Schach-WM 2023 – Chinesinnen unter sich: Ju Wenjun vs. Lei Tingjie

Vor dreieinhalb Jahren, im Januar 2020, gewann die Chinesin Ju Wenjun zum dritten Mal den Weltmeistertitel. Im Tiebreak eines umkämpften Matches besiegte sie die Russin Aleksandra Goryachkina. Ab dem heutigen Mittwoch verteidigt sie ihren Titel gegen ihre Landsfrau Lei Tingjie.

Erst die Pandemie, dann der russische Überfall auf die Ukraine haben dazu beigetragen, dass das WM-Match eineinhalb Jahre später stattfindet als geplant. Die befreundeten Kontrahentinnen spielen den Zwölf-Partien-Wettkampf in den zwei Städten, aus denen sie stammen, die erste Hälfte in Shanghai, die zweite in Chongqing. 500.000 Dollar Preisgeld sind ausgesetzt. Die Partien beginnen um 9 Uhr morgens deutscher Zeit.

Ju Wenjun (l.) wird als Favoritin gehandelt, ihren Titel zu verteidigen. Aber allein die Mühelosigkeit, mit der Herausforderin Lei Tingjie bis zum WM-Match spaziert ist, lässt erahnen, dass der Weltmeisterin ein hartes Match bevorsteht. | Foto: Stev Bonhage/FIDE

Mit Lei Tingjie bewirbt sich eine schachliche Spätstarterin um den Titel. Noch als junge Teenagerin bewegte sich das Rating der heute 26-Jährigen um 2000 Elopunkte. Trotzdem gelang es ihr kurz vor ihrem 20. Geburtstag, GM zu werden.

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Bis zum Beginn der Pandemie ging es weiter aufwärts. Beim Grand Swiss 2019 auf der Isle of Man und beim Super-Open in Gibraltar spielte Lei Tingjie 14 Partien gegen 2600- und 2700-GM. Sie gewann eine, verlor drei und remisierte den Rest, Performance über 2600.

Danach vergingen fast zwei Jahre, bis sie ans Brett zurückkehrte – und triumphierte: 9/11 beim Grand Swiss der Frauen, eineinhalb Punkte vor Elisabeth Pähtz (die das “Turnier meines Lebens” gespielt hatte), Performance 2734 und Qualifikation für das Kandidatinnenturnier. Auch das gewann sie souverän.

Mutmaßlich um Russinnen und Ukrainerinnen getrennt zu halten, hatte die FIDE den Modus des Kandidatinnenturniers kurzfristig geändert, ohne das je öffentlich zu begründen. Anstatt eines Rundenturniers wurden K.o.-Matches gespielt. Lei Tingjie marschierte durch den Wettbewerb, ohne einmal in den Tiebreak gezwungen zu werden. Erst besiegte sie beide Muzychuk-Schwestern, Anna und Maria, und im Finale schließlich ihre Landsfrau Tan Zhongyi, die im Halbfinale die WM-Finalistin 2020 Aleksandra Goryachkina ausgeschaltet hatte.

Ju Wenjun (32) hat nach ihrem WM-Sieg 2020 kaum gespielt: keine internationalen Wettbewerbe, nur eine Reihe von Partien in der chinesischen Liga und der chinesischen Meisterschaft. Um Praxis für das WM-Match 2023 zu sammeln, meldete sie für das Sharjah Masters 2023, ein Open, aber eines, das nur GM mit einer Elo von 2500 oder mehr offenstand.

Ju Wenjun beim Sharjah Masters 2023. | via chess-results.com

Anfangs sah es nach einer Sensation aus: Die Weltmeisterin schlug zum Auftakt den indischen GM Murali Kathikeyan (Elo 2627), dann dessen Landsmann Vidit (Elo 2731), gefolgt von zwei Remis gegen Praggnanandhaa (2688) und den Iraner Amin Tabatabei (2677). Diese Schlagzahl vermochte sie über neun Runden nicht zu halten. Trotzdem beendete Ju Wenjun den Wettbewerb mit 4,5/9 und einer veritablen 2680-Performance.

Im Juni schloss Ju Wenjun ihre praktische WM-Vorbereitung mit neun Partien in der chinesischen Liga ab. Sie erzielte sieben Punkte, wenngleich gegen nominell deutlich schwächere Gegnerschaft, sodass am Ende eine 2527-Performance stand.

Erstaunlicherweise sieht die überwiegende Mehrheit der Fachleute Ju Wenjun als Favoritin, zum vierten Mal den Titel zu gewinnen. Dem sportlichen Leistungsvermögen nach sollte Lei Tingjie mindestens auf Augenhöhe sein. Für die Titelverteidigerin spricht zwar ihre Matcherfahrung, aber auch diesen Vorteil hat die Herausforderin im Lauf der Kandidainnen-K.o.-Matches relativieren können.

Ju Wenjuns Sieg über den 2700er Vidit: Das war Agadmator ein Video wert.

Sollte es nach zwölf Partien unentschieden stehen, käme es zu einem Stechen. Darin wäre Ju Wenjun tatsächlich Favoritin, laut „Women’s Chess Coverage“ sogar „überwältigende Favoritin“: Bei der Champions Chess Tour habe sie deutlich besser abgeschnitten als ihre WM-Gegnerin, und auch am Brett reichten Lei Tingjies Schnellschach-Ergebnisse nicht an die der Titelverteidigerin heran.

Lei Tingjie wird versuchen, das Match in der regulären Distanz zu entscheiden. In der Pressekonferenz vor dem Match kündigte sie schon an, dass die Freundschaft mit ihrer Gegnerin nun ruht, bis die Schacht geschlagen ist. “Ich will gewinnen und bin bereit, dafür zu kämpfen“, sagte sie. Druck fühle sie als Herausforderin nicht.

Als neuerlich rein chinesische Angelegenheit dokumentiert das WM-Match 2023 die chinesische Dominanz im Schach der Frauen. 6 der bisherigen 17 Weltmeisterinnen kommen aus China, und, so viel steht schon fest, auch die Weltmeisterin 2023 wird Chinesin sein.

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[…] Schach-WM 2023 – Chinesinnen unter sich: Ju Wenjun vs. Lei TingjieMit Beginn des Matches ruhte die Freundschaft, die die neue und alte Weltmeisterin und ihre Herausforderin verbindet. […]