Schachrussland wird asiatisch

Der Wechsel des russischen Schachverbands vom europäischen zum asiatischen Kontinentalverband ACF steht unmittelbar bevor. Die FIDE hat jetzt bekanntgegeben, dass sie einverstanden ist. Es fehlt noch die Zustimmung des asiatischen Verbands, wahrscheinlich eine Formalität. Während der Generalversammlung der ACF am 28. Februar dürfte der Wechsel endgültig vollzogen werden.

Vor dem Eintritt des russischen Verbands in den asiatischen hat die FIDE jetzt beschlossen, russischen Spielern und Spielerinnen zu erlauben, zu einem europäischen Schachverband zu wechseln, ohne dass eine Ablösesumme fällig wird und ohne dass es zu Verzögerungen kommt. Die anderen Bedingungen für Verbandswechsel sind allerdings weiter zu erfüllen, entweder der Wohnsitz im Land des neuen Verbands oder die Staatsangehörigkeit.

Andrey Esipenko, der derzeit beim WR Chess Masters in Düsseldorf spielt, hat nach dem Überfall auf die Ukraine Russland den Rücken gekehrt. Er könnte jetzt unmittelbar und ohne Gebühr zu einem anderen europäischen Verband wechseln. | Foto: Lennart Ootes/WR Chess

Dem russischen Großmeister-Exodus könnte nun eine Wechselwelle folgen. Zahlreiche Russen, die sich längst ins Ausland abgesetzt haben, könnten jetzt unter neuer Flagge spielen. Vor allem in Spanien lebt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine ganze Reihe russischer Großmeister, Andrey Esipenko etwa, der gerade in Düsseldorf spielt, Nepo-Sekundant Nikita Vitiugov oder Vladimir Fedoseev sind Teil der russischen Schach-Enklave in Spanien.

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Auch dem sofortigen Wechsel von Alexandra Kosteniuk zum Schweizer Verband steht nun nichts mehr im Weg. Bislang war dieser Wechsel zwar angekündigt, aber in der Schwebe, um Gebühr und Ablösesumme an den russischen Verband auszusitzen.

Teil der neuen Regelung ist nicht, dass Spielern und Spielerinnen eine Verbindlichkeit abverlangt wird. Russen und Russinnen, die jetzt zu einem europäischen Verband wechseln, können jederzeit und ohne Ablösesumme zum russischen Verband zurückwechseln. DSB-Sportdirektor Kevin Högy sieht diesen Passus kritisch. Die Regelung nähre den Verdacht, dass es sich um eine neue neutrale Flagge unter dem Deckmantel einer richtigen handele, schrieb Högy auf Twitter.

In den vergangenen Monaten haben zahlreiche Russen mehrfach zwischen neutraler und russischer Flagge gewechselt, gerade so, wie es passt. Aleksandra Goryachkina etwa hat Ende Januar mit Karjakin&Co. unter russischer Flagge am Z-Propagandaturnier in Moskau teilgenommen, den „Chess Stars“. Im März wird sie unter neutraler Flagge an der Europameisterschaft teilnehmen. Nicht nur Högy sieht nun die Möglichkeit, dass mit der neuen Regelung das Hin- und Herwechseln russischer Profis zwischen Flaggen weitergeht, ganz so, wie es ihnen am besten in den Turnierplan passt.

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind der russische und der weißrussische Schachverband von FIDE-Veranstaltungen und internationalen Mannschaftswettbewerben ausgeschlossen. Die FIDE ist jedoch nicht der Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees gefolgt, einzelne Spieler und Spielerinnen auszuschließen. Der Schachverband verlangte lediglich, dass sie am Brett keine russische Flagge zeigen, und erfand die „neutrale“ FIDE-Flagge.

Der wahrscheinlich letzte russische Europameistertitel, erzielt von der Frauen-Nationalmannschaft bei der EM 2021. Alina Kashlinskaya (2.v.r.) spielt mittlerweile für Polen. Aleksandra Goryachkina (l.) wird im März unter FIDE-Flagge an der Europameisterschaft teilnehmen. | Foto: ECU

An deren Neutralität zu zweifeln, besteht Anlass. Dank der FIDE-Flaggen-Regelung können Russen und Russinnen in der Sportart Schach praktisch weiterspielen wie immer, und damit sind sie speziell ukrainischen Schachprofis gegenüber im Vorteil. Bei zahlreichen FIDE-Turnieren der jüngeren Vergangenheit, der Rapid- und Blitz-WM etwa, war das Feld gespickt mit Russen. Ukrainer nahmen kaum teil.

Die Top 12 der Startrangliste der Anfang März beginnenden Europameisterschaft, darunter 4 von voraussichtlich 48 Russen, die unter FIDE-Flagge teilnehmen.

Die Anfang März in Serbien beginnende Europameisterschaft (mit unter anderem Donchenko, Kollars und den Svanes), Qualifikation für den World Cup, veranschaulicht einen weiteren Vorteil, der sich den 48 russischen Schachprofis im Feld nun eröffnet. Ihnen stehen zwei kontinentale Qualifikationspfade zum WM-Zyklus offen, der europäische und der asiatische. Wer es vom 3. bis 13. März im europäischen Vrnjacka Banja nicht schafft, das World-Cup-Ticket zu lösen, der kann es in Asien noch einmal versuchen. Diese Hintertür wird nach Angaben des Europaverbands ECU erst im nächsten WM-Zyklus geschlossen.

Offen ist, ob die FIDE nach dem Wechsel Russlands nach Asien nun die Zahl der kontinentalen Qualifikationsplätze neu sortiert. Profis der asiatischen Schach-Riesen Indien und China stehen künftig im Wettbewerb mit solchen des neu hinzugekommenen Schach-Riesen Russland. Denkbar wäre (wenn nicht sogar wahrscheinlich), dass die FIDE in künftigen Zyklen europäische Qualifikationsplätze zugunsten asiatischer streicht.

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Krennwurzn
Krennwurzn
1 Jahr zuvor

Russland wechselt von Demokratie zu Diktatur – ein durchaus logischer Schritt.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

Wenn die FIDE gleich mit nach Asien ihren Sitz verlegt, wäre auch Ok.

kumagoro
kumagoro
1 Jahr zuvor

die FIDE ist abzuschaffen – das ist aber jetzt nicht neu. Ich persönlich habe mich dazu entschlossen, z.b. keine FA Lizenz anzustreben. Ich will diesen korrupten Haufen möglichst nicht auch noch unterstützen.

Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Ein mehrfaches Hin und Her zwischen Russland und einem – auch zukünftig – schach-europäischen Land wird es wohl nicht geben, da diese Regel bis zum 31. August befristet ist. Dieses Datum ist auch interessant: Russen können im Prinzip beim Weltcup (bis zum 26.8.) noch unter FIDE-Flagge spielen, sich da für das Kandidatenturnier qualifizieren und dann schnell ein attraktives Angebot z.B. aus Rumänien akzeptieren? Eine Rückkehr nach Russland wird wohl auch für den Fall ermöglicht, dass sich die politische Situation dort doch ändern sollte. Außerdem ermöglicht 2.4 auch einen Wechsel in jedes nicht-europäische Land: wer ohne compensation fee in die USA… Weiterlesen »