Rapid-WM, Tag 1: Iraner boykottieren Israelis, Hans Niemann die Presse

Magnus Carlsen, Vladimir Fedoseev, Jorden van Foreest und Arjun Erigaisi teilen sich nach dem ersten von drei Tagen bei der Schnellschach-WM die Führung. Mit 4,5 Punkten aus 5 Partien liegt das Quartett in Front. Bei den Frauen, die zwei Runden weniger spielen (warum eigentlich?), führt Valentina Gunina mit 4/4.

Die Deutschen sind ordentlich bis gut in den Wettbewerb gestartet. Bei den Herren liegen Vincent Keymer und Alexander Donchenko mit jeweils 3,5/5 in Lauerstellung. In der sechsten Runde am Montag ab 11 Uhr führen beide die weißen Steine gegen die WM-Kandidaten Richard Rapport bzw. Fabiano Caruana. Mit 3/5 knapp dahinter rangieren Rasmus Svane und Matthias Blübaum. Nur Frederik Svane hat mit 1,5/5 einen Fehlstart hingelegt.

Impressionen aus Almaty, außerdem eine Partie aus der ersten Runde: Vincent Keymer gegen den amtierenden Juniorenweltmeister Abdulla Gadimbayla.

Bei den Frauen liegt Elisabeth Pähtz mit 3/4 gut im Rennen, Lara Schulze steht bei 1,5/4. Pähtz hatte sich in den Wochen vor dem Turnier mehrfach über den für Zuschauer und Medien idealen, für Spielerinnen und Spieler aber unbequemen Weihnachtstermin beschwert. Pähtz findet, mit diesem Termin schade der Weltverband gezielt Christen. Am Brett sitzt sie in Kasachstan gleichwohl, des üppigen Preisgelds wegen. „Als Profischachspieler kann man das nicht sausen lassen“, hat sie vor Weihnachten dem SWR erklärt.

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Im Sportpalast Baluan Sholak im Zentrum von Almaty hat der fortwährende Boykott iranischer Schachspieler gegen Israelis einmal mehr für Aufsehen gesorgt. Als vor zwei Wochen, als der Iraner Amin Tabatabaei beim Schachfestival in Sitges seine Auftaktpartie gegen einen Israeli verweigerte, berichtete hierzulande eine ganze Reihe von Medien, vom Kicker über die Welt bis zur Süddeutschen Zeitung.

Wie bewertet der FC Bayern das Verhalten von Tabatabaei? Ist die Thematik intern vor der Verpflichtung einer iranischen Doppelspitze diskutiert werden? Solche Fragen beantwortet die Schach-Abteilung des FC Bayern weder auf Anfrage der Welt noch auf die dieser Seite.

Eigentlich passiert das, was Tabatabaei in Katalonien gemacht hat (bzw. machen musste, um daheim Repressalien zu vermeiden), immer wieder, aber der Umstand, dass Tabatabaei für den FC Bayern München spielt, dazu der Umstand, dass der FC Bayern auf eine bewegte Geschichte zur Nazizeit zurückschaut, hatten die Aufmerksamkeit multipliziert. Auf die Bitte der Welt, die Umstände und Hintergedanken der Tabatabei-Verpflichtung zu erläutern, hat der FC Bayern nicht reagiert. Auch eine Anfrage dieser Seite beim Chef der Bayern-Schachabteilung Jörg Wengler blieb unbeantwortet.

Wie sich der FC Bayern mit seiner iranischen Doppelspitze verhalten würde, sollte das Team auf Gegner mit Israelis in ihren Reihen treffen, ist wahrscheinlich auch intern ungeklärt. Was beim Schach-Weltverband FIDE in solchen Fällen passiert, war jetzt am ersten Tag der Schnellschach-WM zu besichtigen: Der Iraner verweigert den Wettkampf, der Israeli bekommt den vollen Punkt, und dann geht es für beide weiter, als sei nichts geschehen. Der einstige WM-Finalist Boris Gelfand verbuchte am ersten Tag gleich zwei kampflose Siege gegen Iraner.

Würde sich DSB-Mitarbeiter Paul Meyer-Dunker bei seinem Dienstherrn oder beim Kongress des Deutschen Schachbunds vergewissern wollen, dass das wirklich ein Skandal ist, dann würde er herausfinden, dass man sowas auch ohne Meinung aussitzen kann.

Die Proteste von Iranerinnen gegen das archaische Regime in ihrer Heimat sind ebenfalls in Kasachstan zu sehen. IM Sara Khadem, Elo 2490, war nach Aussage von Schiedsrichterin Shohreh Bayat im Iran mit einem Reiseverbot belegt, weil sie die Entscheidung ihres Landsmannes Alireza Firouzjas unterstütze, die Föderation zu wechseln. Jetzt darf die wieder reisen, spielt in Kasachstan unter der Flagge des iranischen Regimes – und zeigt trotzdem ihren Protest. Khadem absolviert die Weltmeisterschaft, ohne ein Kopftuch zu tragen.

Unter iranischer Flagge, aber ohne Kopftuch: Sara Khadem.

Zu Beginn des offenen Wettbewerbs stand Hans Niemann mindestens ebenso im Fokus der Aufmerksamkeit wie die 2800er an den Spitzenbrettern. Unter anderem Reporter der New York Times und des Senders ABC sind in Almaty anwesend, um ein Niemann-Feature anzufertigen. Offensichtlich lässt den 19-Jährigen diese Aufmerksamkeit nicht unbeeindruckt. Er hat nach Angaben des norwegischen Rundfunks das amerikanische wie das norwegische Fernsehen gebeten, nicht durchgängig ihre Kameras auf ihn zu richten. Interviews lehnt Niemann in Almaty kategorisch ab.

Elo 2705, Nummer 36 der Welt: Für Hans Niemann lief es unlängst in Sitges sehr gut. Zum Auftakt der Schnellschach-WM hat der 19-Jährige nicht dort angeknüpft, wo er unlängst in Katalonien aufgehört hat.

Sportlich läuft es für den Großmeister, der nach seinem zweiten Platz in Sitges nun die 2700 Elo überschritten und den 36. Platz in der Weltrangliste erklommen hat, beim Schnellschach eher bescheiden. Nach vier Unentschieden, eines davon nach sechs Zügen, sowie einem Sieg steht Niemann im oberen Mittelfeld. Noch ist möglich, dass er im Lauf des Wettbewerbs auf die von ihm verklagten Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura trifft, aber Niemann wird sportlich zulegen müssen, um diesen beiden am Brett zu begegnen.

Magnus Carlsen gelang die Revanche gegen Nodirbek Abdusattorov. | Foto: Anna Shtourman/FIDE

Sportlich liegt der Fokus der Betrachter auf der in Kasachstan anwesenden illustren Gruppe der weltbesten Spieler sowie der Nachwuchsgroßmeister, die sich anschicken, in die Elite einzubrechen. Einem von denen, dem Usbeken Nodirbek Abdusattorov, war es schon im vergangenen Jahr gelungen, den Weltmeistertitel im Schnellschach zu gewinnen.

2022 startete Abdusattorov mit 3/3, und es kam zur Begegnung mit Magnus Carlsen, den er im Vorjahr spektakulär geschlagen hatte. Dieses Mal wurde Abdusattorov überrollt. Carlsen verfolgt die erklärte Absicht, einen der drei „kleinen“ Weltmeistertitel zu gewinnen, bevor er im April den klassischen Titel abgeben muss. Unlängst bei der 960-WM war er gescheitert. Nun in Kasachstan hat er zwei weitere Chancen.

Gegen Anish Giri (l.) kassierte Alexander Donchenko seine bislang einzige Null. | Foto: Anna Shtourman/FIDE
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Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Die sittliche Niedrigkeit des Iran ist seit mehr als vierzig Jahren bekannt.