Chennai, Neu-Delhi und Singapur sind die möglichen Austragungsorte der Schach-WM 2024. Das hat jetzt der Schachweltverband FIDE bekannt gegeben. Wackelkandidaten gibt es nicht unter den Bewerbern. Alle Gebote seien durch erhebliche finanzielle Mittel und Unterstützung der Regierungen gesichert, sagte FIDE-Generalsekretär Emil Sutovsky gegenüber Chessbase India. Drei sehr ernsthafte Bewerbungen von potenziellen Ausrichtern zu bekommen, sei ein Rekord in der jüngeren WM-Geschichte.
In der zweiten Junihälfte soll eine Entscheidung fallen. Bis dahin und wahrscheinlich auch danach sieht sich die FIDE inmitten eines indischen Konflikts um das Match. In Indien läuft bis zum heutigen Samstag die Parlamentswahl, die „größte Wahl der Welt“ mit fast einer Milliarde Wahlberechtigten. Eine der Bewerbungen um das WM-Match ist dem Regierungslager zuzuordnen, die andere der Opposition aus der Schachprovinz Tamil Nadu.
Dass zwei der drei Gebote aus Indien stammen, ist angesichts eines indischen WM-Finalisten nicht überraschend. Chennai, Heimatstadt von Gukesh und zahlreicher anderer Protagonisten des indischen Schachwunders, 2013 WM-Schauplatz und 2022 Gastgeber der Schacholympiade, hatte schon unmittelbar nach der Ausschreibung Interesse bekundet. Sutovsky betonte, dass die Begeisterung der Bevölkerung und die erfolgreiche Geschichte der Stadt als Austragungsort wichtige Faktoren sind. “Wir wissen, wie sehr Schach in Chennai geliebt und geschätzt wird”, fügte er hinzu. Hinter dem Angebot aus Chennai steht die Regierung der Provinz Tamil Nadu.
Das zweite indische Gebot kommt aus der Hauptstadt Neu-Delhi. Obwohl es das letzte, am letzten Tag der Bewerbungsfrist eingereichte Gebot war, ist es keineswegs ein marginales. Die Organisatoren wollen das WM-Match an einem der prestigeträchtigsten Orte des Landes abhalten, dem Veranstaltungsort des G20-Gipfels 2023. Dieses Angebot tragen der indische Schachverband AICF sowie das indische Sportministerium.
Tatsächlich wird in Indien mit harten Bandagen um das Match gekämpft. Nach einem Bericht der Hindustan Times sieht der nationale Verband die Bewerbung aus Gukeshs Heimatstadt als kaum legitim. “Wir sind der einzige Verband, der von der Regierung eine Einverständniserklärung für die Bewerbung erhalten hat”, sagte AICF-Präsident Nitin Narang gegenüber der Tageszeitung. Gemäß der Politik des Ministeriums für Jugend und Sport müsse eine solche Zustimmung eingeholt werden, bevor man sich um eine internationale Veranstaltung bewirbt. Die Bewerbung aus Chennai sei nicht mit dem nationalen Verband abgestimmt.
Die Kandidatur von Tamil Nadu wird vom Ministerpräsidenten MK Stalin angeführt, Vorsitzender der tamilisch geprägten, für regionale Autonomie eintretende Partei DMK. Die DMK ist Teil des Oppositionsblocks, der bei den gerade laufenden indischen Wahlen gegen die amtierende Regierung des hinduistisch-autoritär orientierten Premierministers Narendra Modi antritt. Gerade erst haben Modi und Stalin einander Korruption vorgeworfen. Die Parlamentswahl endet am heutigen Samstag. Am 4. Juni soll ausgezählt und das Ergebnis verkündet werden.
Zur Zulässigkeit der Bewerbung aus Tamil Nadu sagte FIDE-Justiziar Alexander Martynov gegenüber der Hindustan Times, es gebe seitens der FIDE keine Vorschrift, dass Bewerbungen über den nationalen Verband laufen müssen. Allerdings sei die Meinung des nationalen Verbandes einer der Faktoren, die die FIDE bei ihrer Entscheidung berücksichtigt. Sutovsky: „Wir müssen sehr sensibel vorgehen, um niemanden zu beleidigen und keine zusätzlichen internen Spannungen in Indien zu erzeugen.“
Ein Inder, der in Indien gegen einen Chinesen um die Weltmeisterschaft kämpft: laut Hindustan Times ein heikles Szenario, das politisch instrumentalisiert werden könnte: „Aufgrund der politischen Spannungen zwischen Indien und China in den vergangenen Jahren wird auch die Sicherheit im Mittelpunkt stehen. Und ein Inder, der gegen einen chinesischen Spieler antritt, um möglicherweise Weltmeister zu werden, sorgt für eine außergewöhnliche Optik. Eine Optik, die sich die politische Führung Indiens zunutze machen könnte.“
Das Gebot aus Singapur wird von der Singapore Chess Federation und der Regierung sowie privaten Unternehmen unterstützt. Kevin Goh, der Leiter der Singapore Chess Federation und selbst Schachgroßmeister, war maßgeblich an der Vorbereitung des Gebots beteiligt. Für Singapur spricht die geografische Lage – nicht Indien, nicht China, aber für beide Kontrahenten nicht allzu exotisch – und dazu die multikulturelle Bevölkerung, darunter zahlreiche Menschen mit chinesischen oder indischen Wurzeln. Singapur sei „perfekt für jede Art von Veranstaltungen, wirtschaftliche, sportliche oder Unterhaltungsevents”, sagt Sutovsky. Außerdem sei es ein neutraler Austragungsort, auch das ein Plus.
Wie hoch die drei Gebote sind und welche Rolle deren Höhe spielt, dazu sagte Sutovsky gegenüber Chessbase India wenig. Für das Match, voraussichtlich vom 20. November bis 15. Dezember, hat die FIDE ein beträchtliches Mindestbudget von 8,5 Millionen Dollar aufgerufen. Sutovsky ließ durchblicken, dass mindestens eines der drei Gebote darüber liegt.
Auf Seiten der FIDE wird jetzt intern beraten. Überdies ist ein Austausch mit allen Bewerbern geplant. Die Wahl des Austragungsortes für das Weltmeisterschafts-Match 2024 soll nur der Anfang sein. Die aus dem WM-Vergabeprozess entstandenen Partnerschaften will der Weltverband laut Sutovsky nutzen, um künftige Schachveranstaltungen anzustoßen und das allgemeine Interesse am Schach zu steigern.
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