“Einer der schwersten Verstöße überhaupt”

Wenn von “illegalen Absprachen” die Rede ist, von “Manipulation” und einem “vollumfänglichen Geständnis”, um welche Strafsache könnte es gehen? Um Daimler, VW, BMW und die Abgase? Um Amazon, Apple und den Onlinehandel? Nicht heute. In diesem Fall geht es um Schach in der Bezirksoberliga Frankfurt. Die Bald Vilbeler Schachfreunde und der SV Frankfurt-Nord sollen eine “illegale Absprache” getroffen haben. Jetzt bekommen sie es mit dem Gesetz zu tun.

Leuten, die hier regelmäßig lesen, mag aufgefallen sein, dass in der Spalte “Zuletzt meistgelesen” eine dreieinhalb Jahre alte Schiedsrichtergeschichte seit mehr als einer Woche weit oben steht. Darin preisen wir in erster Linie unsere Regelhüter:innen, die im Spannungsfeld zwischen unsinnigen Vorschriften und bedingt tauglichen Spiellokalen dennoch geräuschlos Schachsport ermöglichen.

Jetzt ist klar, woher das akute Interesse an der dreieinhalb Jahre alten 2,60-Meter-Geschichte kommt. Im Text geht es auch um Abgründe, die sich offenbaren können, wenn Menschen in Macht und Entscheidungsbefugnis schwelgen. Eine Episode behandelt einen Gesetzesmann des Denksports, der sich und seine Gesetze allzu wichtig nahm, so wichtig gar, dass darüber das Allerwichtigste unmöglich wurde: Schach spielen.

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Anscheinend ist gerade ein ähnliches Phänomen in Frankfurt-Nord aufgetaucht, daher das plötzliche Interesse an der ollen Kamelle aus Heusenstamm. In Frankfurt-Nord geht es in diesen Tagen darum, wie die Ergebnisse von Schachpartien auf Spielberichtskarten einzutragen sind. Und ob es Cheating ist, wenn den Beteiligten beim Eintragen ein Fehler unterläuft.

Der 24. September war für die Frankfurter ein geschäftiger Tag. Im Spiellokal “Zentrum am Bügel” trugen zehn Mannschaften ihre Kämpfe aus, darunter Jugendliche, darunter Spielbetriebsneulinge in der Kreisklasse, die von Meldung, Brettreihenfolge und Spielberichtskarte wenig wussten und Hilfe bedurften.

Im Bezirksoberliga-Kampf zwischen Frankfurt-Nord II und Bad Vilbel traten beide Teams nicht vollständig an, die Frankfurter zu siebt, die Bad Vilbeler zu fünft. Das erste Brett blieb auf beiden Seiten frei. Im ersten Spielbericht an die Turnierleitung stand an diesem Brett “0,5:0,5” eingetragen.

Das war falsch, es hatte ja niemand gespielt, insofern musste es “0:0” heißen. Der Fehler fiel den Beteiligten bald auf. Der Wettkampfleiter und Frankfurter Vorsitzende sandte noch am selben Tag einen korrigierten Spielbericht ab, in dem das 0:0 am ersten Brett vermerkt war.

An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Mutmaßlich wäre sie das in den meisten Schachbezirken.

Frankfurt-Nord vs. Bad Vilbel vs. Turnierleiter: die bisherige Chronologie.

In Frankfurt ging sie erst los. Turnierleiter Stefan Jäger ermittelte, und er fand nicht einen flugs reparierten Fehler, sondern einen “Manipulationsversuch” und die “illegale Absprache” beider Mannschaftsführer, die nicht gespielte Partie am ersten Brett remis zu werten – ein Verstoß gegen die Anti-Cheating-Regeln und mithin, so Jäger, “einer der schwersten Verstöße überhaupt”.

Und dann gab auch noch der Wettkampfleiter zu Protokoll, er habe wegen des Trubels an diesem Tag (an dem er auch selbst spielte) gar nicht bemerkt, dass an diesem Brett niemand sitzt. “Unglaubwürdig”, sagt Jäger mit Verweis auf das “vollumfängliche Geständnis” der beiden Mannschaftsführer. Außerdem habe besagter Wettkampfleiter das ursprüngliche “0,5:0,5” nicht in aller Deutlichkeit durchgestrichen, sondern nur “0:0” daneben geschrieben.

Auch die Ausführungen des Wettkampfleiters zur späteren Ergebniskorrektur findet Jäger “wenig glaubhaft”. Allerdings fand er die Milde, sie bei seinem Urteil nicht zu berücksichtigen. Er hätte dann nach seiner Einschätzung härter ahnden müssen und Unschuldige mitbestrafen, auch die “vollumfänglich geständigen” Mannschaftsführer. Statt seiner soll sich jetzt die hessische Schiedsrichterkommission mit diesem Wettkampfleiter beschäftigen.

In der Cheating-Sache Frankfurt/Bad Vilbel verfügte Jäger einen Punktabzug für beide Mannschaften, “eine in meinem Empfinden milde Strafe, welche völlig auf Sperren verzichtet und selbst die Brettpunkte nicht reduziert”.

Beide Vereine legten Protest ein. Sie sehen wegen eines falsch eingetragenen Ergebnisses gar keinen Anlass, irgendjemanden für irgendetwas zu bestrafen. Die Frankfurter etwa stellen fest, es habe sich um ein Versehen gehandelt, und Versehen zu bestrafen, sei nicht vorgesehen. Sie finden es “nicht akzeptabel”, dass Jäger die Sache inklusive der Namen aller Beteiligten öffentlich macht, indem er sie neben seinen Ausführungen auf der Website des Schachbezirks allen Mannschaftsführern zusendet. (Auf der Website sind die Namen mittlerweile entfernt.)

Nicht zuletzt finden sie Jägers scharfen, ächtenden Duktus nicht angemessen. “Illegale Absprachen” und “vollumfängliche Geständnisse” gebe es im Strafrecht. Ein möglicher Verstoß gegen die Turnierordnung beim Schach sei kein Verstoß gegen das Strafgesetz.

Ihren Protest haben die Frankfurter an den “Turnierauschuss des Schachbezirks” gesandt. Wahrscheinlich hegten sie die Hoffnung, dass die nächsthöhere Instanz den Wahnsinn beendetMaß und Weisheit walten lässt.

Die nächste Instanz im Schachbezirk Frankfurt ist – Stefan Jäger, der als Turnierleiter über Proteste gegen seine Entscheidungen befinden kann. Stefan Jäger hat beide Proteste gegen die Entscheidung von Stefan Jäger abgewiesen.

Nun können die Vereine nochmal Protest einlegen. Darüber müsste dann der Turnierausschuss befinden.

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Christian Goldschmidt
6 Monate zuvor

Kinder tragen gerne mal 1:1 als Ergebnis ein, wenn die Partie remis endete, ein für beide Spieler günstiges Ergebnis und bestimmt ein Fall für die Frankfurter Cheating-Polizei. Funktionäre sollten funktionieren und mit ihrer Arbeit den Spielern helfen. Leider neigen manche zu erhöhter Selbstdarstellung. Unrühmliches Beispiel aus eigenem Erleben, wenn auch schon viele Jahre her. Ein Vereinskollege verstarb in der Nacht vor dem Mannschaftskampf ohne Bescheid zu sagen und erschien nicht. Da noch keiner wusste warum, wurde eine kampflose Niederlage eingetragen. Die damalige Fachkraft auf dem Spielleiterposten fand heraus, dass mit dem Tod die Mitgliedschaft und damit die Spielberechtigung erlischt und… Weiterlesen »

Betroffener
Betroffener
6 Monate zuvor

Der Vollständigkeit halber sollte man noch erwähnen, dass ursprünglich die fehlerhafte Meldung in einer privaten Chatgruppe des Vereins bekannt wurde und man sich selbstverständlich entschlossen hat den Fehler zu korrigieren. Bereits wenige Stunden nach dem Spiel wurden diese vertraulichen Chatinhalte von dem Bezirksvorsitzenden mit dem Tunierleiter geteilt, noch bevor die angestrebte Korrektur abgeschlossen werden konnte. Mittels Sprachnachricht wurden die Spieler noch am Sonntagabend der Manipulation beschuldigt und die Strafe verkündet. Hier sollte man mal seitens des Bezirks/Verbands prüfen, inwiefern durch dieses Vorgehens gegen die Persönlichkeitsrechte der Chatteilnehmer verstoßen wurde, aus meiner Sicht deutlich schlimmer als eine versehentlich fehlerhaft ausgefüllte Ergebnismeldung,… Weiterlesen »

CoachJaxx
CoachJaxx
6 Monate zuvor

Das Interesse an “Deckenhöhe mindestens 2,60 Meter” überrrascht ja nun nicht wirklich, oder ist das jetzt ein anderer Stefan Jäger? Vielleicht sollte er über eine Zusatz-Qualifikation als FIDE Fair Play Officer / Expert nachdenken … da sind “harte Hunde” die Idealbesetzung.

Harvey
Harvey
6 Monate zuvor

Oben bei den “Tags”: Wir heißen nicht “Bald Vilbel”; wir sind schon Vilbel. Es muß korrekt “Bad Vilbel”; Bitte ändern, sonst findet man uns nie.

Kommentierender
Kommentierender
6 Monate zuvor

Es sollte dargestellt werden, dass der Wettkampf ohne die halben Punkte an Brett 1 mit 2,5:4,5 endete, die angebliche “Manipulation” also keine Auswirkungen auf die Vergabe der Mannschaftspunkte hatte. Welche “Anti-Cheating-Regeln” in jenem Wettkampf galten, ergibt sich aus den Ordnungswerken des Schachbezirks Frankfurt. Ob die Maßnahmen des Turnierleiters verhältnis- und damit rechtmäßig sind, wird die nächsthöhere Instanz entscheiden. Ein Anlass für wohlfeiles Schiedsrichter-Bashing, aber kein Aufreger von allgemeinem Interesse. Jede Schachorganisation hat den Spielleiter, den ihre Mitgliederversammlung gewählt hat.

Last edited 6 Monate zuvor by Kommentierender
ebayer
ebayer
6 Monate zuvor

ach gottchen. In Bayern bleiben Teams in der letzten Runde schonmal ganz daheim und ein Fass Bier wechselt den Besitzer. Immerhin war da jemand im Spielsaal!

Daniel
Daniel
6 Monate zuvor

Den Vorfall in Heusenstamm, dem aktuellen mit Nord/Bad Vilbel oder weitere Regelentscheidungen von Stefan J. können durchaus (emphatisch) kritisch betrachtet werden.

Viel Schlimmer als diese Regelentscheidungen ist es aber das der Autor Conrad S. immerwieder Leute, die die Schachwelt anders sehen als er selbst, ins Rampenlicht zieht um sie zu diffamieren.

Im Übrigen wissen auch Alle, dass hier natürlich eine unerlaubte Ergebnisabsprache und kein Versehen, welches nachträglich konstruiert wurde, vorliegt.

Die ganze Eskalation ist dem Bezirksvorsitzenden und den an der Ergebnismanipulation beteiligten anzulasten, nicht Stefan J.

Last edited 6 Monate zuvor by Daniel
Jonas
Jonas
6 Monate zuvor

Die Reihenfolge der Protestinstanzen ist offensichtlich nicht Stefan Jäger anzulasten, daher finde ich den Satz in dieser Form mindestens überspitzt. Ich sag mal so, die beteiligten Spieler und Mannschaftsführer spielen nicht erst seit kurzem Turnierschach, da sollte es offensichtlich sein, dass eine nicht gespielte Partie nur “-:-” ausgehen kann. Die Weitergabe an die Schiedsrichterkommission des Hessischen Schachverbandes finde ich wichtig und richtig, das hätte auch jeder andere machen können. Als Wettkampfleiter hat man eben eine höhere Verantwortung und kann nicht einfach nur seine Partie spielen, dessen sollte man sich bewusst sein. Redaktionelle Anmerkungen: Der Schachbezirk heißt lediglich “Frankfurt” nicht “Frankfurt-Nord”.… Weiterlesen »

Thomas Binder
6 Monate zuvor

Der Betrugsversuch ist offensichtlich. Er muss korrigiert werden. Weitergehende Strafen wären allerdings m.E. nicht angemessen und werden sich in den einschlägigen Regelwerken auch nicht finden lassen.