Russen ausschließen oder nicht? Als Privatmann findet Michael S. Langer keine eindeutig richtige Antwort auf diese Frage. Aber der Niedersächsische Schachverband, dem Langer als Präsident vorsteht, hat sich am 3. März in aller Klarheit zum Krieg und seiner Bedeutung für den Sport geäußert. Seine Forderung: russische und weißrussische Sportler von internationalen Wettbewerben ausschließen. Wir haben Langer gefragt, was internationaler Spitzensport mit Niedersachsen zu tun hat, wie er den heute in Berlin beginnenden Grand Prix mit fünf Russen im Feld sieht – und ob FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich sich erneut zur Wahl stellen sollte. Nicht zuletzt darüber sollte vor der FIDE-Wahl im deutschen Schach geredet werden, findet Langer.
Michael, Niedersachsen hat als erster Schach-Landesverband eine Erklärung zum Krieg abgegeben. Ihr findet, russische und weißrussische Spieler sollten bis auf Weiteres von internationalen Turnieren ausgeschlossen werden. Was hat der Niedersächsische Schachverband mit internationalem Spitzensport zu tun?
Spieler ukrainischer, russischer und weißrussischer Herkunft gibt es auch in Niedersachsen. Aber ein anderer Teil der Erklärung ist mir wichtiger. Als Landesverband wollten wir vor allem verhindern, dass der Krieg in unsere Spielsäle einzieht. Darum haben wir dazu aufgefordert, es nicht an den Brettern auszutragen, sondern, falls nötig, verbal in Umfeldern, in denen das mehr Sinn ergibt. Diese Aufforderung haben wir mit einer Aussage verknüpft, die sich mit der vom Landessportbund, DOSB, Athleten für Deutschland und der damaligen vom Deutschen Schachbund deckte: Auf der Ebene des internationalen Spitzensports, wo es Ländern darum geht, Erfolge für sich zu reklamieren, sollten russische und weißrussische Sportler und Sportlerinnen keine Möglichkeit bekommen, ein zynisches und marodes System durch sportliche Erfolge zu unterstützen.
Eine Aussage, die euren Sport nicht berührt.
Stimmt. Wir sind für Amateursport zuständig, Landesliga und abwärts plus die gemeinsame Oberliga mit Bremen. Die dürfte im Putinschen System keine Rolle spielen, insofern sehe ich, sollten in der Oberliga Russen oder Weißrussen antreten, keinen Widerspruch zu unserer Erklärung.
Unter den Ländern ist Niedersachsen das einzige mit einer wahrnehmbaren Position zum Spitzensport – neben Berlin, das erst vorgeprescht war und dann zeitgleich mit dem DSB seine Position geändert hat.
Was die anderen Schach-Landesverbände machen, war für uns kein Maßstab. Wir haben gesehen, was im niedersächsischen Sport passiert – dort gab es, vor allem übergeordnet, eine Reihe solcher Erklärungen – und haben entsprechend gehandelt. Aber nochmal, uns war und ist vor allem wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir am Brett wertschätzend und nachsichtig miteinander umgehen. Ich finde, dieser Text gehört in diesen Zeiten auf unsere Homepage. Den anderen Landesverbänden habe ich ihn per AKLV-Verteiler zur Kenntnis gegeben.
Reaktionen?
Bisher keine.
Die Spitzensport-Debatte läuft, seitdem der russische Überfall begonnen hat. Ich finde beide Positionen respektabel: Russen ausschließen, damit ihr System sich nicht in ihren Erfolgen sonnen kann, oder Russen spielen lassen, zumindest die Nicht-Karjakins, weil sie eben Sportler sind und keine Kriegsherren. Abseits eurer Verbandserklärung: Was ist deine persönliche Meinung dazu?
Schwierig. Ich ertappe mich dabei, dass ich meine Auffassung sogar binnen eines Tages zumindest in Nuancen justiere. Über allem steht aber meine grundsätzliche Überzeugung, dass der Krieg zu verurteilen ist. Von allen, die für den russischen Einmarsch Verständnis äußern, distanziere ich mich. Danach wird es komplex. „Athleten für Deutschland“ hat noch vor den leider zaudernden Verbänden eine Erklärung abgegeben, der ich persönlich nahestehe. Ich weiß, dass Gruppenstrafen immer einzelne benachteiligen, ich weiß aber auch, in welchem Maß autoritäre Systeme sportliche Erfolge für ihr Image missbrauchen. Sie dort zu treffen, halte ich für einen vernünftigen Ansatz. Aber es gibt eben auch Argumente dagegen, denen ich mich nicht verschließen kann. Ein klares „richtig“ oder „falsch“ sehe ich nicht. In der Tendenz bin ich sicher näher bei der Gruppenstrafe.
Am Dienstag beginnt in Berlin der Grand Prix, ein internationales Spitzenturnier mit fünf Russen im Feld. Das müsstest du in der Tendenz für falsch halten.
Den Grand Prix in Berlin werde ich ignorieren, so gut es geht. Mir fällt es in diesen bedrückenden Wochen generell schon schwer, mich für Sport zu begeistern und Schachpartien zu verfolgen. Vom Grand Prix in Belgrad habe ich nichts mitbekommen außer dem Ergebnis, das mir zwangsläufig irgendwann auf Twitter begegnet ist.
Die erste Position des Deutschen Schachbunds war nah an der von „Athleten für Deutschland“ und lief der der FIDE zuwider. Dann rückte der FIDE-Grand-Prix in Berlin näher, und der DSB hat seine alte Position aufgegeben und eine neue in der Nähe der FIDE eingenommen. Was hältst du von diesem Hin und Her?
Gerade in solchen Fragen, wo es kein Schwarz und Weiß, kein Richtig und Falsch gibt, sind klare öffentliche Positionen heikel. Gleich zwei davon zu beziehen, ist eine erstaunliche kommunikative Leistung. Natürlich beneide ich Ullrich Krause nicht um seine schwierige Position, in der er rund um den Grand Prix Entscheidungen treffen muss. Aber wenn du erst ganz klar „A“ sagst und zehn Tage später ganz klar „B“, dann wirft das unvermeidlich Fragen auf.
Neben dem Hauptschiedsrichter Klaus Deventer werden wir einen zweiten Deutschen im Organisationsstab rund um den Grand Prix haben: Ullrich Krause hat die Entscheidung getroffen, beim Grand Prix den Vorsitz des Schiedsgerichts anzunehmen. Deine öffentliche Reaktion: „Kopfschütteln“. Warum schüttelst du?
Weil ich dieses Amt nicht angenommen hätte.
Du bist 2014 nach wenigen Tagen von einem FIDE-Amt zurückgetreten.
Das war kurz nach der Annexion der Krim, auch damals spielte die Frage nach der russischen Dominanz innerhalb der FIDE eine Rolle. Konkret ging es um pro oder contra Iljumschinow. Ich war beim FIDE-Kongress 2014 zum Kassenprüfer gewählt worden, eine Kampfabstimmung gegen die Präsidentin des US-Verbands. Mit dem Amt war ich aus sportpolitischen Gründen schon vor Ort in Tromsö nicht glücklich, aber ich wollte eine Eskalation in der deutschen Delegation vermeiden. Nach dem Kongress habe ich nach einigen Tagen intensiven Nachdenkens dann doch persönlich reagiert und mein Amt niedergelegt, bevor ich es hätte antreten müssen.
Sollte Arkady Dvorkovich 2022 als FIDE-Präsident wiedergewählt werden?
Von seiner Amtsführung, auch von manchen Inhalten bin ich angetan. Deutlich besser als viele Vorgänger. Das ist ein Pro-Argument. Aber ich muss auch zum Maßstab nehmen, worüber wir im Zusammenhang mit Sportlern schon gesprochen haben. Vor diesem Hintergrund würde ich mich freuen, wenn er sein Amt ruhen ließe und von einer erneuten Kandidatur absähe.
Wie sollte ein autoritäres Regime von jemandem profitieren, den es öffentlich als Verräter an der Nation gebrandmarkt hat? Wäre es nach der harschen Kreml-Reaktion nicht gerade jetzt angemessen, ihn wiederzuwählen?
Vielleicht, aber mir ist es zu früh, um in dieser Sache meine Meinung zu ändern. Bestimmt hat sich Dvorkovich eine gewisse Distanz zum Kreml aufgebaut. Ob das so bleibt? Ich weiß es nicht. Aktuell finde ich, dass die FIDE von jemandem mit einer anderen Nationalität geführt werden sollte. Ich weiß aber bisher nichts von einer Gegenkandidatur.
Sicher ist, die FIDE wird in diesem Jahr einen Präsidenten wählen. Der DSB blickt in diesem Zusammenhang auf eine eher unglückliche Geschichte zurück.
Ich hoffe sehr, dass wir beim Hauptausschuss im Mai eine Debatte darüber führen, wo wir als DSB stehen und was wir für richtig halten. Das Präsidium sollte sich ein Feedback einholen.
Das wäre neu. 2018 wurde niemand gefragt, nicht kommuniziert, und plötzlich stand in der Zeitung, dass der DSB die Präsidentschaftskandidatur von Georgios Makropoulos unterstützt.
Aus meiner langen DSB-Vergangenheit kenne ich die Grundhaltung, dass wir uns in den Jahren vor 2014 stets eine Alternative zu Iljumschinow gewünscht haben. Darüber musste nie breit debattiert werden, wir haben stets einvernehmlich diverse Gegenkandidaten unterstützt: Bessel Kok, Anatoli Karpow…
…hört, hört.
Ja, das erscheint heute in einem anderen und brisanten Licht. Jedenfalls ist der DSB-Kurs gegenüber der FIDE nie bei Kongressen oder ähnlichen Anlässen thematisiert worden. Jetzt, in dieser schwierigen geopolitischen und schachpolitischen Lage, hat die Wahl ein anderes Gewicht als in all den Jahren zuvor, sie wird auch auf größeres öffentliches Interesse stoßen. Darum wünsche ich mir, dass wir beim Hauptausschuss darüber reden. Alle Beteiligten sollten ein Meinungsbild erarbeiten.
Ihr geht davon aus, dass er Deutsche Schachbund den Ausschluss russischer Spieler nicht nur fordern, sondern auch durchsetzen könnte – ist das der Fall? Es ist keine Veranstaltung des deutschen Schachbunds, sondern eine FIDE-Veranstaltung auf deutschem Boden. Möglich wäre: keine finanzielle Unterstützung für das Turnier, nun beträgt die nach meinem (Un)Wissen satte null Euro. Absage der kompletten Veranstaltung, da das Spiellokal nicht (mehr) zur Verfügung steht? Das hat meines Wissens niemand vorgeschlagen oder gefordert. Deutschland (nicht der Deutsche Schachbund) könnte die Teilnahme russischer Spieler verhindern, indem sie kein Visum erhalten. Natürlich könnte Ullrich Krause auf das bezahlte Ehrenamt verzichten, dann… Weiterlesen »
[…] gesucht: Grand Prix in Berlin mit Vincent Keymer und fünf RussenKein Schwarz, kein Weiß, kein Richtig oder Falsch: Michael S. Langer im InterviewWM-Kandidat Richard Rapport (so gut wie)Ein bisschen solidarischKeine Russen in Berlin? 0 0 […]
Diesen Aussagen kann ich nur zustimmen. Es ist ein Trauerspiel (weil es Theater und Fensterreden sind), wie sich der DSB und der BSV jetzt positionieren und verhalten. Es ist empörend, dass jetzt, in dieser Zeit, fünf russische Großmeister ihr Geld in Berlin verdienen und in der russischen Öffentlichkeit gefeiert werden – gleich welche Stellung sie zum Krieg in der Ukraine beziehen bzw. veröffentlicht haben.und ob sie als “staatenlos” oder “FIDE” an den Brettern sitzen. Es ist beschämend für alle deutschen Schachspieler, die sich für die Ukraine und für Ukrainer sowie gegen den Krieg engagieren, was jetzt mit federführender Beteiligung des… Weiterlesen »
«Den Grand Prix in Berlin werde ich ignorieren, so gut es geht.»
Dito. Nicht, um jemanden vermeintlich abzustrafen, sondern eher aus «Selbstschutz». Angesichts der furchtbaren Bilder aus der Ukraine und der Verbrechen der russischen Armee an der Zivilbevölkerung kann ich aktuell weder russischen Spielern beim Schach zusehen, noch irgendwelche Worldchess-Sponsoren im Hintergrund ertragen.
Wenn man mal kurz das Schach beiseite lässt und überlegt, was gerade alles richtig und konsequent wäre, wird einem schlecht. Haben alle hier, die eine Gasheizung haben, diese schon ausgeschaltet? Ich vermute nicht. Ist man dafür, Gas woanders einzukaufen? Wahrscheinlich ja. Robert Habeck hat es in den letzten Tagen in Katar versucht. Kürzlich erst wollten viele dort aus moralischen Gründen nicht mal Fußball spielen. Tanken wir jetzt alle nicht mehr? Das Öl könnte aus Russland kommen. Oder kaufen wir es stattdessen lieber in Venezuela? Oder tüten wir schnell einen Atom-Deal mit dem Iran ein, damit man die Sanktionen lockern und… Weiterlesen »
“Spieler ukrainischer, russischer und weißrussischer Herkunft”
Wie geht man da vor? Lässt man sich den Stammbaum zeigen? Ab wie vielen Jahren Aufenthalt im Westen mit russischem Pass ist man befreit?
Irgendwie kommt mir das aus der deutschen Geschichte bekannt vor…
Ich denke die aktuelle Linie der FIDE ist gut durchdacht.