Entscheidung über neuen Grand-Prix-Modus: Chance für das K.-o.-System, Signal für das Spitzenschach

Das mit Abstand aufregendste, fesselndste, spannendste Turnier im Schachzirkus zu benennen, ist einfach: der alle zwei Jahre im K.-o.-Modus ausgetragene World Cup. Und das zweitaufregendste? Hmm. Da fällt uns auf Anhieb keines ein – und das ist ein Indiz für die Systemkrise, in der sich das organisierte Turnierschach befindet.

Nächste Woche hat das FIDE-Präsidium die Chance, für alle Turnierveranstalter ein Zeichen zu setzen. Die Funktionäre befinden darüber, ob künftig auch der Grand Prix als K.-o.-Turnier ausgerichtet werden soll.

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Wo sonst bekommt die nigerianische Nummer drei die Chance, ein Match gegen den Weltmeister zu spielen (und sich mehr als wacker zu schlagen)? Und wo sonst sehen wir den Weltmeister, nachdem er diese Hürde genommen hat, in der dritten von acht Runden ausscheiden? Und das waren nur zwei von Dutzenden Dramen, die sich beim World Cup 2017 abgespielt hatten, bis am Ende von 128 Schachmeistern zwei übrig blieben: Levon Aronian und Ding Liren sicherten sich die beiden zu vergebenen Tickets für das Kandidatenturnier. Diese beiden fuhren nach Berlin, alle anderen nach Hause.

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Der Grand Prix lahmt: viele Remisen, wenige Zuschauer

Zwei weitere Tickets für das Kandidatenturnier werden an die beiden Erstplatzierten des Grand Prix vergeben, und der lief bislang als Serie von Schweizer-System-Turnieren ab: lahme Veranstaltungen, die auf dem Brett viele kurze Remisen produzieren und kaum Zuschauer vor die Bildschirme locken.

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Jon-Ludvig Hammer. (Foto: David Llada)

Der Vorschlag, wie sich der Grand Prix aufpeppen ließe, stammt vom norwegischen Großmeister Jon-Ludvig Hammer. Er würde die 32 Teilnehmer Matches spielen lassen, bis nur noch vier übrig sind. Diese vier würden das Halbfinale spielen, dessen beiden Sieger zum Kandidatenturnier fahren. Hammer berichtete unlängst in seinem Beitrag auf chess.com, dass die FIDE und ihr Turnierveranstalter Agon großes Interesse an seinem Vorschlag zeigen.

Ab dem 8. Juli tagt in Bukarest das FIDE-Präsidium, in dem auch der Deutsche Herbert Bastian sitzt (und laut den unlängst veröffentlichten Sitzungsprotokollen ausschließlich durch Anwesenheit auffällt). Auf der Tagesordnung steht unter anderem eine Debatte und Entscheidung über Hammers Vorschlag. Würden die Funktionäre den Grand-Prix-Modus ändern, es wäre ein gewichtiges Zeichen, auch anderswo dem K.-o.-System eine Chance zu geben.

Wer die große und gefühlt wachsende Zahl stark besetzter Rundenturniere anschaut, der sieht, dass Schach im Prinzip brummt. Aber es könnte eben viel aufregender sein, wenn

  • nicht ständig die üblichen Verdächtigen ausschließlich untereinander spielten
  • ein Remis mit Weiß mehr schmerzte

Den ersten Punkt müssen die Veranstalter ohnehin dringend anpacken.

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Die üblichen Verdächtigen bleiben meistens unter sich. Mal sind sie in Stavanger versammelt, mal in St. Louis. (Illustration: Willum Morsch/@WillumTM)

Als 1994 das Turnier in Linares mit einem Elo-Schnitt von 2.685 erstmals die Kategorie 17 erreichte, war das noch eine Sensation. Seitdem stiegen die Elo-Zahlen ebenso wie die Zahl der Veranstaltungen, bei denen die Top Ten unter sich bleiben. Diese Entwicklung gehört gestoppt. Elo-Kategorien interessieren niemanden mehr.

Die Top 50 der Weltrangliste sind gespickt mit jungen, hungrigen Großmeistern, die nur danach lechzen, sich mit den Allerbesten zu messen. Aber nicht einmal der chinesische Wunderknabe Wei Yi bekommt Einladungen zu Superturnieren, obwohl er längst zwar nicht zu den allerbesten, aber spektakulärsten Spielern des Planeten zählt.

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Beim Tata-Steel-Turnier darf Wei Yi gelegentlich mitspielen. (Foto: Alina l’Ami, Tata Steel Chess)

Die Organisatoren des Tata-Steel-Turniers machen vor, was andere nachmachen sollten: Zu Beginn jedes Jahres trifft in Wijk an Zee ein halbes Dutzend der üblichen Verdächtigen auf ein halbes Dutzend weniger Etablierter, die die Veranstalter unter anderem nach Kriterien wie Kampfgeist und Originalität ausgewählt haben. Anders sieht es bei der um ihre Identität ringenden Grand Chess Tour aus: Dort gibt es wenige Wild Cards, und eine solche bekommt im Zweifel Vladimir Kramnik oder Magnus Carlsen, kein Newcomer.

Deutschen Veranstaltern fehlen geeignete Spieler

Erfreulicherweise versuchen deutsche Veranstalter längst, ihre Teilnehmerfelder besser zu mischen, naturgemäß, indem sie Einheimischen die Chance geben mitzuspielen. Nur findet sich seit Arkadij Naiditschs Wechsel nach Aserbaidschan im Breitenschach-Hoheitsgebiet Deutschland kein Spieler, der das Potenzial hat, so ein Spitzenturnier aufzumischen. Mit Vincent Keymer wächst zwar einer heran, aber der braucht noch ein wenig Zeit.

Das vieldebattierte Remisproblem ist insofern keines, als die meisten Spieler keine Schuld trifft. Remis ist beim Schach nun einmal das logische Ergebnis. Bei Runden- wie Schweizer-System-Turnieren ergeben sich überdies zwangsläufig Konstellationen, in denen ein Unentschieden für beide Kontrahenten ein gutes Ergebnis ist.

Das Problem ist der Modus. Wer ein Match als Teil eines K.o.-Turniers spielt, der wird keine Weißpartie verschwenden wollen.

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