Das Geld zusammenhalten, die Schuldigen finden: Michael S. Langer im Gespräch

Ich bin enttäuscht und verärgert”, schreibt Michael S. Langer auf der Website des Niedersächsischen Schachverbands zum Scheitern des Schachgipfels 2023. Die Niedersachsen mit ihrem Präsidenten Langer an der Spitze hatten 2023 und 2024 zu ihrem 100-jährigen Jubiläum die größte Veranstaltungs des deutschen Schachs ausrichten wollen. Jetzt ist der Gipfel 2023 abgesagt. Ob der Gipfel 2024 stattfindet, ist ungewiss. Sicher ist nur: wenn, dann nicht in Niedersachsen.

Kurz nachdem Langer Fördergelder für den Gipfel 2023 beantragt hatte, offenbarte sich die finanzielle Schieflage des Deutschen Schachbunds. Anstatt der zu erwartenden Zusage, die eine Formsache hätte sein sollen, verweigerte die Stadt Braunschweig die Zusammenarbeit. Ohne das städtische Geld ist der Gipfel so, wie er geplant war, nicht zu finanzieren.

Nicht nur das kurzfristige Scheitern des Gipfels hat Langer an mitverantwortlicher Stelle aus nächster Nähe erlebt. Er war auch zur Krisensitzung am Donnerstag vergangener Woche eingeladen, bei der DSB-Finanzchef Lutz Rott-Ebbinghaus und DSB-Präsident Ullrich Krause offenbarten, dass der DSB in einem akut bedrohlichen Maße rote Zahlen schreibt. Nicht zuletzt gilt Langer als potenzieller Kandidat für die DSB-Präsidentschaft. Kause ist nicht zurückgetreten, hat aber angekündigt, sich nicht wieder zur Wahl zu stellen.

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Ein Gespräch über den Stand der Dinge nach den neuesten Schreckensmeldungen aus dem organisierten Schach:

Kein Schachgipfel in Niedersachsen: NSV-Präsident Michael S. Langer.

„Der Deutsche Schachbund will das Risiko nicht verantworten“, lese ich auf der DSB-Seite zum abgesagten Gipfel 2023. Will nicht eher die Stadt Braunschweig das Risiko vermeiden, mit dem Deutschen Schachbund zusammenzuarbeiten?

Beides. Wir haben vor wenigen Tagen stellvertretend für den DSB die Anträge für Gelder der öffentlichen Hand eingereicht, unter anderem bei der Stadt Braunschweig. Politisch war das schon vorbereitet, aber nun fiel in Braunschweig auf, was beim Deutschen Schachbund passiert. Die Stadt ist hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit dem DSB zum jetzigen Zeitpunkt skeptisch.

Ihr wart spät dran mit den Anträgen.

Ohne stark besetztes Masters als Leuchtturmturnier hätten wir nicht die Aufmerksamkeit erzielen können, um das Geld für die übrige Veranstaltung zu bekommen, das wir brauchen. Daran hing die gesamte Veranstaltung. Wir mussten warten, bis uns der DSB ein starkes Masters-Feld zusichert. Darüber haben wir ja vor kurzem gesprochen. Wenn ich nicht sicher weiß, dass die Veranstaltung in der gewünschten Form stattfindet, kann ich kein Geld dafür beantragen.

Zuletzt hat die DSB-Führung um die Gipfel-Finanzen immer ein Riesengeheimnis gemacht. Um wieviel Geld geht es?

Das Volumen für die gesamte Veranstaltung liegt inklusive Masters etwa bei 300.000 Euro. Die Einnahmen des Gipfels führen dazu, dass der externe Finanzbedarf für die offiziellen Meisterschaften bei 100.000 bis 120.000 Euro liegt. Das hätten wir mit Sportfördermitteln der Stadt, die Deutsche Meisterschaften in Braunschweig unterstützt, und mit Geldern der Lotto-Sport-Stiftung abgedeckt.

2022 war teuer: Bei der Krisensitzung am Donnerstag sahen die Kongressdelegierten aus den Ländern erstmals Zahlen zum Deutschen Schachgipfel.

Ist die Absage endgültig ohne Hintertür?

Gegenüber der Stadt Braunschweig bin ich seit Dienstag draußen. Auf unserer Verbandshomepage haben wir mitgeteilt, dass wir entgegen unseres ursprünglichen Plans 2023 und 2024 keinen Gipfel veranstalten.

Und wenn der DSB 2024 wieder Geld hat?

Wir müssen jetzt in Planungen einsteigen, die unser 100-jähriges Jubiläum 2024 sichern. Auf Entwicklungen beim DSB können wir nicht warten.

Eine historisch große Investition des DSB steht mit der Neuanschaffung von Mitgliederverwaltung/DWZ-Berechnung an: 220.000 Euro, verteilt über mehrere Jahre. Das wäre günstiger zu haben gewesen. Lässt sich MIVIS/DeWIS angesichts der akuten Geldnot noch zurückdrehen?

Ich befürchte nicht. Dafür sind zu viele Fakten geschaffen, zu viele Zwischenergebnisse kommuniziert.

Ullrich Krause hat für das fünfjährige Drama bis zum finanziellen Niedergang des DSB eine Erklärung angeboten: „Versagen von Kontrollmechanismen“. Gibt es beim Deutschen Schachbund einen Kontrollmechanismus, der die Inthronisierung inkompetenter Führungskräfte verhindern soll? Und das Zahlen von Abfindungen an selbige?

Ich teile nicht alles, was in den offiziellen Erklärungen der vergangenen Tage steht. Der DSB ist jedenfalls nicht anarchisch organisiert, er hat Kontrollmechanismen, wie sie im Sport etabliert sind – und die Mechanismen des DSB sind gut, bestimmt nicht schlechter als die des Deutschen Fußballbunds zum Beispiel. Es bedarf allerdings Personen, die mit diesen Regeln arbeiten. Naja… (lächelt kopfschüttelnd)

Ullrich Krause und Marcus Fenner haben erst die Jugend gegen sich aufgebracht, dann die Nationalspieler, dann die Angestellten des DSB. Die Köpfe diverser haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter sind gerollt, dazu manch weitere Episode, und jetzt ist auch noch das Geld alle. Welcher Kontrollmechanismus hätte diese schreckliche Reihe von Ereignissen stoppen können?

Die einzige Instanz, die in der Lage wäre, sowas zu reparieren, ist der Kongress. Der Kongress wählt die ehrenamtliche Führung des Verbands, die er für die beste hält. Ansonsten ist es eindeutig: Die Personalhoheit hat der Präsident in Abstimmung mit seinem Präsidium. Während der Amtszeit gibt es nur gute Ratschläge.

Offenbar ist eine Mehrheit nicht so überzeugt von den Kontrollmechanismen wie du. Als Sofortmaßnahme soll jetzt an den Finanz-Mechanismen geschraubt werden: Ordnungen überarbeiten, einen Ausschuss bilden.

Das halte ich für nicht angebrachten Aktionismus auf dem falschen Feld. Was wir brauchen, ist ein sofortiges Sparprogramm, das der wirtschaftlichen Verantwortung gerecht wird. Der Schaden für 2022 ist mit einem katastrophalen Jahresergebnis angerichtet. 2023 haben wir zwar eine katastrophale Prognose, aber können noch gegensteuern. Damit müssen wir sofort anfangen. In diesem Jahr muss möglichst wenig Geld abfließen. Außerdem müssen wir herausarbeiten, wer die Schuld an diesem Desaster trägt.

Um dann Schadensersatzansprüche geltend zu machen?

Das muss natürlich geprüft werden.

Bester Laune beim Gipfel-Galadinner 2021. | Foto: Deutscher Schachbund

Im Kontrollmechanismus Kongress lag vor zwei Jahren die Präsidentschaft vor dir. Du hättest sie nur nehmen müssen, hast dich aber dagegen entschieden. Ein Fehler?

Nein.

Ach?

Vielleicht war es im Sinne des DSB nicht die beste Entscheidung, das sollen andere beurteilen. Für mich persönlich war es kein Fehler.

Am 20. Mai ist wieder Wahl. Wie sieht’s aus?

Du bist nicht der Erste, der fragt oder es mir nahelegt. Um es mal staatstragend zu sagen, ich fühle mich mitverantwortlich für das deutsche Schach. Aber im Sinne des deutschen Schachs bin ich genau da richtig, wo ich bin. Durch meine Tätigkeiten unter anderem im Landessportbund und Norddeutschen Rundfunk habe ich eine Reichweite und Vernetzung, die im Schach selten ist. Diese Dinge, die mir Freude bereiten, müsste ich als DSB-Präsident aufgeben – und ich würde mich obendrein in meiner Wirkung beschneiden. Als Berater, Helfer, Ansprechpartner stehe ich natürlich zur Verfügung. Für ein Amt im DSB nicht.

Wer soll es dann machen?

Wenn du von der „Schachverwaltung“ schreibst, meinst du das ja meistens boshaft. Ich behaupte, gerade jetzt brauchen wir jemanden, der in erster Linie den DSB verwaltet, das darf auch eine ansonsten vielleicht eher farblos wirkende Person mit Freude am Verwalten sein, so lange er oder sie Leuten, die Ideen haben, nicht im Weg steht. Sauberer Haushalt, keine Personaleskapaden, geregelte Mitgliederverwaltung, diese Dinge sind jetzt unmittelbar wichtig. Dafür brauchen wir jemanden, der gar nicht mal groß nach außen auftritt, aber nach innen zuverlässig den Laden repariert.

Glaubst du nicht, dass von außen ein Anführer mit Format vom Himmel fallen könnte?

Die Ausgangslage jetzt ist deutlich schlechter als vor zwei Jahren. Und die Leute lesen Perlen vom Bodensee, sie lesen die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sie wissen, was los ist. Dass jemand von außerhalb sich jetzt den DSB antun möchte, halte ich für illusorisch.

ChessBase-Interview mit Langer zum selben Themenkomplex

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Thomas
Thomas
1 Jahr zuvor

Also eine gewisse Arroganz kann man dem Interviewten nicht absprechen. Es ist gut, dass er in Niedersachsen bleiben will.

Klaus Zachmann
Klaus Zachmann
1 Jahr zuvor

Ich habe mir mal die Vermögensstände von 2020-2023 mittels einer Kurve anzeigen lassen. Das sieht aus wie bei einem Flugzeugabsturz. Es ist mir unerklärlich, warum man das jetzt erst gemerkt hat. Wozu macht man einen Haushaltsplan und hält sich dann nicht daran? Das Geld zusammenhalten, die Ursachen finden und abstellen ist jetzt angesagt. Offensichtlich hat man an zu vielen unwichtigen Nebenbaustellen rumgedoktert und hat deswegen den Absturz nicht kommen sehen. Vor 3 Jahren hatte man wegen Kleinkram einen vollkommen unnötigen Krieg gegen die eigene Schachjugend angezettelt. Hätte man sich doch besser mal um die eigenen Schwachstellen gekümmert. Jetzt wird die… Weiterlesen »

Kommentator
Kommentator
1 Jahr zuvor

Eine Förderung durch die öffentliche Hand in dieser Größenordnung für eine Veranstaltung im Juli erst im Februar desselben Jahres zu beantragen, ist wirklich ziemlich spät. Wäre das früher geschehen, hätte die Stadt jetzt keinen Rückzieher mehr machen können. Langers Erklärung für das Zögern klingt so, als ob die Stadt Braunschweig ihre Zusage vom Antreten dieser oder jener Spieler im Masters hätte abhängig machen wollen. Wer’s glauben mag … Dass der DSB den Gipfel dann sofort abgesagt hat, könnte auch als Retourkutsche gegen Langer gewertet werden, der ja bekanntlich Krause und Co. oft genug attackiert. Wie man in den Wald hineinruft… Weiterlesen »

Last edited 1 Jahr zuvor by Kommentator
Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Anscheinend hat die Seite schlechte Laune, Weiterlesen und Antworten kann man nur bedingt öffnen oder liegt das an meinem Browser?

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Es wird weiter gehen, ich habe auch bei ChessBase ein ähnliches Interview gelesen, ich habe da keine persönliche Meinung und danke für die jeweils erfolgte ehrenamtlche und journalistische Leistung, gehe zudem davon aus, dass hier Kräfte am Start sind, die es mit dem Schachspiel jeweils gut meinen. Die Höhe des Defizits scheint mir verkraftbar zu sein, schade, dass nun eine oder einige Veranstaltungen ausfallen. Dem deutschen Schachspiel (oder Schachsport!) würde ein Sponsor gut tun, der hier, mit nicht viel persönlichem Einsatz, einfach mal zwei, drei Millionen Euro, dies beispielhaft genannt, beisteuern könnte. Es gibt solche Leutz, Schach ist kein “Allerweltsspiel”,… Weiterlesen »

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Ich rate an Mäzene und Sponsoren zu suchen, das Schachspiel ist wertvoll und Völker verbindend, es dürfen hier “ein paar Millionen (Euro)” beigebracht werden, es lohnt sich, auch in puncto Außendarstellung, hier muss nicht geknickert werden.
In anderen Staaten als der BRD gibt es sozusagen aggressive Bemühung in diese wertvolle Kultur “reinzuschaufeln”.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

DSJ
Was ist eigentlich ein “Aufbau Manager”, welche Aufgaben soll der Aufbau Manager bearbeiten.
Eine Stellenbeschreibung mit Kompetenzbereich wäre schön.

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[…] Michael S. Langers Profil hätte viel eher gepasst. Im Gespräch mit dieser Seite vor zwei Wochen hat der einstige DSB-Finanzchef zwar nicht erwähnt, wie nahe er daran war, nach dem Steuer des schlingernden Schiffs zu greifen, hat aber seine Gründe dargelegt, warum er letztlich doch Abstand genommen hat. […]

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[…] wäre nach dem Abzug aller Einnahmen ein externer Finanzierungsbedarf von 100.000 bis 120.000 Euro aufzubringen gewesen. 2024 soll nun etwa die Hälfte davon fällig werden. “Und das unter erschwerten […]

trackback

[…] Bericht steht, dass wir die Finanzen besser reglementieren müssen. Dazu hast du Anfang März gesagt, dass die Regeln längst da sind. Sie müssten nur angewendet […]

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Neue Sparte /1.Preis aus Sondervermögen Beitragszahler
Die Schachwelt ist auch außerhalb von den 64 Feldern kompliziert und undurchsichtig für Außenstehende.
Vielleicht könnte einer der vielen Schachkommentatoren aus dem Netz auch die politischen Schachzüge erklären. Vielleicht kristallisiert sich hier ein Weltmeister heraus aus der Sparte “Schlag den Schachpolitiker”.
Ein Schachgipfel mit Schachpolitikern gegen Schachpolitiker wäre interessant.
Sieger wird wer mit der längsten Nase nach dem Gipfel aus dem Saal tritt.
Von Beinchen stellen und anderen Fallen sind alle Varianten erlaubt, wie auf dem Brett.

acepoint
1 Jahr zuvor

Noch ein interessantes Detail, das man so „nebenbei“ erfährt: uns wurde in den letzten etwa acht Monaten immer erzählt, dass die Software zur Mitgliederverwaltung/DWZ-Auswertung etwa € 100.000,- kosten würde (+ jährlich vierstellige bzw. niedrige fünfstellige Summen für die Landesverbände, abhängig von der Mitgliederzahl, je nachdem, welche Module diese dazu buchen).

Last edited 1 Jahr zuvor by acepoint
acepoint
1 Jahr zuvor

Traurig und armselig, dass hier einige, die ja möglicherweise auch Mitglied eines Landesverbands und damit Teil des DSB sind, mehr damit beschäftigt zu sein scheinen, unliebsame Artikel und Kommentare systematisch mit Negativbewertungen zu versehen, anstatt sich konstruktiv mit den Problemen des Verbands auseinanderzusetzen bzw. Lösungen zu diskutieren.

Jochen
Jochen
1 Jahr zuvor

Schon im Jahr 2016 fand ich es befremdlich, wie im Rahmen der DEM Lübeck ein üppiges Bankett abgehalten wurde. Mit Vereinsbeiträgen von Jugendlichen und Erwachsenen, die so etwas teils nur ein mal im Leben für sich hätten. Hier, bei der Führungsebene des Schachbundes hatte ich aber den Eindruck, dass so ein hoher Spesenansatz kein Einzelfall war, gab es ja auch nichts extrem originelles zu feiern, bis auf die DEM in Lübeck.