Vincent und die Saboteure

Die im Kongress des Deutschen Schachbunds versammelten Fachleute haben unlängst ihre Sabotage an der Deutschen Meisterschaft im Schach und dem dort vergebenen Titel fortgesetzt. Die gezielte Entwertung des nationalen Titels zieht nun eine internationale Konsequenz nach sich: Die besten deutschen Spieler, Vincent Keymer allen voran, sind fortan beim Kampf um die Qualifikation fürs Kandidatenturnier benachteiligt.

Der Nachteil für den besten deutschen Schachspieler im WM-Zyklus ergibt sich aus der Neuregelung der Qualifikation fürs Kandidatenturnier, die der Weltverband FIDE jetzt verkündet hat. Stark besetzte nationale Meisterschaften werden künftig Teil des WM-Zyklus sein. Die Deutsche Meisterschaft, als solche ein Witz, ist als Amateurturnier bei weitem nicht stark genug. Anders als die Besten anderer Länder kann Keymer national keine WM-Qualifikationspunkte sammeln.

Eine Deutsche Meisterschaft, die diesen Namen verdient, wäre als potenzielles Sprungbrett ins Kandidatenturnier noch einmal attraktiver. Die ohnehin auf der Kippe stehende künftige Teilnahme Keymers an DSB-Turnieren ließe sich mit einem solchen Turnier wahrscheinlicher machen. Stattdessen haben die Funktionäre sie unwahrscheinlicher gemacht, indem sie dafür gestimmt haben, die Deutsche Meisterschaft als Amateurturnier zu belassen (zum Kongress-Protokoll).

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Bleibt Keymer dem Schachgipfel 2023 fern, dürfen die Delegierten des Kongresses nach der jetzt verkündeten Neuregelung der WM-Qualifikation für sich in Anspruch nehmen, mit einer Abstimmung gleich zwei Schlamassel angerichtet zu haben. Neben der Deutschen Meisterschaft hätten sie in einem Abwasch die größte DSB-Veranstaltung entwertet.

Wer hatte eigentlich die Idee, den für Profi- und Leistungssport zuständigen nationalen Verband in die Hände von Leuten zu geben, die regionale Amateurinteressen vertreten?`Schlau war das nicht, gelinde gesagt. | Fotos: DSB

Fürs Kandidatenturnier 2024, bei dem der WM-Herausforderer 2024 ermittelt wird, qualifizieren sich:

  • der Verlierer des WM-Matches 2023
  • die drei Erstplatzierten des World Cups 2023
  • die zwei Erstplatzierten des Grand Swiss 2023
  • der Spieler, der die meisten Punkte in Spitzenturnieren gesammelt hat (im “FIDE circuit”)
  • der nach obigen Kriterien nicht Qualifizierte mit dem höchsten Rating.

Die Neuregelung bedeutet einige Änderungen im Vegleich zu vorherigen Zyklen. Die augenfälligste: Der Grand Prix wird abgeschafft, nachdem nun der Ausrichtervertrag mit “WorldChess” abgelaufen ist. Eine andere: Der nach Elozahl vergebene Platz ist wieder da. Eigentlich war der Rating-Spot gestrichen, kam aber im vergangenen Zyklus trotzdem zum Tragen, nachdem die FIDE den Putin-Claqueur Sergey Karjakin disqualifiziert hatte. Als Ersatz rutschte als Elobester Ding Liren ins Turnier, nachdem es dem Chinesen gelungen war, in kürzester Zeit die notwendige Menge von Partien zu spielen.

Den WM-Pfad Grand Prix gibt es im WM-Zyklus 2023/24 nicht mehr.

Nicht neu ist die Regelung, das der World Cup drei WM-Kandidaten gebärt. Sie galt zuletzt 2011. Seitdem waren die beiden Erstplatzierten qualifiziert, was von World Cup zu World Cup mit sich brachte, dass das Turnier nach dem Halbfinale quasi beendet war. Im Finale und im Match um Platz drei ging es um nichts mehr außer die Höhe des Preisgelds der Kontrahenten. 2023 wird das Match um Platz drei auch eines um die Qualifikation fürs Kandidatenturnier sein.

Eine Premiere ist der sogenannte „FIDE Circuit“, eine Reihe von stark besetzten (Eloschnitt an der Spitze >2550) Turnieren übers Kalenderjahr. Neben internationalen Spitzenturnieren werden stark besetzte nationale Meisterschaften Teil des “Circuits” sein. Dazu erstmals kontinentale und Weltmeisterschaften im Schnell- und Blitzschach, das erste Mal, das die schnellen Disziplinen Teil des klassischen WM-Zyklus werden – ein Dammbruch in Richtung WM-Reform?

Offenbar vergessen hat der Schach-Weltverband, was er noch im April verkündet hatte:

Bild

Dass die angekündigte Kooperation mit der Grand Chess Tour gescheitert ist, kommt in der neuen Mitteilung zum WM-Zyklus nicht vor. Darauf angesprochen, beschränkte sich FIDE-Geschäftsführer Emil Sutovsky auf Twitter darauf, mit dem Finger auf andere zu zeigen: “Nicht unsere Schuld.”

Auf eine Weise wird die Grand Chess Tour trotzdem Teil des neuen Zyklus sein. Die extrem stark besetzten Turniere werden mit höchster Wahrscheinlichkeit in den “FIDE Circuit” aufgenommen. Aus welchen Wettbewerben genau diese Serie besteht, ist noch nicht verkündet.

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Kommentator
Kommentator
1 Jahr zuvor

Wenn Herr Keymer sich zu fein für die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft ist, sollte der DSB seine Sonderförderung einstellen. Die Festlegung der neuen Qualifikationskriterien der FIDE hat gewiss nicht der Kongress des Deutschen Schachbundes zu vertreten. Die Deutsche Meisterschaft wird niemals so stark besetzt sein wie z. B. die russische.

Mungo Gerry
Mungo Gerry
1 Jahr zuvor

Eine deutsche Meisterschaft ist doch für einen Spitzenspieler, der nach höherem strebt, kein interessantes Turnier, deswegen kann ich die ganze Aufregung darum nicht verstehen. Oder weiß jemand auswendig, wer z. B. Deutscher Meister im Tennis ist.

Eine Chance wäre höchstens, wenn es von nationalen Meisterschaften einen klaren Qualifikationsweg zu einer WM gäbe. Also ähnlich wie früher, als dann Zonenturniere, Interzonenturniere und Zweikämpfe folgten. Ist in dieser Form sicherlich nicht mehr genau so umsetzbar und zeitgemäß, ein vernünftiges System sollte aber machbar sein.

joschi
joschi
1 Jahr zuvor

Ich schlage vor, das German Masters in Deutsche Meisterschaft umzubenennen (mit irgendeinem Qualifikationsmodus) und die Deutsche Meisterschaft in German Masters. Problem gelöst.

P.S. Die DEM spottet seit Jahren ihres Titels und tut das auch weiterhin. Insofern ist der DSB wenigstens konsequent – im Gegensatz zur FIDE.

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Bisher wurde schon viel geredet oder geschrieben, aber grundlegendes eher noch nicht: “Aus welchen Wettbewerben genau diese Serie besteht, ist noch nicht verkündet.” Ich gehe davon aus, dass man das gar nicht vorab verkünden kann, sondern dass es sich erst im Laufe des Jahres 2023 ergibt: Meine Interpretation ist, dass ALLE Turniere, die die Voraussetzungen erfüllen, Teil der Serie sind oder sein können (bedeutet “eligible” “auf Antrag an die FIDE”?). Man kann auch während dem Jahr “spontan” noch etwas organisieren, und jedenfalls für Opens gilt: erst wenn die Teilnehmerliste feststeht (auch, welche vorangemeldeten Spieler tatsächlich erscheinen) ist klar, ob alle… Weiterlesen »

Chris
Chris
1 Jahr zuvor

Mir fehlen in diesem Artikel etwas die Informationen, weshalb es nicht zählt und was SB anders machen müsste.

Das es einen Weg gibt das auch Amateure mitmachen können fände ich aber prinzipiell gut, da hier wenig auf dem Modus eingegangen wird weiß ich aber was nicht stört. Sind zuviele Amateure dabei, muss sich die Elite durch unterklassige Qualifikationen quälen etc.

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[…] der unlängst erfolgten Sabotage des DSB-Kongresses an der Deutschen Meisterschaft, die deutsche Großmeister im internationalen Kampf um einen Platz im Kandidatenturnier […]

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[…] WerbungVincent und die Saboteure […]

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[…] nicht auf die Idee zu bringen, sich damit näher zu befassen, ein Beispiel. Ein anderes: die anhaltende Sabotage des DSB-Kongresses an der Deutschen Meisterschaft zugunsten der Partikularinteressen der […]

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[…] Vincent und die SaboteureDass der DSB den Ländern gehört, hat zu einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung geführt. Desinteresse und Indifferenz der in Selbstverwaltung verhafteten, dem Spitzensport herzlich wenig verbundenen Landesschachbeamten haben Jordan oder Krause/Fenner, deren knappes Dutzend Vizepräsidentendarsteller und den damit verbundenen Niedergang des Verbands erst möglich gemacht – es geht ja trotzdem weiter. Wenn erst hier und dann dort eine halbe Million Euro vers(ch)enkt sind, weil jahrelang niemand sehen will, was jeder sehen kann, dann erhöhen sie halt den Beitrag. Und damit nicht genug. Der DSB ist in den Händen von Leuten, deren regionale Interessen denen des nationalen Verbands zuwiderlaufen,… Weiterlesen »

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[…] seine Teilnahme am Turnier der besten deutschen Schachspieler im Dezember schon abgesagt. Dort verwehrt ihm die deutsche Schachverwaltung zwar die Chance, Punkte für den anderen Qualifikationspfad […]

Darius Vogel
Darius Vogel
1 Jahr zuvor

Wenn nun das german Masters einen Schnitt größer gleich 2550 hat, müsste das dann nicht auch gelten?

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Nicht ganz verstanden habe ich dies hier :
“Stark besetzte nationale Meisterschaften werden künftig Teil des WM-Zyklus sein.”

Vincent Keymer braucht doch keine deutsche Schacheinzelmeisterschaft (So heißt sie doch? – Klingt ein wenig komisch, oder?), um sich wie gemeint zu qualifizieren.


Die Deutsche Schacheinzelmeisterschaft ist ja auch nicht so-o einfach aufzustocken, so dass sich die Besten der Besten dort an den Start bemühen, vgl. bspw. mit :

-> https://www.schachbund.de/dem1998/articles/dem1998.html

Denn da müsste “Geld in die Hand” genommen werden in gewisser Größe.

Mit freundlichen Grüßen
Ludger Keitlinghaus

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Hab mal eine Frage
Wie lange kann man als Schachprofi auf gewissen Niveau mithalten ohne das es im Gehirn Kurzschlüsse gibt und zur Pause sprich Einnahmeverluste führt?
Sicher gibt es darüber Studien, was sagt diese aus?
Ab wann ist man Sportinvalide und welche Versicherung kommt dafür auf?
Wie gestaltet sich die private Altersvorsorge bei den wenigen Turnieren und Preisgeldern reicht es für die meisten der Vollprofis die aufgelaufenen Verbindlichkeiten und KK-Beitragsrückstände zu bedienen und für paar Tage über die Runden zu kommen.