Schach, Toilette, Smartphone-Cheating – der Nächste, bitte

Ein mutmaßlicher Betrugsfall überschattet das am 11. Dezember beendete “Benidorm Open”. Nach übereinstimmenden Berichten von Teilnehmern ist der belgische IM Stefan Docx während der achten Runde mit einem Smartphone auf der Toilette aufgefallen. Nachdem er dreimal verweigert hatte, sich mit einem Metalldetektor prüfen zu lassen, wurde er aus dem Turnier ausgeschlossen.

Im Zuge der intensiver denn je laufenden Cheating-Debatte hat der russische Weltklassespieler Alexander Grischuk gerade erst seine Überzeugung formuliert, im Spitzenschach werde viel mehr betrogen als gemeinhin angenommen. “Leider werden nur wenige Spieler auf frischer Tat ertappt. Wir sehen die Spitze des Eisbergs”, sagte Grischuk der Sportzeitschrift Sowetzki Sport. “Sollte das wahre Ausmaß jemals ans Tageslicht kommen, wir werden alle erstaunt sein.” Nur in der absoluten Elite, glaubt Grischuk, ist es nicht so schlimm: “Schließlich gewinnt Magnus Carlsen fast jedes Turnier, an dem er teilnimmt.”

Wie mag es sich unterhalb der Spitze verhalten, dort, wo keine ausgefuchsten Kontrollmechanismen greifen, wo die Räumlichkeiten weitläufig sind, wo mitunter dennoch veritable Preisgelder verteilt werden? So wie in der Urlaubsstadt Benidorm an der Costa Blanca etwa, wo Spieler und Spielerinnen im Vier-Sterne-Hotel “Meliá Benidorm” über neun Runden Schweizer System um mehr als 40.000 Euro kämpften.

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Für Stefan Docx, und das macht den Fall mysteriös, war die Chance auf ein großes Stück vom Preisgeldkuchen in der achten Runde längst dahin. Mit vier Punkten aus sieben Partien gestartet, kann der Versuch, ins Geld zu kommen, nicht der Antrieb gewesen sein, während der Partie auf der Toilette ein Smartphone zu benutzen. Um den Versuch, die Eloperformance zu retten, ging es auch nicht.

Stefan Docx. | via Wikipedia CC BY-SA 4.0

Das Turnier in Benidorm wurde nicht für die Elo gewertet, obwohl die Veranstalter das beantragt hatten. Der Grund ist ein seit einem Jahr schwelender Konflikt des Benidorm Opens mit dem Verband der Region Valencia, der die Auswertung von zwei parallelen Turniere an einem Ort nicht zulässt. Das zur gleichen Zeit ebenfalls in Benidorm laufende “Gran Torneo Internacional” bekam den Elo-Zuschlag, das Benidorm Open nicht.

Sicher ist, es traf keinen Unbekannten. Im belgischen Schach wird offenbar seit Jahren über die Partien und Ergebnisse von Stefan Docx spekuliert. Unter anderem ein Blick in seine Eloentwicklung zeigt, was Anlass zu Stirnrunzeln gibt:

Binnen gut eineinhalb Jahren von September 2011 bis Mai 2013 hat der seinerzeit fast 40-Jährige sein Rating um hansniemannhafte 160 Punkte gesteigert und sich zwei GM-Normen erspielt.

Unter anderem dem ukrainisch-israelischen Großmeister Arthur Kogan kommt seit Jahren spanisch vor, was Docx spielt. Kogan betreibt seit langem eine Facebookgruppe, deren gut 3000 Mitglieder sich der Cheating-Debatte und dem Kampf gegen die Seuche widmen. Nach eigenen Angaben hat Kogan in der Vergangenheit beim Überführen einiger prominenter Cheater mitgewirkt. “Ich habe ein wenig geholfen, mehr nicht”, sagt Kogan auf Anfrage dieser Seite.

Arthur Kogan. | Foto: Katalanischer Schachverband

Auch Partien und Ergebnisse des Belgiers (unter dessen Opfern: Vallejo Pons, Sokolov, Jussupow) hat Kogan längst unter die Lupe genommen – und “ein System” erkannt, das er allerdings nicht genauer erklären will, um Nachahmern keine Hinweise zu geben. Schlecht in den Wettbewerb zu starten, wenn ein sehr gutes Endergebnis geplant ist, eine Norm etwa, sei Teil dieses Systems. Auch gehöre dazu, gelegentlich gewonnene Partien zu verderben.

Laut Kogan hat die FIDE trotz seiner Hinweise ein Verfahren gegen Docx ergebnislos abgeschlossen. Dessen “System” habe die Cheatingerkennung von FIDE-Ermittler Ken Regan überlistet. “Ich würde das nicht öffentlich sagen, wäre ich mir nur zu 99 Prozent sicher”, erklärt Kogan. Aber trotz seine Überzeugung, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, dachte der 48-Jährige bis zur vergangenen Woche, dieser Fall sei erledigt.

Kogan in seiner Anti-Cheating-Facebookgruppe.

Dann fuhr der in Katalonien lebende Kogan nach Benidorm, um einigen seiner Schachschüler über die Schulter zu schauen und am Blitzturnier teilzunehmen. “Ich war überrascht, Docx in dem Turnier zu sehen.” Er habe sogleich die Veranstalter darauf aufmerksam gemacht, dass hier jemand Verdächtiges mitspielt.

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Die Schiedsrichter in Benidorm: (v.l.) Enrique González, Ramón García und Francisco Javier Rubio. | Foto: Ismael Nieto/Benidorm Open

Tags darauf das Turnier-Aus für den Verdächtigen. Chef-Schiedsrichter Ramón García Pérez wollte auf Anfrage dieser Seite nicht im Detail schildern, was auf der Turniertoilette vor sich gegangen ist: “Ich muss meine Worte jetzt vorsichtig wählen.”

García Pérez bestätigt, dass der Spieler nicht zufällig, sondern gezielt überführt worden ist, und dass er ihn aus dem Turnier ausgeschlossen hat, nachdem er dreimal den Detektor-Test verweigert hatte. Alles Weitere liege nicht mehr in seiner Hand. “Ich werde jetzt einen Bericht über diesen Fall an die zuständige Kommission der FIDE schicken, außerdem an den belgischen, den spanischen und den regionalen Verband.”

Eine Bitte dieser Seite vom Dienstagvormittag an Stefan Docx, seine Sicht der Ereignisse zu schildern, ist bislang unbeantwortet. Sobald eine Antwort vorliegt, wird sie in diesen Text eingearbeitet.

(Titelfoto via ChessBase, gestelltes Themenfoto)

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Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Zu September 2011 bis Mai 2013 (lange her): Wie viele Elopunkte “darf” man in welchem Alter zulegen, ohne dass es (mehr als) verdächtig ist? “Netto” waren es genau hundert, da er bereits 2389 hatte, auf 2328 abstürzte und sich dann kontinuierlich (aber auf halber Strecke recht langsam) auf 2489 verbesserte – die erste Hälfte dabei noch mit K-Faktor 15 was es auch etwas relativiert. Ich habe mir das angeschaut: bis auf zweimal Gibraltar war es belgische und niederländische Liga sowie Turniere in Belgien. Da war er manchmal recht klarer Favorit und erzielte fast 100%, manchmal auch Außenseiter und ca. 50%… Weiterlesen »

Schachfreund
Schachfreund
1 Jahr zuvor

“War bekannt, dass er betrügt.” schreibt Christof Sielecki bei Twitter. – Hätte er das über Niemann geschrieben, würde der ihn wohl auf 100 Mio. $ verklagen. Eindeutige, gerichtsfeste Beweise gibt es in beiden Fällen nicht (!), aber der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass es sich um Betrüger handelt. Der (selbsternannte) Experte Ken Regan kann – wie üblich – nichts feststellen, aber seine Methodik ist auch zu naiv für schlaue Betrüger von heute. Die betrügen nämlich nicht in jeder Partie und wahrscheinlich noch nicht einmal in jedem Turnier, sondern nur in einigen Partien und in einigen Turnieren. Auch betrügen sie in… Weiterlesen »

Last edited 1 Jahr zuvor by Schachfreund
Phil Burns
Phil Burns
1 Jahr zuvor

Als Veranstalter muss man klar ankündigen: jeden Tag muss der Metalldetektor passiert werden. Bei Verweigerung folgt der unmittelbare Turnierausschluss. Für jeden. Zuzüglich einer Pressemitteilung. Die FIDE sollte das zur verpflichtenden Regel für alle Turniere bzw. Veranstalter machen.

eisenherz
eisenherz
1 Jahr zuvor

++ … seine Überzeugung formuliert, im Spitzenschach werde viel mehr betrogen als gemeinhin angenommen.++
Was bisher, außer dem Betrug mit einer Schachmaschine, was gar nicht diskutiert worden ist. Kann beim Schach, wie beim Fußball, beim Snooker, beim Boxen, beim Pferdesport e.t.c. auch auf den Gewinner gewettet werden?
Und wie sieht es da mit einem möglichen Wettbetrug von Seiten der Spieler aus? Vorher wetten und absichtlich verlieren und kassieren?

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Wie beim Fall Paehtz ist dazu nun “ziemlich verspätet” etwas auf chess.com erschienen – recht anders: Gemeinsamkeiten sind, dass beide Artikel den Schiedsrichter zitieren, aber recht unterschiedlich, und dass Kogan erwähnt wird (dabei nur hier, dass er direkt beteiligt war/eine wichtige Rolle hatte). Größter Unterschied: Smartphone auf der Toilette wird da gar nicht erwähnt, im Artikel: “His refusal to comply with the body scan in Benidorm was enough to expel him, but neither the tournament arbiter nor the organizer have provided an official statement as to why they have suspicions of cheating.” Quelle von Conrad Schormann ist “nach übereinstimmenden Berichten… Weiterlesen »

Ruben Decrop
1 Jahr zuvor

Auf der Webseite des KSB: Der Königlicher Schachbund Belgien https://www.frbe-kbsb-ksb.be/nl/article?slug=im-stefan-docx (Niederländisch) KSB-Entscheidung nach dem mutmaßlichen Betrugsfall von Stefan Docx im Benidorm-Turnier Der Vorstand der KSB traf sich am Sonntag, den 26. Februar 2023, mit IM Stefan Docx, der von IA Gaston Boutchon begleitet wurde, und mit IA Ramón García Pérez, dem Hauptschiedsrichter des Turniers in Benidorm. Während des Treffens berichtet der Hauptschiedsrichter über die Fakten in Bezug auf Stefan Docx während des Benidorm-Turniers, mit allen Anzeichen für möglichen Betrug, und Stefan Docx erklärt seine Version der Fakten. Der Vorstand stellt einige Fragen zur Klärung des Sachverhalts und schließt die Sitzung,… Weiterlesen »

mathlog
1 Jahr zuvor

Ist das Titelfoto (auf der Hauptseite) ein Symbolbild oder eine reale Aufnahme?

Detlef Leps
Detlef Leps
1 Jahr zuvor

Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, da habe ich noch gerne auf Twitch besseren Spielern zugeschaut, wie sie Turniere bei Lichess oder Chess.com spielten. Nach der deutschen Schachszene – liebe Grüße an alle die mit der deutschen Schachjugend zu tun haben, wurde es etwas internationaler. Besonders auffällig war letztendlich ein österreichischer IM, der es mir letztlich ziemlich versaut hat. Er spielt gerne Online-Turniere mit schnellem Zeitformat. Und beinahe jedes Mal, wenn er verlor, witterte er einen Schummler auf der anderen Seite, nahm seine “ELO”-Entwicklung unter die Lupe und meldete Leute, was ihm seine Zuschauer sicher nicht selten… Weiterlesen »

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Zu Kogans “ACP sadly ignored my report”: Ich habe dazu recherchiert – in altem eigenem Werk https://schach-welt.de/BLOG/blog/betrugsverdacht . Damals spielte ja auch der Fall Borislav Ivanov. Im Artikel “Interviews” per Email mit Ken Regan und dem damaligen ACP-Präsidenten Emil Sutovsky – der schon damals Cheating als “major problem in chess” und “Plage” bezeichnete, nach eigener Ausssage unabhängig von und schon vor dem Fall Ivanov. Sutovsky anno 2013: “Niemand hätte gedacht dass Feller schummelt. Inzwischen gibt es schwere Verdächtigungen (“profound suspicions”) zu einer Reihe (“quite a few”) Spielern mit Elo 2400-2500, und das ist WIRKLICH beunruhigend.” Einer dieser anonymen Spieler war… Weiterlesen »

Kenji T
Kenji T
1 Jahr zuvor

Wir haben dazu ein Youtube-Video gemacht: https://www.youtube.com/watch?v=RhelwaWkiHQ

trackback

[…] Schach, Toilette, Smartphone-Cheating – der Nächste, bitteBei einem Betrugsfall in Benidorm vor zwei Jahren gehörte Anti-Cheating-Detektiv Arthur Kogan zu denjenigen, die die entscheidenden Hinweise gaben. […]

Matthias
1 Jahr zuvor

Liebe Schachfreunde! Wir haben solch ein schönes und interessantes Hobby.
Ich finde Conrad Schormanns Berichte höchst lesenswert, aber bitte: lasst uns Schach spielen oder analysieren, und uns nicht die Köpfe über Betrugsfälle heiß reden, in die nieman von uns persönlich involviert ist.
Wenn jemand eine “Dopingkontrolle” verweigert, ist er auszuschließen.
Mal abgesehen vielleicht von Wassili Iwantschuk 😉

Andreas Lange
Andreas Lange
1 Jahr zuvor

Dass Emanuel Lasker Schach960 erfunden hat ist komplett falsch. Ich habe diesen Irrtum kommentierthttps://www.chess.com/blog/Spektrowski/chess960-was-accidentally-invented-by-emanuel-lasker#comment-73816517

Last edited 1 Jahr zuvor by Andreas Lange
Werner B
Werner B
1 Jahr zuvor

Auf dem Klo erwischt? In Zeiten des Internets? Wie dumm ist das denn? Ich kann mich erinneren, dass vor über 30 Jahren ein Herr Mohrensteher, seinerzeit Pastor im kleinen Örtchen Örlinghaussen, auf dem Klo erwischt wurde wie er Eröffnungsaufzeichnungen studierte. Leider zu laut bzw, die falschen Geräusche für den Mann im Nebenkabuff. Ein Blick über die Wand und aus war es.
Aber heute?

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Merkwürdiger Vorfall nun und etwas merkwürdiger Artikel insgesamt – warum sollte Docx auf einen klar gegen ihn gerichteten Artikel reagieren bzw. man kann nicht unbedingt erwarten, dass er das (falls er vor Veröffentlichung kontaktiert wurde) “sofort” schafft? Die Situation jetzt ist einerseits eindeutig – natürlich muss er bestraft werden, und sei es wegen Dummheit. Andererseits sind Details unklar: wann hat er Prüfung mit einem Metalldetektor verweigert? Der Artikel suggeriert irgendwie “dreimal nachdem er mit einem Smartphone erwischt wurde”, was keinen Sinn macht. Kogan schreibt dagegen “daily check”, bei dreimal demnach mindestens einer bevor er vor Ort erschien. Warum hatten diese… Weiterlesen »