Wie der Deutsche Schachbund zu seinem neuen Präsidium kam

Der Deutsche Schachbund hat ein neues Präsidium. Beim Kongress am Samstag in Berlin wurde Ingrid Lauterbach zur neuen Präsidentin gewählt, in bald 150 Jahren die erste Frau an der Spitze des Verbands. Axel Viereck ist neuer Vizepräsident Finanzen und Stellvertreter der Präsidentin, Jürgen Klüners Vizepräsident Sport, Guido Springer Vizepräsident Verbandsentwicklung.

Die Präsidentschaftswahl wurde nicht am Samstag, sondern einen Monat vor dem Kongress entschieden: mit dem Rückzug des Kandidaten Wadim Rosenstein. Der hatte bei seiner virtuellen Kennenlernreise durch die Landesverbände feststellen müssen, dass die Bereitschaft, sich mit seinem forschen Neuanfang-Programm auseinanderzusetzen, nicht übermäßig ausgeprägt war, geschweige denn die Offenheit, seine Kandidatur als Chance für einen nicht nur finanziell am Boden liegenden Verband zu sehen. Außerdem wurde die Kandidatur seines Schattenvizepräsidenten Paul Meyer-Dunker zunehmend torpediert, je näher die Wahl rückte.

Das neue DSB-Präsidium: (von links) Guido Springer, Axel Viereck, Ingrid Lauterbach, Jürgen Klüners. | Foto via Schachbund

Rosenstein versuchte, die Gegenkandidatin Lauterbach als Vizepräsidentin Sport in sein Team zu integrieren, verbunden mit der Zusage, nach zwei Jahren den Präsidentensessel freizumachen. Dieser Versuch fruchtete nicht. Lauterbach kandidierte selbst. Die Expertin für Informationssicherheit hatte über bayerisch-sächsische Kanäle mit dem Steuerberater Axel Viereck den unmittelbar wichtigsten Mitstreiter ja schon gefunden, jemanden, der über das knappe Geld des vom Bankrott bedrohten Verbands wacht. Als sie entschieden hatte, die Kandidatur für die Präsidentschaft aufrecht zu halten, zog Rosenstein zurück.

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Diejenigen, die wählen würden, nahmen Lauterbach sogleich als Wohlfühlkandidatin wahr: eine Kandidatin, die vermittelte, aus dem, was übrig ist, das Bestmögliche machen zu wollen, die keine Angst auslöste, indem sie keine Umbrüche und schon gar nichts Radikales ankündigte. Noch dazu hatte sie zwei gewichtige Argumente in eigener Sache einzubringen: a) ihre als Abteilungsleiterin in einem Konzern erworbene Führungserfahrung – eine Schlüsselqualifikation, die dem DSB schon in den Jahren vor 2017 fehlte, und b) Zeit dank ihres freien Vorruhestandsjahres.

Lauterbachs Freizeit dürfte sich nun trotz ihres Sabbatjahres speziell in den kommenden Monaten im Rahmen halten. Das Vertrauen des Kongresses in das alternativlose neue Führungsduo lässt sich an Zahlen ablesen: Mit 191 Ja-Stimmen (6 Nein, 22 Enthaltungen) wurde Lauterbach gewählt. Viereck erzielte ein ähnlich klares Votum: 182 Ja-Stimmen, 2 Nein, 35 Enthaltungen.

Bei der Kandidatensuche für die beiden verbleibenden Präsidiumsämter machte Lauterbach ein Phänomen zu schaffen, das sich speziell beim Deutschen Schachbund zuletzt mehr und mehr zugespitzt hat: die sinkende Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren. Weil in den vergangenen Jahren die Mitarbeit von Leuten, die auf die Fehlentwicklungen an der DSB-Spitze hinwiesen, bald nicht mehr erwünscht war, sind jetzt neue Leute umso schwieriger zu finden. Das Klima gilt als vergiftet. Nach einer Präsidentschaft, während der allein elf Vizepräsident:innen verlorengegangen waren, standen die potenziellen Nachfolger nicht gerade Schlange. Im Gegenteil.

Schon Rosenstein hatte, nachdem Ralph Alt von Bord gegangen war, trotz etlicher Initiativen das Ass im Ärmel gefehlt, das er in Sachen Vize Sport hätte ausspielen können. Lauterbach ließ während des Kongresses durchblicken, dass es ihr nicht besser ergangen war. Die zwischenzeitlichen Avancen von Multifunktionär Alt, der nach dem Ausstieg bei Rosenstein erwog, bei Lauterbach einzusteigen, hatten sich spätestens mit dessen Erklärung erledigt, keine weiteren Ämter im DSB anzustreben.

Als schließlich Bundesrechtsberater Thomas Strobl als potenzieller Vizepräsident Sport gefunden war, löste diese Personalie trotz der erkennbaren Not vielerorts erhebliches Stirnrunzeln aus. Ein veritabler Schiedsrichter, ja, aber auch jemand, dessen Historie im organisierten Schach nahelegt, dass dort, wo er sich einbringt, Konflikte drohen. Seiner Bewerbung, im Wesentlichen eine Aufzählung von Ämtern, fehlten noch dazu Inhalt und Note.

DSB-Turnierdirektor Michael Rütten. | via LinkedIn

Das fiel umso mehr auf, weil am selben Tag Michael Rütten einen charmant-demütigen Bewerbungs-Gegenentwurf als DSB-Turnierdirektor einreichte. Damit war an anderer Stelle eine akute Not gelindert. Turnierdirektor Gregor Johann, einer derjenigen, dessen warnende Hinweise das scheidende Präsidium nicht hören wollte, hatte darüber die Lust am Weitermachen verloren. Als dann auch noch der von ihm favorisierte Rosenstein zurückzog, stand endgültig fest, dass ein Nachfolger in Johanns Fußstapfen treten muss. Rüttens Initiative kurz vor Toresschluss war mehr als willkommen.

In Sachen Vize Sport hielt das Stirnrunzeln nicht lange an. Nachdem Rosenstein und Lauterbach monatelang niemanden gefunden hatten, poppten überraschend binnen 72 Stunden zwei Kandidaturen auf. Kurz nach Strobl erklärte Jürgen Klüners seine Kandidatur, allem Anschein nach aus eigenem Antrieb und ebenfalls sehr willkommen. Am Redepult im Berliner Tagungshotel vermochte Strobl den Mitbewerber nicht auszustechen. Eine neuerliche Aufzählung von Ämtern, die er bekleidet hat, führte zu keinem weiteren. Mit 142:71 Stimmen wurde Klüners gewählt.

Blieb das Amt des Vizepräsidenten Verbandsentwicklung. Obwohl in den Kongressunterlagen bis zum Schluss keine Kandidatur auftauchte, war klar, dass keine Vakanz drohte. Hinter den Kulissen hatte sich Guido Springer, Präsident in Mecklenburg-Vorpommern, seit Monaten für eine Kandidatur warmgelaufen, ohne sie je öffentlich zu erklären. Anfangs hieß es, er stehe für eine Kandidatur als DSB-Präsident bereit, wahrscheinlich im Team mit Diana Skibbe (Thüringen). Das hatte sich erledigt, als Lauterbach die Bühne betrat. Nun sollte es die Verbandsentwicklung sein.

Problematisch nur, dass Springer in Funktionärskreisen breite Unterstützung fehlt. Andererseits fehlte denen, die Springer als ausschließlich blass empfinden, ein Gegenkandidat. Das änderte sich erst einen Tag vor dem Kongress, als das Telefon des einstigen DSJ-Geschäftsführers Jörg Schulz klingelte. Am anderen Ende meldete sich Carsten Karthaus, Präsident in Baden-Württemberg, und trug Schulz die Vizepräsidentschaft an. Der wiederum fragte sogleich Lauterbach, ob sie etwas gegen seine Kandidatur einzuwenden hat. Schulz bekam grünes Licht – und stieg in die Bütt.

via schachdeutschland.tv

„Klassischer Filibuster“ nannte ein Kongressbeobachter auf Twitch Schulz‘ Auftritt im Hotel “Steglitz International”, der gar nicht enden wollte, so viel fiel dem Kandidaten ein, das er als Vizepräsident würde einbringen können, und so wenig interessierten den Kandidaten die Versuche des Sitzungsleiters Ingo Thorn, seinen Redefluss zu stoppen. Tatsächlich könnte Schulz mit seiner Erfahrung und seinen Kenntnissen dem DSB Entwicklungsanstöße geben, die ihm fehlen. Andererseits könnte die auf Hierarchien und Amtsgepränge pfeifende Figur Schulz als Vizepräsident auf dem fragilen DSB-Schachbrett eine Menge Sprengkraft entfalten.

Guido Springer verdankt seiner Adjutantin Skibbe, dass Schulz nicht gewählt wurde. Nachdem der Berliner schließlich doch zum Ende gekommen war, nachdem auch Springer geredet hatte („Dienstleister sein, kein Verwalter“), enterte Skibbe das Podium. Ihr einziger mündlicher Kongressbeitrag: eine Falschaussage. Schulz habe ausdrücklich gesagt, er sei Lauterbachs Wunschkandidat, log Skibbe. Und fragte Lauterbach, vorgeblich im Sinne ihrer Wahlentscheidung, ob das denn wirklich so sei.

Schulz hatte dergleichen nicht einmal angedeutet. Es zeigte sich: Die neue Präsidentin muss präsidiale Souveränität erst noch finden. Anstatt Skibbes allzu transparentes Manöver flugs abzumoderieren, meinte Lauterbach, sich rechtfertigen zu müssen. Skibbe bekam genau das, was sie wollte, nämlich die Erklärung, Schulz sei nicht der Wunschkandidat. Mit 127:92 Stimmen wurde Springer gewählt.

Die Wahl des Vizepräsidenten Verbandsentwicklung beim DSB-Kongress 2023 in Berlin.
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knights to mate you
knights to mate you
9 Monate zuvor

Thema Wunschkandidat von Ingrid Lauterbach Der Satz “Schulz hat dergleichen nicht einmal angedeutet” ist schon mehr als gewagt, wo doch jeder ab Minute 4:26 sehen kann, wie Frau Lauterbach im Hintergrund ihren Kopf schüttelt, als Jörg Schulz etwas versteckt in einem Schlangensatz sagt: “… als sie mich fragte ob ich kandidieren will, hab´ ich gesagt…”. Und Frau Skibbe hat nicht das Mikro “geentert”, sondern musste förmlich aufgefordert werden, es zu benutzen – kann dank des Filmmaterials auch jeder sehen. Frau Lauterbach hat es richtig gemacht und die falsche Darstellung des ehemaligen DSJ-Vorsitzenden korrigiert. Ihr deshalb vorzuwerfen, dass sie “präsidiale Souveränität… Weiterlesen »

Bernd Schneider
Bernd Schneider
9 Monate zuvor

Hier lese ich zu meiner Überraschung: “Anstatt die ihr angetragene Kandidatur als Vizepräsidentin Sport im Team Rosenstein zu akzeptieren, entschied Lauterbach nach einiger Bedenkzeit, selbst die Präsidentschaft anzustreben” Mir ist ein anderer Zeitablauf im Gedächtnis: 1.) Zuerst gab Wadim Rosenstein seine Präsidentschaftskandidatur bekannt. 2.) Sodann gab Ingrid Lauterbach (für jeden Insider vollkommen überraschend) ihre Präsidentschaftskandiatur bekannt. 3.) In der Folge bot Herr Rosenstein über seinen Projektleiter telefonisch Frau Lauterbach den Vizepräsidentenjob an. Dieses Angebot schlug Ingrid Lauterbach aus, um wie geplant weiterhin die Präsidentschaft anzustreben. 4.) Nahezu zeitgleich veröffentlichte Schachfreund Bicker beim Schach-Ticker eine Dokumentation seiner Internetrecherche zu den Verbindungen… Weiterlesen »

Klaus Zachmann
Klaus Zachmann
9 Monate zuvor

Das aktuelle Präsidium hat in Frau Lauterbach eine bewährte und gute Teamleiterin. Ich bin mir sehr sicher, dass sie das richtig steuern und hinbekommen wird. Es steht ihr frei sich Hilfe zu holen, wenn sie hierzu die Notwendigkeit sieht. Auch kann sie sich mit Leuten, wie beispielsweise Schulz und/oder Jordan einfach an einen Tisch setzen und verschiedene Themen bereden. Im schlimmsten Falle kommt raus, dass sie wenigstens eine Lösung gesucht hat, in allen anderen Fällen eröffnen sich neue Wege, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte. Der Aufwand wäre gering, also kein großer Verlust, wenn sich hinterher dann doch keine… Weiterlesen »

Mulde
Mulde
9 Monate zuvor

Ich dachte erst, dass der vollständige Wahl-Bericht noch folgen werde, aber jetzt ist klar: Es gibt mal wieder keinen Referenten / Leiter der Öffentlichkeitstätigkeit. Dass der Verband so nicht aus der Hocke kommen kann, sollte klar sein. Ist die wohl recht rührige S.Schmitt zumindest gefragt worden?

walter Rädler
walter Rädler
9 Monate zuvor

Hoffentlich hat Guido Springer die Verbandsentwicklung des DSB besser im Griff als seinen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern.
Aus der Homepage
Der LSV M-V sucht Mitstreiter

Liebe Freunde,

das Präsidium des LSV M-V e.V. fordert alle Sportfreundinnen und Sportfreunde auf zu prüfen, ob sie eine der nachstehend benannten Aufgaben sofort/demnächst oder zur Mitgliederversammlung 2022 (je nach Benennung in der Aufgabenbeschreibung) übernehmen können. Interessenten bewerben sich bitte beim Präsidenten des LSV M-V, am besten per E-Mail.

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Schatzmeister

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Landesspielleiter

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Referent Seniorenschach (seit 26.06.2022: Lothar Hartung)

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Senioren-Kommission Wettkampf

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Referent für Ausbildung (seit 26.06.2022: Ruben Lehmann)

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Beauftragter Mitgliederverwaltung

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DWZ-Beauftragter

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Stand: 01.08.2022