Was habe ich mir da eingebrockt“, dachte Kevin Goh Wei Ming, nachdem der Schach-Weltverband das WM-Match 2024 tatsächlich in seine Heimat vergeben hatte, nach Singapur. Dann begab sich der Chef des Schachverbands von Singapur auf X/Twitter und teilte der Welt mit: „Ich tauche jetzt für fünf Monate ab.“ Vom 20. November bis 15. Dezember werden Titelverteidiger Ding Liren und Herausforderer Gukesh in Singapur um die Weltmeisterschaft spielen. „Eine große Verantwortung, aber auch eine enorme Chance für uns“, sagt Goh.
Abseits des Brettes wird Kevin Goh Wei Ming eine zentrale Figur des Matches sein. Der 40-Jährige (am 7. Juli wird er 41) war derjenige, der die Bewerbung seines Heimatlandes initiiert hat. Als Chef des Organisationskomitees wird er derjenige sein, der die Vorbereitung koordiniert und von dem abhängt, ob die Veranstaltung ein Erfolg wird.
GM Goh, Singapurs erster Großmeister nach 21 Jahren, leitet seit gut einem Jahr die Geschicke des singapurischen Schachs. Dass er einmal Funktionär werden würde, hielt der studierte Finanzfachmann (Accounting-Bachelor) lange nicht für möglich. Als CFO hatte er 2017 beim Biotechnologie-Startup Lucence angeheuert, ein seitdem schnell wachsendes Unternehmen, das Bluttests für die Krebs-Früherkennung und -Behandlung entwickelt.
Indirekt war es der Krebs, der IM Goh veranlasste, parallel zum Job einen Anlauf in Richtung GM-Titel zu unternehmen. Im April 2019 war bei seinem Vater Bauchspeicheldrüsenkrebs in einem späten Stadium diagnostiziert worden. „Nach der Diagnose dachte ich, es wäre schön, wenn mein Vater noch sehen könnte, wie ich Großmeister werde“, berichtete Goh dem Trainingsportal ChessMood, das seinen Anlauf begleitete. „Obwohl ich Schach letztlich nur für mich selbst spiele, entstand eine Dringlichkeit in dem Sinne, dass ich zumindest herausfinden wollte, ob ich es schaffen kann, bevor er geht. Ich wusste, er sieht mich gerne in den Nachrichten, und das hat meine Motivation noch ein bisschen mehr gesteigert.”
Kevin Goh Wei Mings GM-Titel 2020 mag eine Initialzündung für das Spitzenschach in seiner Heimat gewesen sein. 2022 erlangte GM Tin Jingyao den Titel, in diesem Jahr folgte Siddharth Jagadeesh, der sich unlängst in beim Sharjah Masters die dritte Norm sicherte. An dieser Entwicklung ist seit einiger Zeit auch ein Deutscher beteiligt: Thomas Luther ist einer der leitenden Trainer des Schachverbands in Singapur.
Vor einem Jahr gab Goh seinen CFO-Job auf und verschrieb sich der Entwicklung des Schachs in seiner Heimat. Als Chef des singapurischen Verbands hat er sogleich den größten Wettbewerb an Land gezogen, den es im Schach gibt. „Eine spontane Idee, die sich langsam zu einer konkreten Bewerbung entwickelt hat“, erklärte Goh jetzt im Gespräch mit ChessBase-India-CEO Sagar Shah.
Während er das Kandidatenturnier verfolgte, sei ihm der Gedanke gekommen. „Ich sah die vielen talentierten jungen Spieler und dachte mir, dass Singapur als neutraler und gut erreichbarer Ort perfekt wäre.“ Diese Idee stieß bei seinen Kollegen auf offene Ohren. Nach Gesprächen mit “Sport Singapore”, der staatlichen Sportagentur, wurde die Bewerbung offiziell eingereicht. „Die Unterstützung durch die Regierung war entscheidend. Ohne ihre Hilfe wäre es nicht möglich gewesen“, betont Goh.
Eine der größten Herausforderungen war die Finanzierung des Events. Das Budget beläuft sich auf etwa 8,5 Millionen US-Dollar. „Die Unterstützung von Sport Singapore ist enorm wichtig, aber wir sind auch auf private Sponsoren angewiesen“, erklärt Goh. Die Verhandlungen mit potenziellen Sponsoren seien noch im Gange. Goh ist zuversichtlich, dass sie die erforderlichen Mittel einbringen werden. „Es geht darum, den Sponsoren attraktive Angebote zu machen und ihnen den Mehrwert einer Beteiligung zu aufzuzeigen.“
Als Leiter des Organisationskomitees steht Goh vor zahlreichen Aufgaben. „Unsere Priorität ist das Wohl der Spieler“, sagt er. Dazu gehört die Bereitstellung hochwertiger Unterkünfte und Trainingsmöglichkeiten. „Wir wollen sicherstellen, dass die Spieler sich voll und ganz auf ihre Partien konzentrieren können.“ Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Vermarktung des Events. „Es geht nicht nur darum, die besten Schachspieler der Welt nach Singapur zu holen. Wir wollen auch die Begeisterung für Schach in der Bevölkerung wecken.“
Zu den geplanten Rahmenveranstaltungen gehören ein Turnier für verschiedene Altersgruppen und Meisterklassen mit Schachlegenden. „Wir wollen die vielen Vorteile des Schachs der breiten Öffentlichkeit präsentieren“, sagt Goh. Ein besonderes Highlight wird ein Schachprogramm für Menschen mit Behinderungen sein. „Schach ist ein inklusiver Sport. Wir wollen zeigen, dass jeder daran teilnehmen kann.“ Außerdem nütze der Schachsport denjenige, die ihn betreiben, auf vielfache Weise: „Strategisches Denken, Konzentration…“, zählt Goh auf. „Diese Vorteile wollen wir bekannt machen und mehr Menschen ermutigen, Schach zu spielen.“
Eine besondere Herausforderung sieht Goh in der Gestaltung der Zuschauerbereiche. „Es reicht nicht aus, zwei Spielern beim Schachspielen zuzusehen. Wir müssen das Event auch für die Zuschauer attraktiv machen“, betont er. Geplant sind Fan-Zonen und Begegnungen mit Schachgrößen, bei denen die Besucher die Möglichkeit haben, ihre Idole persönlich zu treffen. „Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der sich die Zuschauer wohlfühlen und das Event genießen können.“
Ein weiteres Ziel ist es, internationale Schachspieler durch lokale Turniere nach Singapur zu locken. „Wir planen, während der Weltmeisterschaft eine Reihe von Turnieren zu organisieren, um Spielern aus der ganzen Welt die Möglichkeit zu geben, sich mit anderen zu messen“, erklärt Goh. Diese Turniere sollen nicht nur die lokale Schachszene beleben, sondern auch internationale Talente nach Singapur bringen.
Goh betont, dass die Weltmeisterschaft in Singapur nicht nur ein einmaliges Ereignis sein soll. „Wir hoffen, dass dies der Anfang von vielen weiteren großen Schachereignissen in Singapur ist“, sagt er. Ein langfristiges Ziel ist es, Singapur als Schachzentrum in Asien zu etablieren. „Die positive Entwicklung des Schachsports im Land zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Goh lädt Schachfans weltweit in den Insel- und Stadtstaat ein, die WM als Besucher zu erleben: „Kommt nach Singapur. Es wird eine großartige Gelegenheit sein, ein spektakuläres Event zu erleben und unser schönes Land zu besuchen.“ Go betont, Singapur sei neben seiner hervorragenden Infrastruktur auch für seine Gastfreundschaft bekannt. „Wir freuen uns darauf, Gäste aus aller Welt willkommen zu heißen und ihnen die Vielfalt und Schönheit unseres Landes zu zeigen.“
[…] Schach-WM 2024: die Riesenchance für Singapur […]
[…] Weltmeister wie der WM-Herausforderer nutzen die Schacholympiade, um sich für das WM-Match wenig später in Singapur vorzubereiten. Abhängig von der Aufstellung könnten beide schon in Budapest aufeinandertreffen. […]
[…] — Kevin Goh Wei Ming (@kevingohwm) July 31, 2024 Kevin Goh Wei Ming arbeitet schon am Rahmenprogramm. Der WM-Organisationschef will das WM-Match in eine Reihe von Veranstaltungen und Wettbewerben einbetten. […]
Kevin Goh Wei Ming passt zum vorigen Beitrag “zu viele Großmeister?”. Drei GM-Normen (2011, 2012 und 2018) hatte er bereits 2018 und bekam den Titel da unter Vorbehalt, Elo 2500 fehlte noch. Plötzlich war dann aus nachvollziehbar-traurigen persönlichen Gründen Eile geboten, was machte er nun? Erst nochmal drei Normturniere in Serbien – nicht für Normen die er nicht mehr brauchte, sondern für Elopunkte. Danach hatte er Elo 2499, immer noch fehlte ein entscheidendes bisschen. Ein Match gegen einen vietnamesischen GM endete 2-2 – zu wenig, da der Gegner nicht mehr ganz GM-Niveau hatte (Elo 2473). Nach dem nächsten Match gegen… Weiterlesen »