“Nicht zu kompensieren”: Innenministerium streicht DSB-Fördermittel

Das für den Sport zuständige Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) hat dem Deutschen Schachbund alle Zuschüsse für die Teilnahme deutscher Kaderspieler und -spielerinnen am WM-Zyklus und Europameisterschaften im Jahr 2023 gestrichen. Betroffen sind auch internationale Jugendturniere. Abhängig davon, welche Turniere das Ministerium in den kommenden Monaten als förderwürdig einstuft, könnte dieses Jahr im Vergleich zu 2022 ein mittlerer fünfstelliger Betrag wegbrechen. Die Spielerinnen und Spieler müssten ihn selbst aufbringen.

Hintergrund ist die Teilnahme von Russen und Weißrussen an den genannten Wettbewerben. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vertritt das BMI die Position, Russland und Belarus vertretende Athletinnen und Athleten sollten von internationalen Sportgroßereignissen ausgeschlossen werden. “Alle internationalen Sportverbände stehen aus Sicht des BMI in der Verantwortung, sich einheitlich und eindeutig gegen Putins Angriffskrieg zu stellen”, sagte eine BMI-Sprecherin unlängst dem Sport-Informationsdienst (sid), als sich ein Konflikt der Position des deutschen Ministeriums mit der des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) abzeichnete. Das IOC plant, die Wiedereingliederung von Russen und Weißrussen zu prüfen.

Im europäischen Vergleich benachteiligt: Vor DSB-Sportdirektor Kevin Högy hat sich zum Jahresbeginn eine internationale Baustelle aufgetan. | Foto: Paul Meyer-Dunker/DSB

Das BMI hält diesen Plan für “nicht nachvollziehbar”. Es versagt weiterhin deutschen Sportlern die Förderung für internationale Wettkämpfe, an denen Russen/Weißrussen teilnehmen. “In Einzelfällen” seien Ausnahmen möglich.

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Im europäischen Vergleich sind die deutschen Spitzenspieler jetzt benachteiligt. Andere europäische Verbände befürchten nach einer Mitteilung des DSB keine Sanktionen daheim, wenn sie ihre Spieler zu internationalen Meisterschaften entsenden, an denen Russen/Weißrussen teilnehmen. Vor diesem Hintergrund ist im November 2022 ein Vorstoß des deutschen Verbands gescheitert, Russen/Weißrussen auszuschließen. Dieser deutsche Vorschlag lief einem Beschluss der Versammlung des Europäischen Schachverbands (ECU) zuwider, Russen/Weißrussen unter neutraler Flagge mitspielen zu lassen.

Der DSB-Delegierte Marcus Fenner (links) und der englische Delegierte Malcolm Pein (vorne) bei der ECU-Versammlung im Juli 2022, die beschloss, Russen und Weißrussen unter neutraler Flagge zuzulassen. | Foto: ECU

Der DSB hatte sich gleichwohl an 15 europäische Verbände gewandt und angeregt, russische und weißrussische Spieler von den Europameisterschaften 2023 auszuschließen. “Die Schachverbände aus Tschechien, Italien, Frankreich, Litauen, Spanien, Österreich und den Niederlanden teilten uns jedoch mit, dass sowohl die nationale Politik als auch die nationalen Sportdachverbände (vergleichbar mit dem DOSB in Deutschland) kein Problem in der Teilnahme von Russen/Belarusen an europäischen Meisterschaften sehen”, schreibt der DSB auf Anfrage dieser Seite. Lediglich der Schachverband der Ukraine habe den deutschen Vorschlag unterstützt.

Nicht nur im Schach, sportartenübergreifend seien deutsche Athleten gegenüber ihren europäischen Kollegen aufgrund der BMI-Position schlecher gestellt. “Wir würden uns eine einheitliche europäische Regelung wünschen”, so der DSB.

Bislang hat der Deutsche Schachbund seinen Kaderspielerinnen und -spielern bei Europameisterschaften oder Turnieren des WM-Zyklus einen großen Teil der Kosten bezahlt. Als Fördergeld kam ein Teil dieser Mittel bislang über das Ministerium zum DSB zurück. Diese Erstattung bricht nun weg. Den Wegfall zum kompensieren, die Kosten aus Eigenmitteln zu tragen, sei “zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich”, teilt der DSB mit.

Der Deutsche Schachbund ist nach eigenen Angaben weiterhin bemüht, doch noch eine Bewilligung der Fördermittel zu erwirken. Im Schulterschluss mit dem Verein “Athleten Deutschland”, dem Deutschen Olympischen Sportbund sowie nichtolympischen Vertretern solle der Kontakt zum BMI aufgenommen werden. “Wir befinden uns weiterhin in Gesprächen mit allen genannten Parteien.” Eine Anfrage dieser Seite beim BMI zur Verbindlichkeit der Regelung ist bislang unbeantwortet.

Mit 1000 Euro unterstützte der DSB bislang die Teilnahme von A-Kader-Spielern an der Europameisterschaft. Leider kann nicht jeder den Titel und ein erkleckliches fünfstelliges Preisgeld holen, wie es 2022 Matthias Blübaum in seinem ersten Jahr als Schachprofi gelang.

Nach der unlängst erfolgten Sabotage des DSB-Kongresses an der Deutschen Meisterschaft, die unter anderem deutsche Großmeister im internationalen Kampf um einen Platz im Kandidatenturnier benachteiligt, beginnt das neue Jahr nun mit einem weiteren Nackenschlag für heimische Spitzenspielerinnen und -spieler, der auch Nachwuchskräfte betrifft. Das erste Turnier des neuen Jahres, bei dem die gestrichene Förderung relevant ist, wird der (hinsichtlich Reisekosten übersichtliche) Frauen-Grand-Prix ab dem 1. Februar in München sein. Dort werden Dinara Wagner und Elisabeth Pähtz teilnehmen.

Betroffen ist auch der World Cup ab dem 29. Juli, dessen Austragungsort noch nicht feststeht. Bislang sind Daniel Fridman, Niclas Huschenbeth, Rasmus Svane, Vincent Keymer und Europameister Matthias Blübaum qualifiziert. Diesem Quintett und möglichen weiteren Qualifikanten von der (ebenfalls betroffenen) Europameisterschaft im März droht ein Terminkonflikt. Der Schachgipfel mit dem unverändert “Masters” genannten Turnier der besten deutschen Spielerinnen und Spieler, angesetzt bis zum 30. Juli, überschneidet sich mit der WM-Qualifikation.

Die Schachfreunde (von links) Huschenbeth, Svane, Keymer, Blübaum und Fridman sind schon für den World Cup 2023 qualifiziert. Die Kosten für die Teilnahme werden sie voraussichtlich selbst schultern müssen.
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kumagoro
kumagoro
1 Jahr zuvor

für mich ein totaler Fail des DSB in Sachen Lobbyismus. Aber sie nannten ja auch Vincents 2.Platz bei der WM “knapp verpasst” statt “Sensation”.
Wenn sogar die Einschätzung von solchen Erfolgen dermassen versaut ist, wie schlecht muss dann das Selfmarketing insgesamt sein?

Last edited 1 Jahr zuvor by kumagoro
Joschi
Joschi
1 Jahr zuvor

Natürlich ist es nicht gut, wenn Förderungen wegfallen. Allerdings: Preisgelder fließen ja auch in die eigene Tasche. Rechnet mal nach, wieviel Vincent Keymer im letzten Jahr an Preisgeld verdient hat! Warum sollen Steuerzahler seine Spesen übernehmen? Warum bekommt Blübaum neben einem fünfstelligen Preisgeld noch zusätzlich € 1000 an Spesenersatz? – Ein Zurückzahlen des Betrags nach dem Gewinn wäre hinterher fair gewesen … Ich vergönne beiden ihren Erfolg. Aber Steuergeld zusätzlich, ist das wirklich notwendig? Das Fördersystem funktioniert im Sport nicht. Bestes Beispiel: Fußball. Die UEFA-Gelder fließen nicht in Infrastruktur, sondern haben die Gehälter und Ablösesummen der in derCL-spielenden Clubs explodieren… Weiterlesen »

Micha
Micha
1 Jahr zuvor

Wenn man einen Sport nicht fördern will, dann findet man immer Argumente. Die FIDE selbst lässt als verantwortlicher Weltverband des Schachs russische Spieler weiterhin am Spielbetrieb teilnehmen. Das ist seit fast einem Jahr so, also seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine, gängige und breit akzeptierte Praxis sowohl unter den Spielern als auch unter den nationalen Schachverbänden. Die russischen Spieler selbst haben sich längst klar von diesem Krieg distanziert. Warum also Spieler in Sippenhaft nehmen für etwas, was sie selbst ablehnen? Ein Boykott trifft nicht Putin und nicht Russland, sondern nur die Spieler selbst. Dass der Schachbund mit seiner Forderung… Weiterlesen »

Last edited 1 Jahr zuvor by Micha
Kommentator
Kommentator
1 Jahr zuvor

Einmal mehr agieren Deutsche gegen Deutsche, das Ausland lacht sich ins Fäustchen. Was können die deutschen Sportler dafür, dass die internationalen Organisationen Russen und Weißrussen nicht ausschließen wollen? Die deutscche Politik erhöht so die Chancen der genannten Nationen, auf dem Siegertreppchen zu stehen. Vielleicht ist das im SPD-geführten Innenministerium auch genau so gewollt.

CAPTN HIRNI
CAPTN HIRNI
1 Jahr zuvor

Um den politisch Verantwortlichen etwas zu schmeicheln, sollte man vielleicht vorschlagen, dass ab sofort alle Spieler die Regenbogen-Armbinde tragen und die Steine von schwarz/weiß in blau/gelb zu ersetzen. Möglicherweise gibt es dann mehr Fördergelder als je zuvor.

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Problematisch wird es im Nachwuchsbereich. Profis sind am ehesten bei der Europameisterschaft betroffen – kein “garantiertes Preisgeld” im Schweizer System. Beim Weltcup muss man zwar Reise- und Aufenthaltskosten selbst tragen, aber schon für Ausscheiden in der ersten Runde gibt es 3000$ Preis- oder Schmerzensgeld. Das sollte wohl Kosten für ein paar Tage vor Ort (über)kompensieren.In Runde 2 sind es bereits 6000$. Voraussichtlich sind Keymer, eventuell auch Bluebaum unter den elobesten 50, die für Runde 1 ein Bye bekommen – bei Bluebaum je nachdem, wie sich seine Elozahl bis zum Turnier entwickelt und wie viele Spieler mit höherer Elo nicht teilnehmen… Weiterlesen »

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Wenn ich mir das Leitbild der Profi-Liga anschaue denke ich ist noch nichts verloren mit den finanziellen Zuschüssen für die Berufsfortbildung von Sport-Profis in einem Profi-Verband. Es kann ja nur im eigenen Interesse liegen Vorzeige-Spieler mit Titel in den eigenen Reihen zu haben und entsprechend zu fördern. Allein die Vermarktung von Titelträger oder Teilnahmen an großen Turnieren bringt doch einiges ein. Und das Investment fließt mehrfach zurück. Zitat Auszug Leitbild Quelle: Schachbundesliga -Die Förderung des Spitzensports durch den Schachbundesliga e.V. steht  im Einklang mit den leistungssportlichen Zielen des Deutschen Schachbunds, insbesondere mit Blick auf Auswahlmannschaften und internationale Wettkämpfe Förderung von… Weiterlesen »

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Schade, das Schachspiel, das ja auch vglw. kostenschonend ist, hat eine beträchtliche integrative Wirkung.

trackback

[…] “Nicht zu kompensieren”: Innenministerium streicht DSB-Fördermittel […]

Matthias
Matthias
1 Jahr zuvor

Zeitlich eine Antwort auf den Aufstieg eines deutschen Spielers in die Weltspitze, die das deutsche Beamtentum nicht besser beschreiben könnte. Es gab hier mal einen Artikel über ein in England lebendes indisches Talent, welches der englische Schachverband unbedingt halten will. Ich schrieb darauf: Vielleicht sollte der Spieler besser nach Indien gehen, da wird er wenigstens gefördert. In Indien würde Vincent Keymer sofort einen hochdotierten Sponsorenvertrag erhalten. In Deutschland werden Profischachspieler gefragt: und wovon leben Sie? Deshalb schrieb ich auch im Kommentar zu Vincents Vizeweltmeisterschaft sinngemäß: Hoffentlich erhält er hier nun die Förderung, die er benötigt und verdient. Die Antwort kam… Weiterlesen »

Julius
Julius
1 Jahr zuvor

Deutsche unter deutscher Fahne sollten auf internationalen Turnieren eh nicht mehr zugelassen werden. Nach Merkels Geständnis, dass Minker Verträge nie wirklich eingehalten werden sollten und nur Schein waren – muss man Konsequenzen ziehen