“Wir waren eingerostet”: Spielertrainer Michael Prusikin und die junge deutsche Mannschaft beim Mitropacup

An Sieben gesetzt, Sechster geworden. Zufrieden war Spielertrainer Michael Prusikin mit dem Abschneiden der jungen deutschen Mannschaft beim Mitropacup trotzdem nicht: “Es war mehr drin.” Wir haben mit Prusikin das Turnier Revue passieren lassen, über die Akteure gesprochen und über den Modus, in dem ab morgen in Magdeburg die World-Cup-Qualifikation ausgetragen wird: Hybrid-Schach, wie fühlt sich das an?

Brett eins für Deutschland: Michael Prusikin beim Mitropa-Cup. | Fotos: Deutscher Schachbund

Michael, du hast beim Mitropacup das erste und zweite Brett der deutschen Mannschaft gehütet. Wie kam das?

Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler rief mich an, er suchte noch einen Spieler. Ich habe mich über die Gelegenheit gefreut, wieder ein Turnier zu spielen …

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… in Verbindung mit einem Trainer-/Betreuerjob für die junge Mannschaft?

So war das Konzept. Die Mannschaft bestand aus drei jungen Kaderspielern, zwei davon noch minderjährig, plus Daniel Fridman und mich, die sich ein Brett teilen würden. Daniel hat als Coach für die Frauen ausgeholfen, ich für die Jungs. Wir beiden hatten quasi drei Jobs für zwei Leute: Jeder hatte eine Mannschaft vorzubereiten und selbst zu spielen.

Mit welcher Ambition seid ihr in den Wettbewerb gegangen? Nominell war ja abzusehen, dass die Mannschaft mit den Medaillen nichts zu tun haben würde.

Wir waren unter zehn Mannschaften an sieben gesetzt. Für uns ging es in erster Linie darum, Praxis zu sammeln, gegen gute Leute zu spielen. Die drei jungen Kaderspieler waren in fast allen Partien nominelle Underdogs. Und eine Reihe von Partien gegen stärkere Gegner zu spielen, ist das beste Training.

Trotzdem, wenn du am Brett sitzt, willst du Ergebnisse bringen. Wie fällt deine sportliche Bilanz aus?

Den Ergebnissen nach haben wir zumindest nicht schlecht abgeschnitten: an Sieben gesetzt, Sechster geworden, das ist in Ordnung. Aber ganz glücklich bin ich nicht, es war mehr drin. Den Jungs ist am Ende ein wenig die Puste ausgegangen, ich bin mir gar nicht sicher, woran das lag. Wir waren ja sehr gut gestartet, wenn auch gegen eher schwächere Mannschaften. Trotzdem ließen die Ergebnisse am Ende stärker nach, als das zu erwarten war.

Endspiel-Experte: Ruben Gideon Köllner war neben Daniel Fridman der einzige deutsche Spieler, der aufs Brett verzichtete.

Speziell bei Ruben Gideon Köllner.

Der ist mit 3,5/5 ohne Niederlage gestartet, hat sehr gute Partien gespielt und klar überperformt. Dann hat er die letzten vier verloren, bitter. Und den Partien nach auch unnötig. Ruben ist eine Reihe von guten bis gewonnenen Stellungen nach langem Kampf entglitten. Er war verständlicherweise ziemlich frustriert nach dem Turnier.

Kannst du für die Leser die drei Jungs ein wenig einordnen? Sie repräsentieren ja eher die zweite Reihe unserer Spitzentalente, man weiß gar nicht so viel über ihr Schach. Über Ruben Gideon Köllner zum Beispiel habe ich beim DSB gelesen, er sei Endspielspezialist. Ungewöhnlich für einen jungen Spieler.

Wirklich gut kannte ich die drei vor dem Turnier auch nicht, darum will ich beim Einordnen vorsichtig sein. Ruben scheint jemand zu sein, dem eher das Positionelle und eher das Endspiel liegt, das ist auch mein Eindruck. Begabungen drücken sich unterschiedlich aus, wir sprachen neulich darüber. Seine Begabung scheint in diese Richtung ausgeprägt zu sein. Beeindruckt hat mich zum Beispiel der Schwarzsieg gegen GM Robert Zelcic aus Kroatien. Ruben hat einem über 100 Punkte stärkeren Gegner ein ausgeglichenes Endspiel überzeugend abgenommen. Zum Schluss des Turniers zeigte sich leider, dass Ruben in scharfen, rechenintensiven Stellungen einiges verpasst. Aber lieber so als andersherum.

Warum?

Defizite bei der Kalkulation sind leichter aufzuholen als zum Beispiel solche bei der Endspieltechnik. Sich die anzueignen, wäre ein großer Aufwand. So, wie es ist, liegt auf der Hand, was Ruben schachlich in den nächsten Monaten zu tun hat. Wenn er gezielt seine Schwächen angeht, sollte er recht bald einen großen Sprung machen.

Lust am Kampf: Königsindisch-Spezialist Ashot Parvanyan.

Ist Ashot Parvanyan womöglich der gegenteilige Fall? Wenn ich nach ein, zwei Stunden in dessen Partien reinschaue, sehe ich oft ein Durcheinander, während Köllner oft eher klar definierte Strukturen auf dem Brett hat.

So eindeutig finde ich das nicht. Ashot spielt auf scharfen Kampf ausgelegte, verpflichtende Eröffnungen, Königsindisch zum Beispiel. Er hat ein tiefes, aber sehr enges Repertoire …

… Hast du ihm dein neues Buch übers Damengambit in die Hand gedrückt?

Nein, das nicht (lacht). Aber wer so spielt wie Ashot, der bekommt häufig den scharfen Kampf, den er provoziert. Und dieser Kampfgeist, auch diese Lust am Kampf, sehe ich als ein hervorstechendes Merkmal seines Schachs. Ashot macht keine Gefangenen, seine Partien sind oft – wie bei Ruben – sehr lang. Aber ich würde nicht sagen, dass Ashot in erster Linie taktisch geprägtes Schach spielt. Anhand der begrenzten Zahl von Partien beim Mitropacup hatte ich eher den Eindruck, dass Alexander Krastev unser Cheftaktiker war.

Der typische jugendliche Taktik-Teufel?

Alexander hat seine Partien gar nicht einmal darauf angelegt. Aber wenn es Taktiken zu sehen gab, dann hat er sie gesehen …

Nein, da hängt nichts. Weder c6 noch a5.

… 40.c6 gegen Kroatien!

Zum Beispiel. Übermäßig schwierig zu sehen war das nicht, aber es war der 40. Zug, und er hatte nicht viel Zeit. Insofern war das stark, auch im Kontext der sonstigen Vorstellung unserer Mannschaft. Offensichtlich waren wir alle eingerostet, auch der Modus war ungewohnt. Taktisch ist uns auffällig viel durch die Lappen gegangen.

Stichwort „Modus“: Hybrid-Schach, aber noch ohne elektronisches Brett. Ihr musstet quasi jeden Zug zwei Mal ausführen: am Bildschirm und auf dem Brett.

Nein, das mussten wir nicht. Es stand ja jedem Spieler frei, ob er das Brett benutzen möchte. Das wurde unterschiedlich gehandhabt. Ruben Gideon Köllner und Daniel Fridman haben ohne Brett gespielt. Vielleicht hat das Spielen am Bildschirm in Verbindung mit seinen langen Partien bei Ruben dazu geführt, dass er am Ende nachgelassen hat? Ich weiß es nicht, es ist nur eine Vermutung im Nachhinein, dass er schneller müde geworden ist, weil er auf das Brett verzichtet hat.   

Wie hat sich das Format für dich angefühlt?

Hybrid kommt dem normalen Turnierschach schon recht nahe, darüber waren wir uns als Mannschaft fast einig. Auf jeden Fall gibt es aus meiner Sicht mehrere Vorteile gegenüber Onlineschach. Ich bin ja ein großer Verfechter der klassischen Zeitkontrolle, und die hatten wir beim Mitropacup: endlich wieder eine normale Bedenkzeit, wie es sie online eigentlich gar nicht gibt. Das war in meinen Augen der größte Pluspunkt.

Und das Brett?

Auch das war für mich wichtig. Am Bildschirm bin ich gefühlt 200 Punkte schlechter. Dazu kommt noch, dass wir ohne Maske spielen konnten, weil uns niemand gegenübersaß. Zuletzt habe ich zwei Partien mit Maske spielen müssen, das empfand ich als anstrengend. Im Nachhinein sehe ich zumindest für die Pandemiezeit diese drei Vorteile: lange Bedenkzeit, mit Brett, ohne Maske. Trotzdem würde ich immer ein Turnier, wie wir es kennen, bevorzugen.

Deine stärkste Partie beim Mitropacup hast du dir für die letzte Runde aufgehoben: Schwarzsieg gegen einen 2628-Großmeister. Würdest du die Partie für die Leser zeigen?

Gerne. Aber ich möchte vorwegschicken, dass ich gar nicht so viel zur Partie beigetragen habe. Vor allem hat er sich selbst umgebracht. Trotzdem ist ein Schwarzsieg gegen einen fast 100 Punkte stärkeren Spieler natürlich eine schöne Sache.

Nein, das wird nicht matt. Michael Prusikin hatte es vorab ausgerechnet.

Montag beginnt die World-Cup-Qualifikation im Hybrid-Modus. Du liegst mit deinen 2547 Elo drei Punkte unter den 2550, die Teilnehmer mindestens auf die Waage bringen müssen. Ärgerlich?

Ach, das wäre für mich wahrscheinlich ohnehin keine Option gewesen. Zwei Turniere direkt hintereinander! Ich kann ja nicht so lange zum Schachspielen abtauchen und meine Schüler allein lassen. Aber für die jetzigen Teilnehmer ist es wegen des Hybrid-Modus eine kostengünstige Gelegenheit, sich für den World Cup zu qualifizieren. Diese Qualifikation habe ich zwei Mal per Europameisterschaft versucht. Beide Male habe ich sehr gut gespielt, 2650-Performances, und beide Male hat es trotzdem nicht gereicht. Das war mit Anreise und Übernachtung jeweils ein teurer Spaß.

(Wird fortgesetzt. In Teil 2: Michael Prusikin über sein neues Buch “Das Damengambit: ein Schwarzrepertoire für Vereinsspieler”)

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