Schachprofi Vincent Keymer: “Wir suchen weitere Unterstützung”

Eine Saison wird rund 60.000 Euro kosten.“ Das hat Vincent Keymer jetzt in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Text hinter der Bezahlschranke) über den unmittelbar bevorstehenden Beginn seiner Karriere als Schachprofi gesagt – und durchblicken lassen, dass die Finanzierung dieser Kosten nicht gesichert ist. In Sachen Sponsorensuche gebe es „Ideen und Annäherungen, aber noch nichts Konkretes“.

Schon der zweite Platz bei der veritabel besetzten Europameisterschaft im September war eine Überraschung. Wer hätte gedacht, dass Keymer wenig später Platz fünf beim riesig besetzten Grand Swiss und die Qualifikation für den Grand Prix folgen lässt?!

Das ausführliche Interview kreist um die Coronamonate, um die Doppelbelastung Schule-Schach sowie die Perspektive für die Profizeit danach, die mit einer sportlich gewaltigen Herausforderung beginnen wird: dem Grand Prix von Februar bis April, bei dem die letzten beiden Plätze fürs Kandidatenturnier 2022 zu vergeben sind. Wie sich Abiklausuren im Januar und mündliches Abitur im März mit der Grand-Prix-Vorbereitung vereinbaren lassen, ob diese Vorbereitung womöglich ausfällt oder aufs Nötigste beschränkt werden muss, fragt der Interviewer nicht.

“Hat gut funktioniert mit dem Training”

Die spielfreien Monate ab März 2020 hat Vincent Keymer genutzt, um an seinem Schach zu arbeiten. Die Schule ließ es zu: „Vor allem im ersten Lockdown hatte ich deutlich mehr Zeit für Schach, einfach aus dem Grund, dass Schule zu Hause stattfand.“ Der Schüler Keymer sparte sich den Weg zum Unterricht, er hatte daheim schulische Arbeitsaufträge zu erledigen. Wie und wann, das konnte er sich einteilen.

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Wie sich die verstärkte Arbeit am Schach auf seine Spielstärke auswirken würde, wusste er nicht. Die Bestätigung, dass „es gut funktioniert hat mit dem Training“, stellte sich erst mit den Erfolgen im zweiten Halbjahr 2021 ein: Platz zwei bei der Europameisterschaft, Platz fünf beim Grand Swiss, außerdem eine ordentliche Premiere in der Nationalmannschaft („schon etwas Besonderes”) – mit Ausnahme der im Interview ausführlich besprochenen Nicht-Partie zum Auftakt, in der Keymer an der Computervorbereitung des Dänen Jonas Buhl Bjerre abprallte:

Während der Turniermonate hat Keymer oft in der Schule gefehlt. „Das muss ich jetzt nachholen.“ Obendrein stehen jetzt Abi-Klausuren auf dem Programm, im März dann das mündliche Abitur. Es sei gerade viel zu tun für die Schule, sagt Keymer, der gegenwärtig bei der Schnellschach- und Blitz-WM ebenso aussetzt wie im Januar in Wijk an Zee;  

Nicht nur ohne Firouzja, Wijk wird auch fast ohne deutsche Teilnehmer stattfinden. Einzig Roven Vogel spielt im B-Turnier unter schwarz-rot-goldener Flagge.

Nach vollbrachtem Abitur wird der Großmeister Vincent Keymer Schachprofi sein. Er will dann etwa so viel spielen wie im zweiten Halbjahr 2021. Dieses Pensum noch zu steigern, hält er für wenig sinnvoll, das würde wahrscheinlich zu sehr an den Kräften zehren. Aber er werde sich dann auf Schach fokussieren können, „ohne das Gefühl zu haben, im Unterricht etwas zu verpassen“. Keymer freut sich auf mehr Zeit für Training, mehr Zeit, „um Schach weiter zu begreifen“.  

Und er macht deutlich, dass der Aufwand und damit die Kosten ganz andere sein werden als die eines Schülers, der nebenbei Schach spielt. Zu einem der hoffnungsvollsten Junioren im Weltschach konnte dieser Schüler dank der Grenke-Unterstützung heranwachsen. Die Grenke AG finanziere „bis zu einem gewissen Punkt“ Reisen und Training. „Dafür bin ich sehr dankbar.“

Nun wird die weitere Reise mit dem Fernziel Weltspitze über diesen gewissen Punkt hinausgehen. Keymer: „Wir suchen auf jeden Fall noch weitere Unterstützung.“

Das Jahrhunderttalent des deutschen Schachs sucht Sponsoren – und findet vier Monate lang niemanden. Was ist da los? Versuch einer Analyse. | Foto: Anna Shtourman/FIDE
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NorbertR
NorbertR
2 Jahre zuvor

Bin selbst kein Vereinsschachspieler, aber trotzdem sehr am Schach interessiert. Als jemand, der jahrzehntelang im Tischtennis Wettkampfsport betrieben hat, weiß ich jedoch, dass selbst in einer außerordentlich erfolgreichen Sportart mit zeitweiligem Weltranglistenplatz 1 und dem ehemaligen Wunderknaben Timo Boll (mit 40 immer noch Weltklasse), der in China populärer ist als in Deutschland, die Trauben sehr hoch hängen, wenn man das mit König Fußball vergleicht. Im Tischtennis wie im Schach muss man sich wohl trotz recht hoher Mitgliederzahlen eingestehen, dass die Reichweite über die jeweilige Sportart hinaus allenfalls temporär (bei Olympia etwa) vorhanden ist. Der große Titel muss – so widersinnig… Weiterlesen »

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

Hat so eine Multimillionen Makeup-Barbie nicht irgendwann eine Kampagne gestartet, wo ihr irgendwelche Simps die letzten 100 Millionen zur ersten “selbstverdienten” Milliarde gespendet haben?

Vincent sollte einfach mal eine Gofundme Seite an den Start bringen. Oder wie das heißt. Das ist basically free money. 60k kriegste doch instant. Dafür musste nicht mal in ein Bathtub steigen. Und falls doch… im Sinne der Gleichberechtigung einfach die Nippel abkleben… gibt’s auch keine Probleme mit Twitch.

cyronix
cyronix
2 Jahre zuvor

Ich dachte er wird von Grenke gesponsert? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für das wohl einzige Talent in DE, das wirklich in die Weltspitze gelangen kann, sich kein Sponsor findet. Wäre ein Armutszeugnis für ein Land wie Deutschland.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

Kommt was in form von Preisgeldern und Bundesligaeinsätze zurück ?
Sonst wäre es ja ungeschickt Profi zu werden.
Wie ich gelesen habe will die Bundeliga mit ihrem neune Leitbild einheimisch ausgebildete Talente fördern.
Im Fokus steht wohl zur zeit ein 18 Jähriger aus Österreich. Talente ein zu setzen ist aber auch günstiger wenn sie noch Geld mitbringen.

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[…] Schachprofi Vincent Keymer: “Wir suchen weitere Unterstützung” […]

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[…] mehr. Aber das Prinzip gilt noch, wie sich zuletzt Keymers Ausführungen zu seiner anhaltenden Sponsorensuche entnehmen ließ. In den kommenden ersten Jahre seiner Profikarriere wird sich Keymer die Turniere […]

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[…] Sponsoren zu akquirieren (was ihm, erstaunlich, auf eigene Rechnung trotz anhaltender Versuche nicht zu gelingen […]

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[…] Euro koste ein Profijahr, hat Keymer Ende 2021 gesagt, als er seine Sponsorensuche öffentlich machte. Diese Suche läuft offenbar unverändert, hat sich doch seitdem nur die Online-Plattform […]