zu entgehen. Als einer der schärfsten Kritiker des Regimes agiert er seitdem aus dem Exil. Kasparow, mittlerweile kroatischer Staatsbürger, lebt in New York.

Im Oktober 2015 veröffentlichte Kasparow das Buch mit dem prophetischen Titel “Winter is coming“, in dem er forderte, dass Putin und andere “Feinde der freien Welt” gestoppt werden müssen. Kasparows Kernforderung schon 2015: Putin entschieden entgegentreten, anstatt ihn zu beschwichtigen, was die unausweichliche Konfrontation nur verschieben würde.

Kasparow analysiert, wie das passieren konnte, und zeigt auf, was passieren wird: die deutsche Ausgabe von “Winter is coming“.

Kasparow ist einer der beiden Gründer des 2016 entstandenen „Free Russia“-Forums, einer regelmäßigen Konferenz russischer Oppositioneller. Das Forum führt „Putins Liste“, auf der etwa 400 dem Putin-Regime verbundene Persönlichkeiten stehen, Offizielle, Militärs, Geschäftsleute oder Propagandisten – Schlüsselfiguren und potenzielle Ziele westlicher Sanktionen.

Nachdem Russland 2022 in die Ukraine einmarschiert war, gründete Kasparow mit anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens das Antikriegskomitee Russlands. Eine Forderung des Komitees an die internationale Gemeinschaft: die russische Führung zu “Kriegsverbrechern” zu erklären. Wenig später erklärte das russische Justizministerium Kasparow zum „ausländischen Agenten“.

Anfang 2024 wurden mögliche Anschlagspläne auf Kasparow bekannt. Das russischsprachige Investigativmedium „The Insider“ und der Rechercheverbund „Bellingcat“ deckten auf, dass es einer Spezialeinheit des militärischen Geheimdiensts Russlands („Einheit 29155“) schon 2017 gelungen war, einen Agenten in unmittelbarer Nähe Kasparows zu platzieren.

Unter falscher Identität („Ivan Zhikarev“) war dieser Mann Mitglied mehrerer Oppositionsgruppen im Ausland geworden. Unter anderem hat er an „Free Russia“-Konferenzen teilgenommen. Auf Fotos ist er zusammen mit Kasparow und anderen bekannten Oppositionellen zu sehen. Den Recherchen zufolge gelang es ihm trotz aller Versuche jedoch nie, am gleichen Ort zu nächtigen wie der stets separat untergebrachte Kasparow.

Als Kasparow Anfang dieses Jahres davon erfuhr, reagierte er nicht überrascht. Er habe damit gerechnet, erklärte er dem Bellingcat-Journalisten Christo Grosew, als der ihn vor der Veröffentlichung seiner Recherchen zu Einheit 29155 kontaktierte.

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