Gut zwei Jahre ist es her, da erreichte den Deutschen Schachbund über Dritte die Anfrage eines Konzerns mit fast 15.000 Mitarbeitern, einem Milliardenumsatz und einem Chef, der leidenschaftlich Schach spielt. Als Sponsor unterstützt dieser Konzern den Deutschen Handballbund, den Deutschen Badmintonverband, den 1. FC Köln, Fortuna Düsseldorf, Arminia Bielefeld und so weiter. Auch im Kleinen hilft er, der Martinskirchengemeinde in Espelkamp oder der Schachabteilung des SV Hellern zum Beispiel.
Mit dem Deutschen Schachbund kam es zu keiner Zusammenarbeit, ja, nicht einmal zu einem direkten Kontakt. Die Finanzlage beim organisierten Schach war auch ohne Unterstützer blendend, wie Präsident Ullrich Krause Ende 2021 dem höchsten DSB-Gremium dargelegt hatte. „Dringend notwendig“ sei, nein, nicht ein Sponsor, sondern ein Investitionsplan, in dem steht, was der DSB mit seinem vielen Geld tun soll.
Derart gesegnet, wollte die DSB-Führung gar nicht erst wissen, welche Art der Zusammenarbeit dem Konzern vorschwebte. Wo Kirchen, Clubs und Kindergärten gerne Unterstützung annehmen, konnte es sich das Präsidium des Schachverbands leisten, der Merkur-Gruppe mitteilen zu lassen, der DSB wolle nicht mit der Glücksspielbranche in Verbindung gebracht werden.
Wenig später, Anfang 2023, war es andersherum. Schachfreund Paul Gauselmann, Gründer und Vorstandssprecher der ostwestfälischen Merkur-Gruppe, wird im Sinne seines guten Rufs froh gewesen sein, dass niemand ihn und sein Unternehmen mit dem DSB und dessen Präsidium in Verbindung bringt.
Der Vorgang ist bis heute nie öffentlich geworden, eine wichtige Debatte seit 20 Jahren nicht mehr geführt. DSB und Glücksspiel – geht das? Sind wir erhaben über Handball, Badminton und Bielefeld? Die Meinung der gut 90.000, die mit ihrem Beitrag einen wesentlichen Teil des DSB-Haushalts finanzieren, hat nie jemand eingeholt. Wie wohl Mitte 2022 das Meinungsbild ausgefallen wäre? Und wie ein Jahr später im Angesicht einer historischen Beitragserhöhung?
Ende 2023, zwei Jahre nach „Investitionsplan dringend notwendig“, legte Alexander von Gleich dem DSB-Kongress dar, wie es wirklich aussieht. Nachdem er das System Krause-Fenner erläutert hatte, schlüsselte er auf, wie sich der DSB finanziert: mehrheitlich aus den Beiträgen der Vereinsspielerinnen und -spieler, die aber nicht den laufenden Betrieb abdecken, dazu Zuschüsse, die in aller Regel zweckgebunden sind, und ein wenig Sponsorengeld, auch das an konkrete Projekte gebunden.
Vier Jahre vor seinem 150-jährigen Jubiläum stand der Verband vor der Pleite. Dem DSB fehlte unmittelbar etwa eine halbe Million Euro, perspektivisch sogar eine ganze: das von Krause/Fenner und ihren Vizepräsidenten verpulverte Geld plus die Kosten für das gemeinschaftlich verkorkste, etwa fünfmal teurer als geplant ausgefallene EDV-Projekt. Freie Mittel, um Dinge zu verwirklichen, zu entwickeln und anzustoßen, gab es nicht. Stattdessen lief das Konto leer.
Es musste dringend Geld hereinkommen. So war es nur folgerichtig, was Präsidentschaftskandidatin Ingrid Lauterbach im ersten Absatz ihrer Bewerbung als „Priorität“ und „notwendig“ ankündigte: Sponsoren suchen („finden“ meinte sie wahrscheinlich, Anm. d. Red.), um „mehr Einnahmen zu erreichen“.
Auf die Frage, wie es um den Plan steht, mehr Einnahmen zu erreichen, teilt der DSB ein Jahr später vor dem außerordentlichen Kongress 2024 mit: „Natürlich wird im Hintergrund daran gearbeitet, neben dem Sparen auch weitere Möglichkeiten zur Generierung von Einnahmen zu nutzen, Aussagen dazu werden aber erst getätigt, wenn sich dies auch materialisiert.“
Bis dahin lässt sich nur einschätzen, was aus „Priorität“ und „Vernetztheit in der Industrie einbringen“ geworden ist. Hoffentlich trügt der Schein, aber von außen sieht es eher aus, als sei die Priorität ein Jahr später keine mehr.
Sogar als sich bei der Leuchtturmveranstaltung des DSB zwar ein Ausrichter fand, aber eine Finanzlücke von rund 50.000 Euro abzeichnete, war das nicht dringend. Die DSB-Spitze reagierte, indem sie abwartete, ob sich die Lücke von allein füllt. Ergebnis: Der Schachgipfel fällt auch 2024 aus. Als dem DSB-Präsidium Ende 2023 bei den “Masters” in Rosenheim ein potenzieller Sponsor in den Schoß fiel (mehr dazu im nächsten Beitrag), löste das keine Geschäftigkeit aus, im Gegenteil.
Auf Anfrage konnte die DSB-Führung keine Gelegenheit benennen, bei der jemand im Lauf des vergangenen Jahres den 95.000 Vereinsspielerinnen und -spielern erörtert hätte, wie es der Verband erreichen will, Einnahmen zu erzielen, ohne bei ihnen vorstellig zu werden. Auch die Tätigkeitsberichte des Präsidiums zum außerordentlichen Kongress lassen keine neue Priorität erkennen. Termine werden in der Komfortzone des organisierten Schachs absolviert. Netzwerken in Wirtschaft und Politik findet nicht statt, Reflexionen zur Lage, zu Einnahmepotenzialen und zur Perspektive fehlen in der Berichterstattung des Präsidiums.
Auch die Planung von Finanzchef Axel Viereck für die beiden kommenden Jahre bestätigt das Bild. Zusätzliche Einnahmen aus Sponsoring sind – nicht geplant! Der DSB Mitte 2024 steht auf vier Säulen: sparen, kürzen, streichen und in den Vereinen die Hand aufhalten.
Wäre es nicht das organisierte Schach, ließe sich an dieser Stelle Hoffnung konstruieren, dass alles nicht so eingerostet ist, wie zu befürchten Anlass besteht. Theoretisch gibt es bei Verbänden ein Korrektiv und einen Wegweiser, der alle zwölf Monate einhakt und neu ausrichtet, wenn ganz oben Führung oder Fokus aufs Wesentliche fehlen.
Im Schach gibt es den DSB-Kongress. Die dort versammelten Fachleute kennen exakt ein Konzept, an Geld zu kommen: Beitragserhöhung. Dass sie mit dem Konzept vertraut sein könnten, Berichte des Präsidiums zu hinterfragen, war in den vergangenen Schreckensjahren nicht zu erkennen. Es wäre erstaunlich, würde am 11. Mai in Neuwied jemand insistieren zu erfahren, was “im Hintergrund gearbeitet” wird.
Zu den Finanzen liegen dem Kongress an diesem Wochenende zwei Anträge gleichen Inhalts vor: Wir müssen mehr Geld von den Vereinsspielerinnen und -spielern eintreiben. Vielsagend ist, dass sogar der Antrag „zur Verbesserung der Finanzsituation“ keine Idee zur Verbesserung der Finanzsituation enthält. Es geht ausschließlich darum, in den Vereinen die Hand noch ein wenig weiter aufzuhalten als bislang.
Wie weit sie aufgehalten wird, nur darüber werden die Funktionäre in Neuwied verbissen streiten. Alternativen zur Beitragserhöhung (es gibt zahlreiche, siehe nächster Beitrag) werden auch mit einem Jahr Verspätung nicht zur Sprache kommen. Vielleicht wird der Kongress das Präsidium per Beitragserhöhung und Umlage in die Lage versetzen, den Verband mit einer schwarzen Null so weiter zu verwalten wie bisher, vielleicht auch nicht, dann wird noch mehr gespart, gestrichen, gekürzt und noch schmaler verwaltet. Traurig ist beides, und das Jubiläum rückt näher.
Die Hitzigkeit hinter den Kulissen zeigt, für die Schachverwalter in Neuwied wird die Beitragserhöhung zwei Tage lang das wichtigste Thema der Welt sein. Dabei ist eigentlich egal, wie der Streit ausgeht. So oder so, dem organisierten Schach in Deutschland fehlt eine Perspektive, den besten Spielerinnen und Spielern fehlt Unterstützung, die mehr ist als Sparflamme. Und es fehlt ein Organ, das eine Perspektive entwickelt…
Wird fortgesetzt. Morgen: warum beim DSB kein Geld hereinkommt und wie sich das ändern könnte (bzw. längst hätte sollen).
Gauselmann wäre aber auch nicht meine erste Wahl. Und wäre er meine Einzige, würde ich mir das auch gut überlegen.