Nach dem Tata Steel Chess gleich die nächste Gelegenheit für Vincent Keymer, sich in einem Weltklasseumfeld zu behaupten. Zehn Großmeister der (erweiterten) Weltklasse, fünf Etablierte und fünf Newcomer, ringen beim WR Chess Masters im Hyatt Regency in Düsseldorf um den Turniersieg. Dem Setzlistenersten Ian Nepomniachtchi, Nummer zwei der Welt, dient das Turnier auch als Vorbereitung auf seinen bevorstehenden WM-Kampf gegen Ding Liren. Der Wettbewerb beginnt am 16. Februar. Rosenmontag ist Ruhetag.
Livepartien
“Aronian gewinnt den Tiebreak der Generationen”:
Bericht zur 9. Runde bei chess.com
|| Runde 9, 25. Februar
Aronian im Tiebreak
■ Levon Aronian hat das WR Chess Masters gewonnen. Nachdem am Ende der regulären Distanz von neun Runden Aronian, Gukesh und Ian Nepomniachtchi punktgleich mit jeweils 5,5/9 geführt hatten, siegte Aronian vorzeitig im Tiebreak. Er sei sehr glücklich über den Sieg, sagte Aronian. Bei Gastgeber Wadim Rosenstein bedankte er sich für ein exzellent organisiertes Turnier und die außergewöhnlich guten Bedingungen in Düsseldorf, wo er jeden Tag “den Respekt vor den Spielern gespürt” habe.
Die erste und letzte beendete Partie der neunten Runde vorherzusagen, war nicht allzu schwierig. In ihrer Turnierpartie, dem vermeintlichen Showdown, waren die beiden Co-Tabellenführer Levon Aronian und Gukesh nicht auf einen Kampf bis aufs Blut aus gewesen. In einer bekannten Variante des Ragosin-Damengambits steuerten beide Kontrahenten schnurstracks eine Zugwiederholung an, die schon manche Großmeister angewandt haben, um schleunigst die Punkte zu teilen.
Die Entscheidung um den Turniersieg und darum, wer den ersten Preis von 40.000 Euro und den Pokal gewinnt, hatten die beiden damit in den Tiebreak verschoben – und riskiert, dass ihnen Ian Nepomniachtchi diesen Preis streitig machen würde. Aber bevor Nepomniachtchi die Chance dafür bekam, musste er gegen Vincent Keymer gewinnen. Der WM-Finalist brauchte einen vollen Punkt, um zu Gukesh und Aronian aufzuschließen.
Während alle anderen Partien des Tages nach und nach versandeten, musste Vincent Keymer einmal mehr eine Sechs-Stunden-Schicht einlegen. Auf der anderen Seite des Brettes ließ Nepo nicht locker, suchte auch bei reduziertem Material nach Gelegenheiten, die Sache zu verschärfen. Fünf Stunden lang hielt Keymer die Stellung im Gleichgewicht, dann ließ er vorschnell seinen Freibauern laufen, und es war aus: Auf dem anderen Flügel sollte sich Nepomniachtchis Spiel gegen den weißen König als entscheidend erweisen, während Keymers Freibauern das Erreichen der Grundlinie verwehrt blieb. Nepomniachtchi hatte es geschafft, Aronian und Gukesh auf der Zielgeraden abzufangen.
Drei Spieler punktgleich an der Tabellenspitze – eine Seltenheit, aber das kommt vor. Levon Aronian hat Erfahrung damit: 2018 beim Sinquefield Cup in Saint Louis standen am Ende er, Magnus Carlsen und Fabiano Caruana punkt- und wertungsgleich an der Spitze. Dort war eine Losentscheidung vorgesehen – und die Spieler verhandelten sie kurzfristig weg. Lieber teilten sie sich den ersten Platz. Solche Verhandlungen waren in Düsseldorf nicht geplant, und sie kamen auch gar nicht erst auf. Das Reglement für den Fall eines Gleichstands an der Tabellenspitze war eindeutig.
Nepomniachtchi musste sich nach seinem schwer erkämpften Sieg über Keymer trotzdem erst einmal bei Hauptschiedsrichter Gregor Johann erkundigen, wie es nun weitergeht. “Ein Rundenturnier, doppelrundig, 10+2”, bekam er zur Antwort. Nach einer 82-zügigen und mehr als 6-stündigen Turnierpartie sollte ihm nun noch ein potenziell mehr als fünfstundiges Stechen gegen zwei ausgeruhte Widersacher bevorstehen.
Nachdem Aronian die erste Tiebreak-Partie gegen Gukesh gewonnen hatte, legte er in der zweiten gegen Nepo noch einen Sieg nach. Nepomniachtchi schien sich schöne Angriffschancen herausgespielt zu haben, hatte aber strukturelle Zugeständnisse gemacht. Und die wogen schwerer.
Danach musste Nepomniachtchi gleich wieder ran, gegen Gukesh diesmal, und es war schon eine entscheidende Partie. Nur der Sieger würde noch eine Chance haben, Levon Aronian den Gewinn des Tiebreak-Turniers streitig zu machen. Es ging hin und her, beide hatten Chancen, und am Ende einer offenen Partie setzte sich der Inder durch. Damit hatte er sich eine Must-Win-Partie gegen Aronian erkämpft: jetzt noch ein Sieg, und der jüngste Teilnehmer wäre dem ältesten wieder auf den Fersen.
Es ließ sich gut an für Gukesh, der Aronian erst die Struktur zertrümmerte, dann manche Bauernschwäche aufs Korn nahm und zwischenzeitlich mit zwei Mehrbauern auf die Siegerstraße eingebogen zu sein schien. Doch Aronian ließ nicht nach, kreierte kontinuierlich Probleme, und Gukesh gelang es nicht, seinen großen Vorteil in entscheidenden zu verwandeln. Am Ende drehte sich die Partie gänzlich.
Nach diesen drei vollen Punkten in Folge war Aronian der Turniersieg nicht mehr zu nehmen. Die letzten beiden Partien des Tiebreaks wurden nicht mehr gespielt.
Mehr Fotos, Interviews und Analysen im Feed.
|| Runde 8, 24. Februar
Gukesh, Aronian oder Nepo?
■ Showdown mit Joker: Nach acht Runden beim WR Chess Masters ist das Feld bereitet für eine aufregende letzte Runde, in der die beiden punktgleichen Tabellenführer Gukesh und Levon Aronian aufeinandertreffen. Einen halben Punkt dahinter lauert Ian Nepomniachtchi, der im Falle eines Remis zwischen diesen beiden noch aufschließen kann. Dafür allerdings wird er den zu immer besserer Form auflaufenden Vincent Keymer besiegen müssen. Der wiederum hat in der achten Runde mit einem Sieg über Wesley So dafür gesorgt, dass der bis dahin unbesiegte US-Großmeister vorzeitig aus dem Kampf um den ersten Preis ausgeschieden ist. So versus Keymer war die einzige entschiedene Partie des Tages.
Keymer, zurück im 2700-Elo-Club, gab sich nach der Partie gelöst. “Superglücklich” sei er mit diesem Sieg über einen der Allerbesten im Weltschach. “Wesley So in Top-Form ist auf einem Level mit Magnus Carlsen, ein riesig starker Spieler”, erklärte Keymer, der nun von “minus 2” auf 50 Prozent geklettert ist. Aber würde ihm angesichts seiner guten Ergebnisse zuletzt jemand anbieten, nun noch einen zweiten Durchgang mit neun Runden zu spielen, Keymer würde zögern: “Unterschätze nicht die Energie, die so ein starker Wettbewerb kostet.”
Das WR Chess Masters stelle ganz andere Anforderungen als ein “normales” Turnier mit “normalen” Gegenspielern. “Hier gibt es keinen entspannten Moment.” Wenn die Gegner nicht Weltklasse sind, “dann machst du halt normale Züge, die vielleicht nicht immer ganz präzise sind, und wirst nicht bestraft. Das ist hier ganz anders.” Im Gespräch mit Yasser Seirawan erinnerte Keymer an seine Schwarzpartie gegen Jan-Krzysztof Duda: “Eine Ungenauigkeit habe ich mir erlaubt, und zur Strafe musste ich dann 6,5 Stunden sitzen und mich verteidigen.”
Levon Aronian demonstrierte in der achten Runde gegen Andrey Esipenko nicht sein bestes Schach, aber seine schachpsychologische Extraklasse. In einer Partie, in der er sich nach einem Eröffnungsfehler schon chancenlos gewähnt hatte, sandte Aronian ein perfekt getimtes Remisangebot übers Brett – just in dem Moment, in dem er sich ein wenig Gegenspiel erarbeitet hatte und Esipenko die Bedenkzeit davonzulaufen drohte. Nun musste sich der 20-Jährige während seiner heruntertickenden Sekunden nicht nur mit Aronians Aktivität beschäftigen, sondern obendrein mit der Frage: “Annehmen oder nicht?” Esipenko nahm an, und Aronian war glücklich, entwischt zu sein.
Auch Nodirbek Abdusattorov entwischte nach einem Eröffnungsfehler, in einem klassischen Sizilianer, mit dem er Anish Giri überraschen wollte. Aber der war vorbereitet. “Ich kann es nicht genau erklären, aber irgendwie habe ich geahnt, was Nodirbek spielen würde”, sagte der Weltranglistenfünfte nach der Partie. Giri passierte, was ihm nach eigener Einschätzung zu oft passiert: Nachdem er den Gegner dank überlegener Eröffnungsvorbereitung erwischt hatte, ließ er ihn ins Remis entwischen. “Das war natürlich unglücklich”, so Giri.
Gukesh hatte während seines Kampfs mit Jan-Krzysztof Duda die Augen auf zwei Brettern. Gleichauf mit Levon Aronian an der Tabellenspitze liegend, “habe ich natürlich verfolgt, wie es bei ihm läuft.” Aber auch als Aronian vermeintlich auf die Verliererstraße eingebogen war, “hat das meine Partie nicht beeinflusst”. Jetzt freut sich Gukesh auf den Showdown in der neunten Runde. “Levon ist ein großartiger Spieler, bestimmt wird das eine interessante Partie. Ich bin gespannt darauf.”
Praggnanandhaa erlebte mit den schwarzen Steinen ein Déjà-vu – fast. Vor zwei Wochen erst in Wijk aan Zee hatte er den WM-Finalisten Ding Liren mit Schwarz in einer italienischen Partie besiegt. Nun saß ihm in Düsseldorf Ian Nepomniachtchi gegenüber, der andere WM-Finalist, und wieder stand Italienisch auf dem Brett. Allerdings lief die Partie andersherum. Nepomniachtchi, angespornt von seinem Sieg am Vortag, machte Druck, um möglichst zu den beiden Tabellenführern aufzuschließen. Pragg jedoch verteidigte sich präzise und kam mit einem Dauerschach und einem halben Punkt davon.
Mehr Fotos, Videos und Analysen im Feed.
|| Runde 7, 23. Februar
Gukesh kommt
■ Gukesh hat zu Levon Aronian aufgeschlossen. Nach einem Schwarzsieg über Andrey Esipenko in der siebten Runde des WR Chess Masters teilt sich der jüngste Teilnehmer jetzt mit 4,5 Punkten die Tabellenspitze mit dem ältesten. In der neunten und letzten Runde werden beide aufeinandertreffen, potenziell ein Showdown um den Turniersieg.
Aronian unterlag Ian Nepomniachtchi, dem es gelang, seine Serie von unentschiedenen Partien zu unterbrechen. Mit vier Punkten aus sieben ist der kommende WM-Finalist den beiden Führenden auf den Fersen und selbst in einer guten Position, das Turnier zu gewinnen.
Levon Aronians Dame hatte sich auf dem nach ihr benannten Flügel ohne erkennbare Aufgabe und ohne schnellen Weg zurück ein wenig verlaufen, ein Grund, warum Nepomniachtchi früh mit seiner Stellung zufrieden war. Allein: Er hatte viel Zeit verbraucht. Andererseits bot ihm die exponierte Stellung der gegnerischen Dame die Gelegenheit, diese hin- und herzuscheuchen und auf diese Weise Züge zu wiederholen, ohne die Stellung zu verändern.
Nach dem ersten Hin und Her rief Aronian plötzlich Schiedsrichter Gregor Johann ans Brett und reklamierte Remis wegen dreifacher Stellungwiederholung. Aber Aronian hatte sich verzählt. Johann ließ weiterspielen.
“Als Levon sogar den Schiedsrichter holte, um ein Remis zu bekommen, habe ich gesehen, wie groß sein Remiswunsch war”, erklärte Nepomniachtchi nach der Partie. Und er benannte ein weiteres Argument, die Partie fortzusetzen: “So viele klassische Partien habe ich vor dem WM-Kampf nicht mehr. Ich sollte sie nutzen.”
Und wie er sie nutzte. Mit der weißen Dame am anderen Flügel ausgesperrt, ließ Nepomniachtchi einen Angriff gegen den unterverteidigten weißen König vom Stapel. Nach und nach gelang es ihm, immer mehr Kräfte gegen Aronians Monarchen in Stellung zu bringen. Nachdem Aronian die eine oder andere Gelegenheit, Gegenspiel aufzuziehen, verpasst hatte, wurde die schwarze Initiative unwiederstehlich.
Der zweiten Schwarzsieg nicht nur der Runde, sondern des Turniers gelang Gukesh, obwohl es danach anfangs gar nicht ausgesehen hatte. In einem katalanischen Gambit war der Inder früh auf sich gestellt – anders als sein Gegner Andrey Esipenko.
“Er ist vorbereitet, das ist wahrscheinlich ziemlich gefährlich für mich”, ging Gukesh während der Eröffnung auf. “Aber ich bin stolz darauf, was ich dann am Brett gefunden habe”: ein eigentlich abseitiger Springerzug, der auf den ersten Blick schrecklich aussah, aber unter diesen konkreten Umständen taktisch und strategisch gerechtfertigt war.
Trotzdem sah es danach aus, als organisiere Esipenko nach und nach einen erfolgversprechenden Königsangriff. Aber Gukesh wehrte kühl ab was kam, und er spielte ja auf der anderen Seite des Brettes immer noch mit dem Mehrbauern, den Esipenko zu Beginn der Partie geopfert hatte. Der weiße Angriff versandete, und der schwarze Konter schlug bald durch.
Für den Marathon des Tages sorgten Wesley So und Praggnanandhaa. Über sieben Stunden drückte So mit den schwarzen Steinen auf den vollen Punkt. Der Inder verteidigte sich im Turmendspiel makellos, bis nach 82 Zügen jeweils nur noch ein Turm auf dem Brett stand.
Die spektakulärste Partie des Tages schienen Nodirbek Abdusattorov und Jan-Krzysztof Duda zu spielen. Schon im siebten Zug musste der schwarze König nach g6 ins offene Feld flüchten, dafür schnappte sich einen Zug später ein schwarzer Springer auf h1 einen weißen Turm. Aber was wild und kaum durchschaubar aussah, war beiden Akteuren bekannt. Beide hatten sich auf ein seltenes Abspiel des Steinitz-Angriffs in der Russischen Verteidigung eingelassen, und beide wussten genau, was sie taten. Das Spektakel verflachte bald in ein etwa ausgeglichenes Endspiel.
Ein solches hatten sehr früh auch Vincent Keymer und Anish Giri auf dem Brett. Keymer reklamierte den Mehrbesitz eines Bauern für sich, Giri größere Aktivität und die bessere Struktur. Im Ergebnis war das ausgeglichen.
Mehr Bilder und Videos im Feed.
|| Runde 6, 22. Februar
Endspielschlachten
■ Erster gegen Zweiten: Es hätte die Partie sein können, die den Ausgang des Turniers wieder gänzlich ungewiss macht. Wesley So musste nichts weiter tun, als mit den weißen Steinen den um einen Punkt enteilten Levon Aronian zu besiegen. Dann wären beide wieder gleichauf gewesen und das Feld dicht zusammengerückt. Aber die Partie endete remis – wie die anderen vier Partien der sechsten Runde, teils nach über sechsstündigen Endspielschlachten. Der Tabellenstand ist nach diesem Tag der Unentschieden unverändert.
Aronian stand sogar kurz davor, das Turnier so gut wie vorzeitig zu entscheiden. Es hätte allerdings einer computerhaften Lösung bedurft, die So entgangen war und die auch Aronian verpasste. Anstatt des Computermanövers spielte er ein sehr menschliches: den Springer vom Rande zurück in die Partie überführen. Im Zug danach verpasste Aronian eine ganz ähnliche Gelegenheit. Danach gab So das dynamische Gleichgewicht der scharfen Stellung nicht mehr aus den Händen. Am Ende erzwang Aronian Remis durch Dauerschach.
Mit “plus drei” weiterhin in einer komfortablen Situation, zeigte sich Aronian nach der Partie nicht übermäßig enttäuscht. “Ich habe eine kämpferische Partie gespielt, und wenn du kämpfst, bekommst du Chancen”, erklärte Aronian im Interview. “Aber es lässt sich im Lauf eines Turniers auch kaum vermeiden, dass du Chancen verpasst. Die Gegner sind stark, das passiert.”
Nach dem Remis gegen So führt weiterhin Levon Aronian mit einem Punkt Vorsprung das Feld an, gefolgt von Wesley So und Gukesh mit jeweils 3,5 Punkten. Der junge Inder vermochte die Gelegenheit, in seiner Weißpartie einen halben Punkt zur Spitze aufzuholen, nicht zu nutzen.
Nach einer englischen Eröffnung landeten Gukesh und Nodirbek Abdusattorov bald in einem ausgeglichenen Endspiel, in dem die beiden weißen Läufer den beiden schwarzen Springern nicht überlegen waren. Wer von den beiden die ausgeglichene Stellung auf Gewinn spielt, fragten sich wahrscheinlich nicht nur die Kommentatoren Yasser Seirawan und Elisabeth Pähtz. Sicher ist: Sie spielten, bis das Brett fast abgeräumt und das Remis unausweichlich war.
Ian Nepomniachtchi hätte mit einem Sieg mit den beiden Zweitplatzierten gleichgezogen. Nach seiner Remisserie wollte er diesen Sieg nun gegen Andrey Esipenko erwzingen, nicht nur am Brett, auch mit psychologischen Mitteln. Als Esipenko nach mehr als sechs Stunden und knapp 80 Zügen ausgerechnet hatte, wie er seinen Springer opfern, aber dafür alle weißen Bauern eliminieren und ein Remis erzwingen kann, habe bei Nepo plötzlich ein intensives Mimik eingesetzt.
“Er hat ein Gesicht gezogen, wie er es zieht, wenn sein Gegner einen Fehler gemacht hat”, berichtete Andrey Esipenko hinterher. Und er erzählte von seiner Angst im Angesicht von Nepomniachtchis Grimassen, ihm sei ein Fehler unterlaufen. Esipenko: “Ich bin in dieser Partie zehn Jahre gealtert.”
Jan-Krzysztof Duda und Vincent Keymer spielten einen spanischen Anti-Marshall, in dem Keymer nach einem originellen Qualitätsopfer zunächst gutes Spiel bekam. Später gab er die Qualität zurück, vielleicht voreilig. Es entstand eine für Schwarz stabile, aber gedrückte Position, in der der Pole lange auf zwei Ergebnisse spielen konnte. Duda versuchte gut sechs Stunden lang sein Möglichstes, Keymer hielt.
Praggnanandhaa war gegen Anish Giri aus der Eröffnung heraus am Drücker. Den Druck hielt er bis tief ins Endspiel aufrecht, in dem nur der Inder trotz einer glatten Minusqualität dank seines zentralen Freibauernduos auf Gewinn spielte. Giri gelang es schließlich, per Rückopfer der Qualität die beiden Freibauern vom Brett zu nehmen. Die Partie mündete in ein blutleeres Damenendspiel, in dem für beide Seiten nichts mehr zu holen war.
Nach der zweiten Zeitkontrolle waren einige Beobachter irritiert, als sie sahen, dass Hauptschiedsrichter Gregor Johann die Uhr angehalten hatte. Ist es etwa vorbei? Nein, das war es nicht. Die Spieler hatten ihre Züge in Zeitnot nicht mehr mitgeschrieben. Während Giri und Pragg ihre Formulare aktualisierten, stoppte Johann die Uhr gemäß FIDE-Regel 8.5.1.
Mehr Fotos und Interviews im Turnier-Feed
|| Runde 5, 21. Februar
Wer stoppt Aronian? (5. Runde)
■ Eine Vorentscheidung im WR Chess Masters bedeutet Levon Aronians Sieg in der fünften Runde noch nicht, aber der 40-Jährige ist jetzt der klare Favorit auf den Turniergewinn. Nach seinem vollen Punkt gegen Anish Giri führt Aronian die Tabelle mit vier Punkten aus fünf Partien an, einen Zähler vor Wesley So und Gukesh mit jeweils drei. Mit seinem dritten Sieg im Turnier hat sich Aronian zurück in die Top 10 der Welt gekämpft (Live-Rangliste).
Anish Giri hatte Aronian in der Eröffnung überrascht: Berliner Verteidigung statt des Offenen Spaniers, den Aronian erwartet hatte. Vielleicht waren es seine vier unentschiedenen Partien bislang, die Giri im 21. Zug verlockten, die Lage zu verschärfen, anstatt in ein übersichtliches, kaum gefährliches Endspiel zu vereinfachen? In der Folge geriet der Weltranglistenfünfte unter Druck und musste schließlich gar zulassen, dass Aronian zwei Türme auf seiner siebten Reihe verdoppelte. Das konnte nicht gutgehen.
Vincent Keymer war der zweite Sieger des Tages. Nach 17 sieglosen Superturnier-Partien in Wijk aan Zee und Düsseldorf war ihm in der 18. ein voller Punkt vergönnt. Keymer muss nun nicht länger die rote Laterne tragen, zumindest nicht alleine. Er ist jetzt Teil eines Quintetts mit zwei Punkten aus fünf Partien. Nach 0,5 Punkten aus den vergangenen drei Partien gehört nun auch Nodirbek Abdusattorov dazu.
In der Partie der beiden besten 18-Jährigen der Welt trug Abdusattorov seinen Teil dazu bei, dass es ein sehenswertes Gefecht wurde. Ob sein Bauernopfer in der Eröffnung Improvisation war oder Vorbereitung, ist ungeklärt. “Ich habe es ihm jedenfalls nicht geglaubt”, erzählte Keymer nach der Partie.
Trotz des Keymerschen Unglaubens sollte Abdusattorov starkes Spiel gegen den weißen Königsflügel aufziehen. Aber dann erlag er der Verlockung eines Scheinfigurenopfers für weiteren Angriff, anstatt die Partie in ruhiges, für Schwarz womöglich sogar leicht vorteilhaftes Fahrwasser zu überführen. Als Abdusattorov schließlich noch einen Turm in die weiße Rochadestellung knallte, fand Keymer, es sei “fast ein Wunder, dass ich nicht matt werde, so gefährlich sieht das aus”. Alle schwarzen Figuren seien perfekt aufgestellt, allein: “Er hat leider zu wenige davon.”
Für Praggnanandhaa gab es einen sehr guten Grund, die Partie gegen Jan-Krzysztof Duda früh zu beenden. Seine Schwester Vaishali spielte am Dienstagnachmittag in der Pro Chess League für ihr Team “Indian Yogis” gegen die “Canada Chessbrahs”. Und in deren Reihen wirkte ein gewisser Magnus Carlsen mit. Wer würde nicht gerne seiner Schwester live bei einem Match gegen den Weltmeister zuschauen?
Unglücklicherweise schien die Partie geradewegs auf ein Schwerfigurenendspiel zuzusteuern, das für den Inder eine Gelegenheit bieten könnte, seine Lust am ausgiebigen Kneten kleiner Vorteile zu zelebrieren. Aber dazu kam es dann doch nicht. Ein überhasteter Vorstoß Pragg’s am Königsflügel gab Duda das Gegenspiel, das er brauchte, um die Partie in der Waage zu halten und noch vor dem 40. Zug eine Zugwiederholung zu erzwingen.
Pragg hat nun zwei Gründe, mit seiner fünften Runde unzufrieden zu sein. Gegen Duda hätte er länger Druck machen und eventuell mehr rausholen können. Und Vaishali vs. Carlsen musste er sich trotzdem in der Aufzeichnung anschauen.
Der angehende WM-Finalist Ian Nepomniachtchi hat es nicht vermocht, am Ruhe-Montag Schwung für alles Weitere zu holen. Nepos Remisserie setzte sich fort, und damit muss er sogar zufrieden sein. Mit den schwarzen Steinen gelang es seinem Gegner Gukesh, den Weltranglistenzweiten aus einer symmetrischen, ausgeglichenen Position heraus zu überspielen.
Nepomniachtchi kann aus dieser Begegnung immerhin mitnehmen, dass er sie gehalten hat. Als er sich mit einem Minusbauern in einem äußerst kritischen Endspiel wiederfand, raffte sich Nepomniachtchi zu einer präzisen Verteidigungsleistung auf und rettete wenigsten einen halben Punkt.
Zwischen Andrey Esipenko und Wesley So war in der fünften Runde nicht viel los. Esipenko fand, er habe mit Weiß nichts rausgeholt, und So fand, ein Remis mit Schwarz sei ein ordentliches Ergebnis. Die beiden wiederholten die Züge, nach 22 Zügen war die Partie remis.
“Ein gutes Team macht jeden Einzelnen stärker”
■ Fast schon Halbzeit beim WR Chess Masters. Nach ereignisreichen ersten Tagen gesellte sich Gastgeber und Organisator Wadim Rosenstein zu Yasser Seirawan ins WR-Chess-Studio, um eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Das Gespräch zwischen den beiden (gekürzt und redaktionell bearbeitet):
Wadim, wie läuft’s bisher?
Bei uns sind freundliche, anspornende Rückmeldungen eingegangen, dafür möchte ich mich bedanken. Von den Kindern, die hier jeden Tag zu Gast waren, habe ich sogar einige Geschenke bekommen, und den Spielern gefällt es sehr bei uns, das macht mich stolz. Insofern: Bis jetzt läuft es fantastisch.
Kinder sind fast jeden Tag Teil des Rahmenprogramms. Am Sonntag zum Beispiel waren Kinder ukrainischer Flüchtlingsfamilien zu Gast. Und es ist ja noch einiges zu erwarten. Erzähl mir davon.
Die WR Chess Juniors fangen jetzt an, die größte Veranstaltung neben dem Superturnier. Wir hatten mehr als 190 Föderationen angeschrieben und ihre besten Talente eingeladen teilzunehmen. Die Vorrunde haben wir online ausgetragen, und die Sieger begrüßen wir jetzt in Düsseldorf. Sie spielen hier ein Turnier, und sie bekommen Training von Koryphäen wie Boris Gelfand.
Warum all diese Junior- und Kinderveranstaltungen?
Weil ich mich erinnere, wie toll es für mich als Jugendlicher war, bei den Dortmunder Schachtagen Viswanathan Anand und die anderen Stars am Brett zu sehen. Jetzt möchte ich jungen Spielerinnen und Spielern die gleiche Gelegenheit geben.
Mit Ian Nepomniachtchi und Andrey Esipenko hast du zwei Russen eingeladen. Dir muss klar gewesen sein, dass du dafür kritisiert wirst.
Als ob ich der Einzige wäre, der russische Spieler einlädt. Ian hat in den USA in Saint Louis gespielt, Andrey spielt in der deutschen Bundesliga. Hier spielen beide unter FIDE-Flagge, insofern sehe ich keinen Anhaltspunkt für Kritik.
Die Stadt unterstützt das WR Chess Masters politisch. Der Oberbürgermeister kam zur Eröffnung und hat die Schirmherrschaft übernommen. Er hat sogar mit Vincent Keymer Tandem gespielt.
Wir waren sehr glücklich, dass Dr. Stephan Keller hier war, ebenso wie NRW-Finanzminister Dr. Marcus Optendrenk, beides gute Schachspieler.
Schachstadt Düsseldorf…
16 Vereine, mehr als tausend organisierte Spieler und Spielerinnen. Und eine Menge Schachtradition, wenn ich an das WM-Match 1908 Lasker-Tarrasch denke. An diese Tradition wollen wir anknüpfen und sie entwickeln. Ein weiterer Baustein neben dem WR Chess Masters wird die Offene Team-WM in Düsseldorf in Juni sein, die erste Mannschafts-WM der Geschichte, in der sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihre Mannschaften selbst zusammenstellen können: sechs Bretter, vier offene, eines für Frauen, eines für Amateure unter 2000 Elo. Eine Art Schach-Champions-League, dotiert mit 250.000 Euro. Ich hoffe, dass das Format ankommt und die 2023er-Auflage nur der Anfang ist. Eine Reihe von Anfragen gibt es schon.
Wadim, wie geht deine Schachgeschichte?
Ich habe als Sechsjähriger angefangen. Über die Schach-AG im Koblenzer Gymnasium bin zu meinem ersten Verein gekommen. Und dann war ich plötzlich Schachspieler, das ging sehr schnell. Seinerzeit habe ich ein Turnier nach dem anderen gespielt, auch der Atmosphäre wegen. Besonders in Erinnerung sind mir die Wettkämpfe in der Jugendbundesliga, wo ich als Zwölfjähriger die Gelegenheit hatte, mit den älteren Jungs Teil eines Teams zu sein und von ihnen zu lernen. Die gegenseitige Unterstützung, der Zusammenhalt, das war eine großartige Zeit. Unser Teamgeist von damals erinnert mich an das, was wir hier bei den WR Chess Masters erleben: Sehr unterschiedliche Leute aus zahlreichen Ländern und doch eine Familie. Teil eines guten Teams zu sein, macht jeden Einzelnen stärker.
In Saint Louis habe ich herausgefunden, deine Leidenschaft ist Tandem.
Ja, immer schon. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich im Tandem viel besser bin als im regulären Schach. In Saint Louis war ich überrascht zu sehen, wie verbreitet Tandem in der absoluten Spitze ist. Ich habe mit Hikaru, Ian, Alireza und den anderen großen Jungs Tandem gespielt – wow. Daraus ist die Idee entstanden, ein richtiges Tandem-Turnier zu organisieren und es zu übertragen. Für die Öffentlichkeit muss es doch spannend zu sehen sein, wie die besten Schachspieler der Welt sich beim Tandem anstellen. Das Tandem-Turnier zum Abschluss des WR Chess Masters dürfte das erste live übertragene Tandem-Turnier mit Supergroßmeistern überhaupt sein.
|| Ruhetag und Rosenmontag, 20. Februar
Sagar Shah ist da
■ Von Mumbai nach Düsseldorf: Für Sagar Shah, Chef von ChessBase India, und sein Millionengefolge von Zuschauenden und Lesenden ist der Wettbewerb mit den zwei Indern darin besonders interessant. Ab sofort versurgt Shah das Publikum mit Einsichten aus dem Hyatt Regency. Mutmaßlich hat er auch das eine oder andere mit ChessBase-Mitgründer Frederic Friedel zu besprechen, der ebenfalls anwesen ist.
Helau
■ Für den Schachtross waren am Ruhetag einige Plätze reserviert, um im Herzen Düsseldorfs dem närrischen Treiben zu folgen. Unter anderen Boris Gelfand und Levon Aronian machten davon Gebrauch, Letzterer mit dem Anlass entsprechend mit einer Clownsnase im Gesicht.
Speziell Gelfand hatte es eilig, zurück ins Hotel zu kommen. Betreut vom Bundesligisten Borussia Düsseldorf un dessen Manager Andreas Preuss, stand Tischtennis stand auf dem Programm, eine Sportart, in der der Israeli als ambitionierter Amateur gilt.
Im Turnier der acht Supergroßmeister plus Organisator Wadim Rosenstein plus FIDE-Direktorin Dana Reizniece-Ozola fand Gelfand jedoch seinen Meister. Andrey Esipenko entpuppte sich als noch besser. Mit neun Siegen aus neun Matches sicherte sich Esipenko die gläserne Siegertrophäe.
|| Runde 4, 19. Februar
Von menschlichem und Maschinenvorteil
■ Nach Remis roch es schon kurz nach dem 30. Zug, als zwischen Nodirbek Abdusattorov und Praggnanandhaa ein symmetrisches Turmendspiel entstanden war. Mehr im Scherz, kichernd fast zählten Yasser Seirawan und Anastasiya Karlovych im Livestream die akademischen Vorteile der weißen Stellung auf: ein klein wenig mehr Raum, ein etwas aktiverer König, ein etwas aktiverer Turm. Sie sprachen es nicht aus, aber ließen durchblicken, dass sie nun jeden Moment einen Friedensschluss erwarten.
Die beiden Experten lagen falsch. Bis zum 58. Zug versuchte Abdusattorov, seinen Mini-Vorteil in Greifbares zu verwandeln. Erst als jeweils nur noch ein Turm auf dem Brett stand, schlossen der Usbeke und der Inder Frieden. Ihre fehlerfreie Partie mag als Beleg dafür dienen, dass es nicht am fehlenden Kampfgeist liegt, wenn Unentschieden zu notieren sind, nachdem sich der Pulverdampf verzogen hat. In der vierten Runde waren fünf solcher Unentschieden zu notieren.
Ähnlich, allerdings nicht so lange, dafür mit mehr Pulverdampf, lief es auf dem Brett von Jan-Krzysztof Duda und Levon Aronian. Wie sehr beide wollten, ließ sich bald daran ablesen, dass beide auf die Sicherheit ihres Königs pfiffen. Anstatt den eigenen Laden dichtzuhalten, stürmten sie munter auf den Laden gegenüber los, eine Partie nach der Devise “hinter mir Brücken abbrechen, vor mir Türen eintreten”.
Nur kann derartiges Vorgehen im Schach zu forcierten Zugfolgen führen. Das absehbare wilde Gefecht fand nur ansatzweise statt. Dann erspähte Duda eine solche forcierte Zugfolge, eine, die ihm ein Dauerschach und einen halben Punkt sicherte. Und, wichtiger noch, eine Alternative offenbarte sich ihm nicht. Da alles andere mit Matt bestraft worden wäre, nahm Duda das Dauerschach und den halben Punkt.
Schachbinsen wie die im Absatz vor diesem ersparte Anish Giri dem Publikum, als er nach dem Remisschluss im Stream seine Partie gegen Andrey Esipenko sezierte. Giri hatte stattdessen Einsichten anzubieten. Im Schach gebe es zwei Arten von Vorteil, den menschlich-organisch herausgespielten und den, der aus besserer Kenntnis von Enginevarianten entsteht. Letzterer, dozierte Giri, sei viel schwieriger zu verwerten.
Logisch: Wenn der Mensch auf Grundlage seiner Pläne und Manöver zu Vorteil gekommen ist, dann ist die Basis, diesen Vorteil auszubauen und zu verwerten, schon gegeben. Sitzt der Mensch vor einer Stellung, von der er nur weiß, dass die Engine sie mit “+0,5” bewertet, dann fängt sein Planen und Manövrieren bei Null an. Giri, der schachtheoretisch womöglich beschlagenste Spieler der Welt, erreicht zu seinem Leidwesen viel häufiger Enginevorteile als organische. Und scheitert beim Verwerten – wie am Sonntag gegen Andrey Esipenko.
Vincent Keymer wäre schon froh, würde er überhaupt einen Vorteil finden, gleich welcher Natur. Mit 0,5 Punkten aus 3 Partien drohte sich auf seinem Rücken eine Zielscheibe abzuzeichnen, und nun stand ihm gegen Gukesh die dritte Schwarzpartie bevor. Trotzdem, es sei für Keymer an der Zeit zuzuschlagen, befand Seirawan – er möge es machen wie am Vortag Praggnanadhaa, der sich nach zwei Nullen eine Eins gesichert hatte.
Eine Wahl hatte der Lokalmatador ohnehin nicht. Gukesh, womöglich in der Annahme, einen angeschlagenen Gegner vor sich zu haben, zettelte sofort eine Prügelei an. Quer übers Brett verteilt, galt es für Keymer, hier einen Zwischenzug, dort ein Matt, hier einen Spieß und dort einen laufenden Freibauern zu bändigen. Der deutschen Nummer eins blieb nichts anderes, als die Deckung hochzunehmen und zu parieren, was kommt. Keymer gab sich keine Blöße, fand aber auch keine Lücke, durch die es sich hätte kontern lassen – remis.
Die meisten Schachspieler sind froh, wenn sie das Läuferpaar haben, und im Angesicht eines Mehrbauern schnalzt nicht nur der bekennende “pawngrabber” Yasser Seirawan mit der Zunge. Wesley So hatte gegen Ian Nepomniachtchi beides, das Läuferpaar und einen Mehrbauern.
Allerdings hatte ihm Nepomniachtchi beides freiwillig überlassen, erst den Bauern, dann den Läufer. Keineswegs war Spendierfreude sein Antrieb gewesen, sondern die Einschätzung, dass So in der gegebenen Konstellation aus beiden Vorteilen nichts wird machen können. Der angehende WM-Finalist sollte Recht behalten. Nach der ersten Zeitkontrolle endete auch diese Partie unentschieden.
Interviews und Analysen zur vierten Runde
|| Runde 3, 18. Februar
Aronian, der Drachentöter
■ Mit einem strategischen Meisterstück hat sich Levon Aronian an die Spitze des Feldes beim WR Chess Masters gesetzt. Dem sizilianischen Drachen von Nodirbek Abdusattorov gab Aronian keine Gelegenheit, Feuer zu speien. Schon ausgangs der Eröffnung hatte der US-Armenier mit den weißen Steinen die Partie in ein für Schwarz perspektivloses Endspiel überführt.
Im Live-Stream offenbarte Levon Aronian das Geheimnis seiner Spielfreude: Er schaue sich gerade im Fernsehen eine “deprimierende” Fernsehserie von 1979 an, “Berlin Alexanderplatz” an. Die Handlung im Berlin der 1920er-Jahre sei derart traurig, “dass es mich glücklich macht, sobald ich wieder am Brett sitzen kann. Alles ist dann ganz wunderbar.” Und das wirke sich offenbar auf seine Partien aus.
Mit 2,5 Punkten aus 3 Partien liegt der armenische US-Großmeister nun alleine vorne. Das andere Ende der Tabelle ziert der einzige Spieler, der in der Lage war, Aronian einen halben Punkt abzuknöpfen. Vincent Keymer hat nach seiner Drittrundenniederlage gegen Praggnanandhaa nur diesen halben Punkt auf dem Konto.
“Pragg” hingegen hat die Serie von zwei Niederlagen mit einem vollen Punkt gestoppt – und mit was für einem. Nachdem Keymer ausgangs einer spanischen Eröffnung eine gute Gelegenheit verpasst hatte, Gegenspiel aufzuziehen und die Partie vollends auszugleichen, geriet er nach und nach in einen Königsangriff, der bald nicht mehr zu stoppen war. “Mit einem Punkt auf der Anzeigetafel zu stehen, ist natürlich eine gute Sache”, freute sich der Inder.
Weiterlesen auf der Turnierhomepage
|| Runde 2, 17. Februar
Vier Tabellenführer
■ Gukesh und Nodirbek Abdusattorov haben mit Siegen in der zweiten Runde des WR Chess Masters zu den Tabellenführern aufgeschlossen. Mit Wesley So und Levon Aronian bilden die beiden Youngster das Quartett, das mit 1,5 Punkten aus 2 Partien an der Tabellenspitze steht.
Gukesh lieferte sich ein verbissenes, mit offenem Visier geführtes Gefecht im indischen Duell gegen Praggnanandhaa, dem unter Zeitdruck ein Fehler unterlief. Gukesh zauberte ein sehenswertes Mattfinale aufs Brett, das sich sein Landsmann nicht bis zum Ende zeigen ließ. Praggnanandhaa ziert jetzt mit 0/2 allein das Tabellenende – eine Momentaufnahme.
Nicht weniger als „eine fantastische Partie“ (Yasser Seirawan) zeigte Nodirbek Abdusattorov gegen Andrey Esipenko, der am Vortag für seinen vollen Punkt gegen Vincent Keymer länger als sieben Stunden hatte schuften müssen. Am Freitag erwischte ihn nach gut einer Stunde ein doppeltes Figurenopfer Abdusattorovs, der dafür fast unwiderstehlichen Angriff bekam.
Drei Partien endeten remis, darunter die eher ereignisarme Begegnung zwischen Anish Giri und Wesley So, der dem Niederländer in einem fast symmetrischen Endspiel das Läuferpaar überließ – und nachwies, dass es in dieser Konstellation keinen Mehrwert bedeutet.
Jan-Krzysztof Duda schien gegen Ian Nepomniachtchis russische Verteidigung eine gewisse Initiative herausgespielt zu haben, doch fand Schwarz ausreichend Gegenspiel, um die Angelegenheit verflachen zu lassen. Ähnlich sah es zwischen Vincent Keymer und Levon Aronian aus. Was anfangs wirkte, wie ein bedrohlich heraufziehender Königsangriff, reichte bei weitem nicht aus, um die schwarze Bastion zu erschüttern…
Weiterlesen auf der Turnierhomepage
|| Runde 1, 16. Februar
Die Bayern sind da (Fußballabteilung)
■ Nicht die Schach-, sondern die Fußballabteilung des FC Bayern München nächtigt parallel zum Auftakt des WR CHess Masters im Hyatt Regency. Aber auch unter den Kickern findet sich der eine oder andere Schachfreund. Ob Jarmal Musiala, Kingsley Koman und Joshua Kimmich die Zeit finden, bei Keymer&Co. reinzuschauen? Sie sind ja wegen Fußball da. Am Samstag um 15.30 treten sie bei ihren Angstgegnern aus Mönchengladbach an.
316 Worte zum Karneval
■ “Ein Wort zum Karneval vorab:“, schreibt André Schulz. Dann folgen 316 lesenswerte Worte, in denen Schulz über Fastnacht, Karneval und Fasching referiert, über Biersorten und rheinische Rivalität. Am Rande geht es auch um das WR Chess Masters.
Was habt Ihr, die hier den Betreiber dieser Website angreifen, eigentlich für ein Problem??? Wäre es Euch lieber, er würde die Seite einfach abschalten?
Vincent Keymer hat wiederum beeindruckt, ich mag auch einige seiner Eröffnungsideen, auch seine Kampfkraft sozusagen.
Der Sieg gegen So war cool, ansonsten sehe ich den Willen jeden zu besiegen.
Schormann, Sie arbeiten fürs WR Chess Masters, richtig?
Auf der Internetseite https://wr-chess.com/pairings-and-results fehlt in der vierten Runde die Partie Gukesh-Keymar. Ist da etwas passiert oder ist das ein Versehen.
[…] Rundenturnier des Jahres 2023, nach dem “Tata Steel Chess” im Januar und dem “WR Chess Masters” im Februar eine dritte Gelegenheit für die deutsche Nummer eins, sich mit Gegenspielern der […]
Nach 1. C4 SF6 2. G3 C5 (C6 gilt als direkt ausgeglichen, für einige, LOL) 3. LG2 SC6 4. SC3 E6 ist 5.LC6 aus meiner Sicht exstra-interessant. Ich kenne derarigies Bemühen, den C-Doppelbauern gut, Robert Hübner hat sich so im sogenannten Nimzo-Indischen bemüht, aber auch derartige Leistung von Bent Larsen ist womöglich interessant : -> 1. C4 C5 2. SC3 SC6 3. G3 G6 4. LG2 LG7 5. D3 D6 6. LC6 !? Um dann eben mit LC2-D2 und F2-F4 einen Finger sozusagen ins Zentrum zu kriegen. Vgl. vielleicht auch mit derartiger Eröffnungsabsicht : -> 1. E4 C5 2. SC3… Weiterlesen »
Artikel von Conrad Schormann, der für die WR Group arbeitet (!) im Oktober 2022 über den Veranstalter des WR Chess Masters (siehe Artikel Schormanns vom 06.10..22):
-“Bei der “WR Group” wurden die Kritiker schnell fündig: ein Logistikunternehmen mit Drähten nach Russland und mit einem Chef, der im Mai 2022 in Moskau mit Sergey Karjakin Schach gespielt hat. Auf Twitter dauerte es nur ein paar Minuten, bis das Urteil der FIDE-Kritiker feststand: wieder ein Russland-Deal des Schach-Weltmeisters”.
……