Ran ans Motiv und immer in die Hocke – ein Leitfaden für bessere Schachfotos

ding carlsen niki riga.jpg

Um ordentliche Schachbilder zu produzieren, musst du nicht so gut fotografieren können wie Niki Riga, die das Foto oben gemacht hat. Du musst dir auch keine Vorträge über Vorder-, Mittel- und Hintergrund anhören, über Licht und Linienführung, Frosch- und Vogelperspektive.

Befolge zwei einfache Grundregeln, und jedes deiner Fotos wird zumindest vorzeigbar sein. Niki Riga hat sie auch befolgt, als sie Magnus Carlsen und seinen potenziellen Herausforderer 2020 ablichtete:

  • 1: Ran ans Motiv!
  • 2: In die Hocke!

Was auf dem Bild zu sehen ist, auch und vor allem abseits des Hauptmotivs, muss eine Funktion haben. Es kann dem Bild Tiefe geben, eine Botschaft, Symbolcharakter haben oder auch nur ungewöhnlich aussehen. Was wir nicht brauchen, hat auf dem Foto nichts zu suchen. Darum: ran ans Motiv!

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Schachspieler agieren aus Perspektive der Beobachter auf Bauchhöhe. Wer ihre Gesichter zeigen will, muss sich auf Höhe der Gesichter begeben. Darum: in die Hocke!

Werden diese beiden Grundregeln nicht befolgt, sieht ein Schachfoto so aus:

liga.jpg
So sehen leider viel zu viele Schachfotos aus, obwohl sich das leicht ändern ließe.

Verstöße gegen Grundregel 1 können wir gelegentlich retten, indem wir das Bild beschneiden, um es auf  das Wesentliche zu konzentrieren. Verstöße gegen Regel 2 sind unreparierbar.

Versuchen wir das Beschneiden einmal anhand dieses Beispiels, dann sieht es so aus:

liga2.jpg

Da ist nichts zu retten. Wir sehen drei Menschen, aber nicht ihre Gesichter, weil der Fotograf zu faul war, seinen Hintern nach unten zu bewegen, um seine Perspektive zu verbessern. Ein Motiv sehen wir kaum, stattdessen vor allem Vorhang. Und das führt uns zu einer weiteren Grundregel:

  • 3. Auf einen Spieler fokussieren!

Zwischen zwei Spielern hindurchzufotografieren, funktioniert nur, wenn der Hintergrund das hergibt, und das ist selten der Fall. Meistens führt es dazu, dass das Bild in Ermangelung eines Motivs in erster Linie aus Vorhang besteht.

Fokussiere dich auf einen Spieler, dann werden deine Bilder besser. Wenn es der Kontext erfordert, beide Spieler abzubilden, zum Beispiel weil der kommende Herausforderer auf den Weltmeister trifft, dann musst du kreativ werden.

Niki Rigas Foto oben ist kein Schnappschuss, sondern das Ergebnis meisterlichen Handwerks. Anstatt von Brett zu Brett zu marschieren und wahllos draufzudrücken, hat sie länger am Tisch der beiden Protagonisten gekniet, um den Moment abzupassen, in dem Carlsen nach rechts schaut und Ding ihn fixiert.

Und wenn nun in genau diesem Moment ein Zuschauer im Hintergrund seine Nase so kratzt, dass es aussieht, als popele er? Nicht schlimm, der Blick des Betrachters landet ja zuerst bei dem den Weltmeister fokussierenden Ding. Wenn der Betrachter danach seinen Blick übers Bild schweifen lässt, entdeckt er den potenziellen Popler im Hintergrund, ein amüsantes Detail.

Gruppenfotos, ein notwendiges Übel

Wenn die Partien noch laufen, ist die Rolle des Fotografen die des stillen Beobachters, der mit dem arbeiten muss, was ihm die Protagonisten anbieten. Das ändert sich grundsätzlich, wenn die Partien beendet sind. Dann gilt:

  • 4. Du bist der Regisseur!

Wer Menschen fotografiert, der sollte in aller Regel darauf achten, dass die abgebildeten Menschen etwas tun, damit das Foto eine Geschichte erzählt. Solche Bilder machst du, während die Partien laufen – die Kür.

Hinterher steht meist ein Gruppenfoto auf der Agenda – die Pflicht. Gruppenfotos sind nicht schön, keine Hingucker, aber sie haben dokumentarischen Wert. Und sie sind eine Gelegenheit, viele Köpfe zu zeigen, auch das ist wichtig.

Wenn das Gruppenfoto ansteht, erwartet dich in der Regel eine Gruppe orientierungsloser Menschen. Dein Job ist, sie so zu aufzustellen, dass sie gut aussehen. Dafür musst du erst einmal klären, wer aufs Foto soll und wer nicht, denn die potenziell zu Fotografierenden sind sich da oft nicht so sicher.

berlin caruana.jpg

Was ist mit den Herren links und rechts? So sind sie zwar auf dem Bild, aber gehören nicht recht dazu. Beide schreien förmlich nach Hilfe des Fotografen.

Entweder sie sollen aufs Bild, dann nimmst du dem Herrn links sein Mikrofon weg, dem Herrn rechts seine Zettel, und stellst alle vier ordentlich nebeneinander vor die Sponsorenwand. Oder sie sollen nicht aufs Bild, dann schickst du sie weg.

Du bist der Regisseur!

Außerdem gilt, das wissen wir schon: ran ans Motiv. Zum Glück  haben wir auch schon gelernt, dass sich Verstöße gegen diese Regel oft mit Beschneiden retten lassen.

berlin 2.jpg

So wäre es zumindest ein vorzeigbares, sogar ein instagramtaugliches Pflichtbild von der Siegerehrung neben all den anderen tollen Schachbildern, die du längst im Kasten hast.

Bei größeren Veranstaltungen wird es dir gelegentlich passieren, dass noch andere Fotografen unterwegs sind. Während die Partien laufen, könnt Ihr miteinander um die besten Schüsse wetteifern. Hab’ dabei Respekt vor der Arbeit des Kollegen, komm ihm nicht in die Quere. Und beobachte, was er tut. Vielleicht kannst du etwas lernen.

Sobald abzusehen ist, dass die Partien enden, gilt:

  • 5. Redet miteinander, stimmt euch ab!
  • 6. Gruppen fotografiert immer nur einer!

Ein Gruppenfoto, auf dem nicht alle Abgebildeten in die Kamera gucken, ist Mist.

deutscher meister.jpg

Was der Fotograf hier veranstaltet, ist in mehrfacher Hinsicht ärgerlich. Ihm kann ja nicht entgangen sein, dass er gerade ein Gruppenfoto aus einer hässlichen, seitlichen Perspektive produziert, bei dem obendrein die Abgebildeten nicht in die Kamera schauen. So ein Bild will er eh nicht haben.

Außerdem riskiert er, die Fotos des anderen Fotografen zu beschädigen. Indem er seine Kamera im Anschlag hält und abdrückt, lockt er die Herren in Reih und Glied, zur Seite zu gucken. Und dann ärgert sich der Kollege.

Der Job des Fotografen wäre gewesen, die aufgestellten Herren zu bitten, sie mögen nicht weglaufen, wenn der Kollege fertig ist, weil sie danach noch einmal fotografiert werden. Einer nach dem anderen, niemals gleichzeitig. Stimmt euch ab, redet miteinander!

Vorsicht, Sonne!

Wenigstens stehen die Herren draußen, da ist das Licht besser – außer die Sonne feuert aus allen Rohren. Dann suchen wir uns fürs Foto ein schattiges Plätzchen. Stellen wir unsere Gruppe nämlich in die pralle Sonne, werden alle Leute auf dem Foto blinzeln, das ist nicht schön. Und stellen wir sie mit dem Rücken zur Sonne, passiert das:

gegenlicht.png

Hinten alles weiß, Gesichter zur Unkenntlichkeit verdunkelt. Nicht gut.

schach licht.jpg

Solche Effekte drohen uns auch, wenn drinnen weite Fensterfronten für viel Licht sorgen. Nicht gegen das Licht fotografieren, sonst wird es auf den Brettern zappenduster.

Außerdem: Ran ans Motiv, auf die Knie und nicht zwischen Spielern hindurchfotografieren. Aber das wissen wir ja schon.

Fenster können dein Freund sein, aber du musst auf dem Schirm haben, was sie mit deinen Fotos machen. Im Zweifel lieber mit dem einfallenden Licht fotografieren als dagegen.

An die Wand oder hinters Brett?

Menschen, denen ein Gruppenfoto bevorsteht, neigen dazu, sich rückwärts an eine Wand zu pressen. Handelt es sich bei diesen Menschen um Schachspieler, besteht außerdem die Gefahr, dass einer vorschlägt, sich hinter Schachbrettern zu platzieren. Die anderen halten das dann oft für eine gute Idee.

Wenn kein Regisseur anwesend ist (das bist du!), mag es den Protagonisten sogar gelingen, diese beiden Übel zu kombinieren: Sie pressen sich hinter Schachbrettern rückwärts an eine Wand. Das sieht dann so aus:

karlsruhe vii.jpg

Schachbretter auf Gruppenfotos brauchen wir nicht. Der Kontext, in dem das Bild erscheint, macht in aller Regel deutlich, dass es um Schach geht.

Wenn mit Blitz gearbeitet wird, dann wird ein Regisseur (das bist du!) in erster Linie darauf achten, nicht irgendetwas Helles im Vordergrund anzublitzen, Stuhllehnen zum Beispiel. Die Menschen müssen ins rechte Licht gesetzt werden.

  • 7. Gesichter zählen, sonst nichts!

karlsruhe viiii.jpg

So ist es ein Foto, gerettet durch Beschneiden.

Aber, halt, jetzt fällt es uns erst auf: Was ist eigentlich mit der Dame oben in der Mitte? Bestimmt hat die auch ein Kinn.

Jedes Gesicht soll vollständig zu sehen sein. Du bist der Regisseur, arrangier dein Motiv so lange, bis es passt, drücke mehrfach drauf und prüfe im Display, ob wirklich jeder zu sehen ist. Erst wenn du zufrieden bist, lässt du die Gruppe gehen.

Das gilt insbesondere, wenn alle Partien beendet sind, gelegentlich auch, bevor sie beginnen:

nationalmannschaft.jpg

Noch stehen die Uhren, noch kann der Fotograf Regisseur sein, um das bestmögliche Bild zu machen. Ein schnelles “Georg, siehst du mich?” vor dem Abdrücken hätte den Eindruck vermieden, dass David Navara für Deutschland am ersten Brett spielt. Dazu vielleicht noch ein “Dorian, sag’ mal Ameisenscheiße”, und der Bundestrainer hätte seine Beerdigungsmiene abgelegt.

Vorsicht, Funktionäre!

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Der Herr vorne repräsentiert gleich zwei Skandale. Einmal den, dass er europäischer Schach-Chef ist, was jeden potenziellen Förderer des Europäischen Schachs abschrecken wird, sobald er googelt, wer bei der ECU das Sagen hat. Und den, dass sich offenbar kein anderer Offizieller daran stört, dass das Schach solche kontraproduktiven Gestalten an exponierter Position mit sich herumschleppt. Welchen Stellenwert dieser Herr sich selbst und welchen er den Sportlern einräumt, lässt sich am offiziellen Siegerfoto der Frauen-Europameisterschaft ablesen.

Wenn du am Ende der Veranstaltung deine Leute fürs Gruppenfoto arrangierst, wirst du dafür sorgen, dass die Gewinner und diejenigen, die die Arbeit gemacht haben, aufs Bild kommen. Die haben es verdient.

Aufs Bild wollen aber noch mehr Leute, nämlich solche, die meinen, wegen eines Amtes oder einer Funktion fotografiert werden zu müssen. Beim kleinen Turnier auf dem Dorf ist das in Ordnung. Der Landessportbundvorsitzende und der Bürgermeister sollen ruhig mit aufs Foto, der Verein ist wahrscheinlich stolz über ihren Besuch und will ihn dokumentieren, zumindest auf seiner Homepage.

Die Medien-Schulung des Partei-Ortsvereins

Aber mach dir bewusst, dass sie bei der Lokalzeitung angesichts deines Motivs gequält aufstöhnen werden. Der Bürgermeister hat ja am Wochenende sechs Veranstaltungen besucht und ist nun auf allen Fotos zu sehen. Er soll aber nicht an einem Tag sechs Mal ins Blatt.

Dummerweise, kein Zufall, steht er auf allen sechs Gruppenfotos in der Mitte, sodass er sich nicht abschneiden lässt. Der Bürgermeister hat nämlich die Medienschulung seines Partei-Ortsvereins besucht, und da haben sie ihm erklärt, dass er bei Gruppenfotos in die Mitte drängeln muss, damit ihn niemand aus dem Bild schneiden kann.

eiwcc2.jpg

In solchen Fällen lässt sich mit Beschneiden tatsächlich nichts retten. Der Bürgermeister bleibt im Bild. Aber es gibt ein Mittel dagegen.

  • 8. Mache stets ein Bild nur mit den sportlichen Gewinnern!

Neben dem Gruppenfoto mit allen solltest du stets ein zweites Motiv arrangieren.

Erst lässt du alle Funktionäre aufs Bild drängeln und machst einfach das bestmögliche Foto von allen. Verschwende keine Energie damit, den einen oder anderen auszusortieren. Stattdessen bittest du hinterher nur die sportlichen Gewinner (das sind die Hauptpersonen!), sich für ein Extra-Bild noch einmal aufzustellen. Und das bietest du der Lokalzeitung als Alternative an.

Wenn du dazu noch ein richtig gutes Schachbild anbieten kannst, dann steigt rasant deine Chance, dass sie dich und deine Fotos groß rausbringen.

Viel Erfolg!

menschen von vorne.jpg
Passte oben nicht rein, aber sollte erwähnt werden: Menschen fotografieren wir von vorne 😉

Die Fortsetzung:

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Martin Schubert
Martin Schubert
4 Jahre zuvor

Großartiger Artikel!

Wolfgang Küchle
Wolfgang Küchle
2 Jahre zuvor

Ein schöner und guter Artikel, aber die allerwichtigste Regel ist:
0.) Auf keinen Fall die Spieler stören! Die Partie der Spieler ist wichtiger, als das Bild davon.

Kann bei allzu fleißigem befolgen von “1) ran ans Motiv!” leicht passieren…

Nicht zuletzt sollte man auch das Thema “Recht am eigenen Bild” nicht leichtfertig verletzen und bei Jugendlichen den besonderen Schutz von Kindern (kein Bild ohne Zustimmung der Eltern) berücksichtigen. Idealerweise klärt das der Veranstalter vorab.

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