Der Krieg ist vorbei – wenn du willst: Schachfilm gewinnt einen Oscar

Der Animationsfilm “War is Over! Inspired by the Music of John and Yoko” von Dave Mullins und Sean Ono Lennon hat einen Oscar als bester animierter Kurzfilm gewonnen. Der Film erzählt die Geschichte zweier Soldaten gegnerischer Armeen, die über die Front hinweg eine Schachpartie spielen. Die Züge übermitteln sie mithilfe einer Brieftaube, der eigentlichen Hauptfigur und Heldin des Films. Mullins, Lennon und Produzent Brad Booker empfingen die Oscar-Trophäe aus den Händen von Beth-Harmon-Darstellerin Anya Taylor-Joy, die die Hauptrolle in der erfolgreichsten Schachproduktion jemals gespielt hat.

Trailer zum oscarprämierten Schachfilm.

“Happy Xmas (War Is Over)” war die siebte Single, die John Lennon abseits seiner Arbeit mit den Beatles veröffentlichte, ein Weihnachts- und Antikriegslied zugleich, Protest gegen den anhaltenden Krieg in Vietnam. Die Botschaft: Frieden ist möglich, der Krieg ist vorbei, wenn du nur willst.

Wahrscheinlich war es Teil des Konzepts, die Botschaft in einem Weihnachtssong zu verpacken. So würde sie Jahr für Jahr zur Weihnachtszeit neu ertönen. Die Charts eroberte “Happy Xmas (War is over)” erst nach dem Tod von John Lennon.

Bevor “War Is Over” ein Lied wurde, war es Teil einer Reihe von Friedensprotesten, die John Lennon und Yoko Ono 1969 inszenierten. Im Dezember 1969 hängten sie in 12 Großstädten auf der ganzen Welt schwarz-weiße Plakate auf. Darauf stand: “Der Krieg ist vorbei! Wenn du das willst – frohe Weihnachten von John & Yoko”.

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Heute betreut Sean Lennon das künstlerische Erbe seiner Eltern – mit dem Segen von Yoko Ono (91). “Ich bin dankbar, dass sie mir die Freiheit gibt, verrückte Dinge zu versuchen”, sagt Lennon gemäß einem Bericht der New York Times. “Sie ist immer noch die Königin der Familie.” Auf der großen Bühne der Oscarverleihung dankte Lennon seiner Mutter und animierte das Auditorium, ihr Muttertagsgrüße von Hollywood nach Großbritannien zu schicken.

“Immer noch die Königin der Familie” – Yoko Ono (Spiegel-Porträt für Abonnenten).

Seit dem 50-jährigen Jubiläum des Lieds von John Lennon und Yoko Ono hat Sean Lennon daran gearbeitet, die Botschaft anhand einer Erzählung zu erweitern. Aus diesem Vorhaben entstand das Projekt “War Is Over! Inspired by the Music of John & Yoko” unter der Regie von Dave Mullins.

Der elfminütige Film spielt auf einem der Westfront des Ersten Weltkriegs nachempfundenen Schlachtfeld. Zwei Soldaten der gegnerischen Seiten spielen Schach, indem sie einander die Züge per Brieftaube schicken. Über einem verschneiten Niemandsland fliegt die Taube vom einen zum anderen, während unter ihr der Krieg tobt und um sie herum Geschosse explodieren. Auf dem Höhepunkt der Geschichte werden beide Armeen in einen blutigen Nahkampf geschickt. Es ertönen die ersten Zeilen von John und Yokos Lied: “So this is Christmas. And what have you done?”

Lennon und Mullins haben sich über einen gemeinsamen Freund kennengelernt. Bei einem ersten Treffen entstand das Grundkonzept mit dem Schlachtfeld, der Schachpartie und der Boten-Taube, inspiriert vom „Weihnachtsfrieden“ 1914. Aus diesem Konzept entwickelte der ehemalige Pixar-Regisseur Mullins das Drehbuch. „War is Over!“ ist nun das erste abgeschlossene Projekt seiner eigenen Produktionsfirma „ElectroLeague“.

Als das erste Gespräch von Mullins und Lennon um den kurzen Frieden an der Westfront zu Weihnachten 1914 kreiste, entstand nach und nach das Gerüst für den Film, der jetzt einen Oscar gewann.

Für den schachlichen Part ließ sich Mullins von Edward Winter beraten, dem Macher von chesshistory.com. Das Ende der Partie sollte eine seltene Sequenz zeigen: ein Schachgebot, das mit einem Zug pariert wird, der mattsetzt. Winter empfahl die Partie zwischen Efim Bogoljubow und dem international wenig bekannten englischen Schachmeister Arthur Henry Trott, gespielt in Southsea 1950. Diese Partie, mit vertauschten Farben, ist nun diejenige, die im Film zwischen den beiden Soldaten gespielt wird.

Die Partie aus dem Film in der Analyse. Sie endet, indem Bogoljubow ein Schachgebot pariert und zugleich mattsetzt.

Auch die Geschichte des einstigen WM-Herausforderers Bogoljubow ist vom Krieg geprägt, von beiden Weltkriegen. 1914 spielte der 1889 in der heutigen Ukraine geborene Bogoljubow beim 19. DSB-Kongress in Mannheim sein erstes Turnier im Ausland, ein Wendepunkt seines Lebens. Während des Turniers brach der Erste Weltkrieg aus, Bogoljubow wurde interniert und blieb es bis zum Ende des Kriegs. 1927 wurde er deutscher Staatsbürger. 1929 und 1934 verlor er WM-Matches gegen Alexander Aljechin, mit dem er nach 1914 gemeinsam interniert war und unzählige Blindpartien gespielt hatte.

Bogoljubows und Aljechins Nähe zu den Nazis nach deren Machtergreifung ist ein unter Historikern bis heute debattiertes Thema. Sicher ist, NSDAP-Mitglied Bogoljubow zählte zu den Schachmeistern, die Schachfreund und Kriegsverbrecher Hans Frank um sich scharte – in Bogoljubows Fall nicht nur des Schachs wegen. Bogoljubow arbeitete als Übersetzer. Während Frank nach dem Krieg zum Tod verurteilt wurde, lebte Bogoljubow seine letzten Jahre als Schachprofi in Deutschland. Zwei Jahre nach der Partie, die jetzt dem oscarprämierten Film als Vorlage dient, starb er in Triberg.

Aus der Deutschen Schachzeitung im November 1941. Ob mit “ganz rechts Junge” Klaus Junge gemeint ist? Der spielte 1941 in Warschau erstmals gegen Aljechin und Bogoljubow. | via Chess Notes

Eine ganze Reihe von Branchengrößen ist neben den Hauptakteuren Mullins und Lennon an dem Schach- und Friedensfilm beteiligt, darunter der Neuseeländer Peter Jackson, Regisseur der mit 17 Oscars prämierten Herr-der-Ringe-Trilogie. Jackson hat Gedanken zum Drehbuch beigesteuert und mit seiner Firma für visuelle Effekte an der Animation mit ihrem handgezeichneten Stil gearbeitet. “Ich bin stolz darauf, einen kleinen Teil zum Film beigetragen zu haben, ihn zum Leben zu erwecken”, sagte Jackson gemäß der New York Times. “Der Film ist unterhaltsam und charmant – und er zelebriert die Menschlichkeit, ohne zu predigen.“

Die etwa zehn Millionen Dollar teure Produktion begann kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Als die Hamas Israel angriff, war das Werk gerade fertig. Aber der Film bezieht sich trotz seiner WWI-Ästhetik, trotz der aktuell eskalierten Kriege auf keinen konkreten Konflikt. Die Botschaft solle im Mittelpunkt stehen, war Lennons Anliegen. Erkennbare Parteien, die gegeneinander kämpfen, hätten nur davon abgelenkt.

Im Film tragen die beiden Armeen Insignien mit gegensätzlichen geometrischen Mustern: Die Symbole der einen Seite sind rund, die der anderen eckig. Die Schlachtszenen zeigen Soldaten verschiedener Rassen und Ethnien, die die gesamte Menschheit repräsentieren.

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