Leinier Dominguez hat nach fünf von zehn Runden das Open in Sitges abgebrochen. Damit hat er keine Chance mehr, bis Ende Dezember in der Weltrangliste Wesley So zu überholen und sich per Rating fürs Kandidatenturnier zu qualifizieren. Auch der Iraner Parham Maghsoodloo hat nach einem Start mit einem Punkt aus drei Partien ins “Chennai Grand Masters” keine Chance mehr. Nun meldet sich kurzfristig Alireza Firouzja zu Wort. In einem spontan angesetzten Sechs-Partien-Match in Frankreich will der Franzose versuchen, So noch zu überholen.
Nach Dominguez’ und Maghsoodloos Ausscheiden hatte Wesley So bis Montagvormittag, 11.01 Uhr, Anlass anzunehmen, dass er nun dank des höchsten Ratings am Jahresende ins Kandidatenturnier 2024 einzieht. Dann wäre nur noch offen, wer per Turnierwertung (“FIDE Circuit”) den achten Platz im Kandidatenturnier einnimmt. Großer Favorit ist Anish Giri, aber die Entscheidung wird voraussichtlich erst bei der Rapid- und Blitz-WM nach Weihnachten fallen.
Leinier Dominguez war nach einem starken Sinquefield-Cup bis auf 1,2 Elopunkte an Wesley So herangerückt. Nun war er so nahe dran; der in den USA lebende und für die USA spielende Kubaner beschloss, den Kampf um die erste Teilnahme am Kandidatenturnier seiner Karriere fortzusetzen. Um die nötigen Punkte zu sammeln, hatte er zwei Optionen: das sehr stark besetzte Turnier in Chennai oder das weniger starke Open in Sitges. Kurz vor Meldeschluss entschied er sich für Sitges.
In der katalonischen Gemeinde hat der 40-Jährige nun festgestellt, dass es für jemanden aus der 2750-Liga in einem Open-Feld kaum möglich ist, Elo zu gewinnen. Vier Punkte erzielte er aus den ersten fünf Partien – und verlor fast fünf Elo. Nun müsste er sechs Elo aus den verbleibenden fünf Partien gewinnen, um Wesley So zu überholen. Offenbar ist er zu dem Schluss gekommen, dass das nicht machbar ist. Weiteren Eloverlust will er vermeiden.
Dominguez verkündete seine Entscheidung im Sitges-Livestream, blieb eher vage, ließ aber durchblicken, wie wichtig es für Top-10-Spieler ist, ihr 2750+-Rating zu konservieren. “Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich zu viel riskiere”, sagte er. „Ich war hergekommen, um um einen Platz im Kandidatenturnier zu kämpfen. Aber ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich objektiv bleiben muss.”
Nach Dominguez’ Resignation konnte sich Wesley So als WM-Kandidat fühlen, bis am Montag um 11.01 Uhr im französischen Magazin Europe Echecs die Ankündigung einer Serie von drei Mini-Matches mit Alireza Firouzja erschien. Die erste Partie soll schon am heutigen Montag um 15 Uhr gespielt werden.
Firouzjas Heimatclub du C’Chartres Echecs organisiert diese Matches. Bis Freitag, 22. Dezember, spielt Firouzja jeweils zwei Partien gegen Sergey Fedorchuk (2546), Andrei Shchekachev (2506) und Alexandre Dgebuadze (2439). Er muss in diesen 6 Partien 7 Elopunkte gewinnen, um Wesley So zu überholen.
Bis Mitte des Jahres hatte Alireza Firouzja mit einer Elozahl jenseits der 2780 wie der fast sichere Rating-Qualifikant fürs Kandidatenturnier ausgesehen. Dann Norway Chess, Grand Swiss, Sinquefield-Cup – der Franzose verlor mehr als 30 Punkte und stürzte auf 2750 ab. Allzu sehr zu bedrücken schien ihn das nicht. Er würde gerne das Kandidatenturnier spielen, aber wenn nicht, sei das auch keine Katastrophe, sagte Firouzja in Saint Louis.
François Gilles, Präsident des Club C’Chartres Échecs, wird das zur Kenntnis genommen haben, wollte seinem Schützling aber trotzdem eine Tür öffnen. Gilles agiert seit Jahren als Gönner und Förderer, der 2021 Firouzjas Einbürgerung einzufädeln half, nachdem sich das längst in Frankreich lebende Supertalent vom Iran losgesagt hatte. Die französische Nationalität besitzt Firouzja seit dem Herbst 2021.
Nach dem Sinquefield-Cup schickte Gilles Firouzja eine Nachricht: “Alireza, du bist in Chartres immer willkommen. Wenn du möchtest, organisieren wir einige Partien.” Alireza antwortete, er würde gerne versuchen, sich doch noch zu qualifizieren. Und so entstand in kürzester Zeit eine Reihe von Mini-Matches, bei der FIDE angemeldet am 4. Dezember, dem Tag nach dem Ende des Sinqufield-Cups. Ein weiterer Spieltag ist für den 23. Dezember angesetzt, offenbar für zwei weitere Partien gegen Fedorchuk.
Die Firouzja-Matches ähneln Ding Lirens Endspurt im Frühjahr 2022. Seinerzeit organisierte der chinesische Verband Ding eine Turnierserie, die ihm erlaubte, binnen gut drei Wochen 27 Partien zu spielen, die ihm die Qualifikation fürs Kandidatenturnier eröffneten. Ein Jahr später wurde Ding Liren Weltmeister.
In einer am 18. Dezember um 9.52 Uhr veröffentlichten ersten Version dieses Beitrags hieß es, Wesley So sei mit dem Ausscheiden von Dominguez und Maghsoodloo WM-Kandidat. Dieses ist eine aktualisierte Version des Beitrags, die die um 11.01 Uhr bekannt gewordene Firouzja-Meldung aus Frankreich berücksichtigt.
Das wird wirklich immer absurder. Ich bin froh, dass sich Vincent nicht zu diesem Blödsinn hat hinreißen lassen.
Hmmmm, die Gegenspieler scheinen mir in diesen Matches in keiner einfachen Situation. Ist es doch im Interesse des Organisators und der Schachnation, dass sie diese Matches verlieren.
Vor einer Woche ist noch ein viertes Match ab dem 23.12. in Chartres zur ELO-Auswertung angemeldet worden: https://ratings.fide.com/tournament_information.phtml?event=353427 Da kann natürlich wunderbar spekuliert werden, ob das noch ein weihnachtliches Überraschungspaket für So sein soll oder nur eine Finte ist.
Im Unterschied zu Dings Matches, wo es nur darum ging, dass Ding genügend aktive Partien spielt (seine ELO Zahl war weit höher als die von Konkurrenten), geht es bei Firouzja um einen maßgeschneiderten Plan, der ihm ermöglicht 7 ELO Punkte zu holen. Dazu braucht er 5/6 gegen Gegner, deren Elozahlen, Alter und Motivation passend ausgewählt wurden, dass Firouzja das leicht schaffen kann. Nicht umsonst hat die FIDE bereits angekündigt, sich vorzubehalten, dieses Turnier nicht auszuwerten.
[…] hinschaut, sieht allerdings einen zwielichtig erscheinenden Clou, auf den diese Seite schon gestern hingewiesen hat: Offiziell ist (bis heute) ein Sechs-Partien-Match angekündigt, bei der FIDE angemeldet am 4. […]
[…] Leinier Dominguez im Open von Sitges, sich per Elo fürs Kandidatenturnier 2023 zu qualifizieren. Er brach den Versuch mitten im Turnier mangels Erfolgsaussicht ab. Die Schachszene war sich einig, dass es für Top-10-Spieler kaum möglich ist, in offenen […]