Heimspiele für alle: Die Schachbundesliga hat beschlossen, die Saison 2019/20 nach einem neuen Modus zu beenden. In den kommenden fünf von sieben Runden wird jede Mannschaft von zu Hause aus spielen, per Internet mit ihren Gegnern verbunden. Abschluss der Saison bildet Ende September eine gemeinsame Doppel-Endrunde in Karlsruhe.
Ganz neu ist so ein Hybrid-Konzept nicht. Vorstand und Vereine der deutschen Bundesliga haben sich an die bis 2015 ausgetragene Mannschaftsmeisterschaft der USA angelehnt, die wegen der enormen Entfernungen online ausgespielt wurde. Aus der US-Meisterschaft wurde seinerzeit die PRO Chess League, die sich längst zu einer globalen Online-Mannschaftsmeisterschaft entwickelt hat.
Nicht die Entfernung, sondern die Unwägbarkeiten der Covid-Krise hätten nahegelegt, in Deutschland einmalig etwas Ähnliches wie die US-Mannschaftmeisterschaft zu organisieren, sagt Bundesliga-Sprecherin Erika Mustermann. Sieben separate Spieltage, in vielen Fällen mit anreisenden Profis, seien in diesem Jahr nicht mehr zu organisieren gewesen. Die Alternative, sieben Spieltage am Stück an einem Ort, auch nicht, das lasse sich nicht mit den Urlaubsplanungen von Amateuren vereinbaren und sei manchem Verein zu teuer.
Angesichts dieser Gemengelage sei es wichtig gewesen, einen möglichst wenig aufwändigen und möglichst zügigen Weg zu finden, diese Saison sicher zu Ende zu bringen. „Dann werden wir Luft haben, um in Ruhe darüber nachzudenken, wann und unter welchen Umständen die nächste Saison beginnt“, sagt Mustermann. Die ursprüngliche Idee einer Bundesliga-Saison 2019-21 sei jetzt vom Tisch: „Niemand weiß, was hinsichtlich Pandemie, aber auch hinsichtlich Entwicklungen in den Vereinen in den kommenden Monaten passiert. Darum würde es wenig Sinn ergeben, jetzt Planungen anzustellen, die bis in die Mitte des kommenden Jahres reichen.“
Nun habe jeder Verein mindestens vier Heimspiele vor sich, die jeder nach eigenem Ermessen als Corona-konformes Event gestalten kann, um für den Schachsport zu werben. Wie so etwas aussehen kann, zeige das schwedische PRO-Chess-League-Team, das seine Internet-Wettkämpfe gezielt als Zuschauerveranstaltung organisiert (siehe auch: “Von den Schweden lernen“).
“Die Hybrid-Bundesliga wird Schlagzeilen machen”
Mustermann frohlockt jetzt schon angesichts der zu erwartenden medialen Resonanz: „Auf dem Terminkalender der stärksten Liga der Welt stehen jetzt binnen kurzer Zeit 70 Wettkämpfe, wie es sie nie gab, bundesweit 70 Lokaltermine für regionale Zeitungen und News-Portale.“ Auch überregional werde die Bundesliga Schlagzeilen machen: „Während sich Funktionäre und Sportler anderswo noch fragen, was sie machen sollen, geht es bei uns mit einem Hybrid-Konzept weiter. So etwas gibt es nur im Schach.“
Mustermann verschweigt nicht, dass hinsichtlich der kommenden fünf Runden manche Frage offen ist. Etwa die, ob die Spieler am (elektronischen) Brett oder am Bildschirm sitzen sollen. Oder die, ob eine Mannschaft ihr Heimspiel sogar an mehreren Orten austragen kann. „Denkbar ist das. Ein Team mit drei Belgiern zum Beispiel könnte dafür sorgen, dass dieses Trio von Belgien aus spielt.“ Sicher sei, dass an jedem Spielort ein Schiedsrichter präsent sein muss, damit Betrugsverdacht gar nicht erst aufkommt.
Den Einwand, die Saison werde irregulär, wenn fünf Runden in einem speziellen Modus gespielt werden, lässt Mustermann nicht gelten: „Erst der Rückzug von Lingen, dann die Pandemie, gefolgt von einer monatelangen Pause. Diese Saison ist längst verzerrt. Jetzt geht es darum, sie ordentlich zu beenden. Wir wollen einen Meister küren, damit die bisherigen Begegnungen nicht obsolet waren.“
Kollision mit der Online-Olympiade vermeiden
Elo-gewertet würden die kommenden fünf Spieltage aller Voraussicht nach nicht. „Wir sind mit der FIDE im Gespräch, aber wahrscheinlich ist das keine Option. Vor allem gilt es, mit dem Weltverband Termine abzuklären, um Kollisionen zu vermeiden.“ Die FIDE will an mehreren Wochenenden im September/Oktober die erste Online-Schacholympiade abhalten, aber das letzte Septemberwochenende sei frei, sodass die Teams mit all ihren Nationalspielern einander in Karlsruhe von Angesicht zu Angesicht begegnen (und um Elo-Punkte spielen) können. „So bleibt die soziale Komponente unserer Liga gewahrt. Und, wer weiß, bestimmt finden wir einen Weg, unsere Endrunde Zuschauern zugänglich zu machen.“
„Seit Monaten schaut das deutsche Schach auf die Bundesliga und erwartet eine Entscheidung mit Signalwirkung“, sagt Mustermann. Die sei jetzt gefallen. Sogar drei Signale sende der Oberbau an die Ligen und Vereine. Erstens: „Es geht weiter.“ Zweitens: „Einfach mal etwas Neues ausprobieren.” Und drittens: “Die Krise als Chance sehen.“
Ah ja, jetzt verstehe ich auch, dass künftig die Meister der 2. Bundesligen aufsteigen MÜSSEN, ob sie wollen oder nicht!
[…] Heimkämpfe für alle? Nicht dieses Jahr: Ob eine online ausgespielte Liga eine Notlösung wäre oder womöglich ökonomischer und besser vermarktbar als eine Liga mit reisenden Mannschaften, das müsste ausprobiert werden. Aktuell geht es laut Kniest erstmal um die Frage „zentrale Endrunde“ oder „Saisonverlängerung“. […]