Taktiknachlese vom Schachgipfel

Die Schlachten sind geschlagen, die Master gekürt, die Meister auch, es ist eingeräumt, verpackt und abtransportiert. Was vom Deutschen Schachgipfel 2022 bleibt, sind hunderte, nein, tausende Schachpartien. Die haben wir durchgeschaut (mit ein wenig maschineller Assistenz) und nach den schönsten Kombinationen und verpassten Gelegenheiten gefahndet. Neun davon seien hier präsentiert – und dazu ein besonderes Taktikbonbon (ganz am Ende des Beitrags).

Weil in diesem Jahr das “Masters” parallel lief, drohte die Deutsche Blitzmeisterschaft eine One-Man-Show und eine sichere Beute von Matthias Blübaum zu werden. Unter den wenigen, die ihn vielleicht würden ärgern können, war Ilja Schneider aus Hannover. Der Fast-Großmeister und Blitz-Spezialist hatte unlängst immerhin Platz vier bei der Blitz-Europameisterschaft belegt.

Wie Ilja Schneider bei der Europameisterschaft den WM-Kandidaten Jan-Krzysztof Duda besiegte. Mit Schwarz – und mit dem Colorado-Gambit.

Bei der “Deutschen” reichte es nicht, Blübaum zog wie erwartet einsam seine Kreise. Aber Schneider gelang ein hübscher Schwarzsieg über seinen IM-Kollegen Sven Telljohann:

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IM Sven Telljohann (2410) – IM Ilja Schneider (2525)
German Championship | Blitz Magdeburg (25), 2022.08.21

Zum Aufwärmen: Wie brachte Ilja Schneider den ganzen Punkt unter Dach und Fach? Schwarz zieht und gewinnt.

(Du willst lösen? Klick aufs Diagramm.)


Nach seinem Sieg bei der Deutschen Amateurmeisterschaft vor zwei Jahren hätte Christoph Dahl vor einem Jahr beinahe die Deutsche Meisterschaft U18 gewonnen. Eine hauchdünne Last-Minute-Entscheidung führte dazu, dass am Ende doch Nils Richter den Titel gewann. Bei der Deutschen Blitzmeisterschaft 2022 galt angesichts eines Blübaums im Feld für Dahl wie für alle anderen: Es war weder knapp noch hauchdünn. Immerhin: eine von Dahls Niederlagen taugt wunderbar zum Aufwärmen für harte Taktik-Nüsse.

FM Christoph Dahl – Marcel Dubansky (2225)
German Championship | Blitz Magdeburg (18), 2022.08.21

Schwarz zieht und gewinnt.


Reinhard Kotz (2166) – FM Thilo Ehmann (2397)
German Championship | Blitz Magdeburg (13), 2022.08.21

Reinhard Kotz sollte bei der Deutschen Blitzmeisterschaft Pokalsiegerbesieger werden, machte sich an dieser Stelle die Sache aber unnötig schwierig.

Wie hätte Weiß am Zug sofort gewinnen können?


https://twitter.com/IrishChessUnion/status/1554914034637586433

Als Württemberger in der irischen Nationalmannschaft war IT-Spezialist Mark Heidenfeld vor dem Schachgipfel in Chennai schachlich aktiv gewesen. In Magdeburg zeigte er sich bei der Chancenverwertung generöser als in Indien, wo die irische Mannschaft stark auftrumpfte und sogar gegen Deutschland nahe an einem Teilerfolg war.

IM Mark Heidenfeld (2373) – FM Georg Braun (2386)
German Championship | Blitz Magdeburg (10), 2022.08.21

…dxc3 sah ja auch verlockend aus. Aber Mark Heidenfeld als Weißer hätte es unmittelbar bestrafen können.

Wie?


Der oberste Mäzen des deutschen Schachs mit dessen Präsident: Gernot Gauglitz (l.) und Ullrich Krause. | Foto: Deutscher Schachbund.

Gernot Gauglitz, das ambivalente Wesen. Gewiss hat er sich ums deutsche Schach verdient gemacht: Kommt ein nationaler Spitzenspieler abhanden, kauft Gauglitz halt einen neuen. Droht dem Schachgipfel das Geld auszugehen – kein Problem, dann schießt halt Gauglitz zu. Andererseits hat Gernot Gauglitz Schuld auf sich geladen, indem er dem Schachbund gewährt hat, sich über Jahre in seinem Mäzenatenschoß auszuruhen.

Hätte Gauglitz sein Geld nicht stets freimütig im DSB versenkt, sondern von Beginn an eine Gegenleistung in Form von öffentlicher Aufmerksamkeit verlangt, das hätte den über Jahre verschlafenen Entwicklungsprozess angestoßen. Aber dem Schachbund musste erst Ende 2021 ein Meyer-Dunker erscheinen, bevor diese Entwicklung begann. Über IM Gauglitz’ Funktion als oberster Mäzen des deutschen Schachs wollen wir nicht übersehen, was für ein veritaler Spieler er ist, was Gauglitz zuletzt unter anderem in der Bundesliga und beim Gipfel gezeigt hat. Hier allerdings zog er den Kürzeren:

IM Gernot Gauglitz (2371) – IM Cliff Wichmann (2280)
German Championship | Blitz Magdeburg (11), 2022.08.21

Keine schwierige Übung für Cliff Wichmann, auch nicht im Blitz. Schwarz zieht und gewinnt.


Wäre bei der “Deutschen Meisterschaft” der Titel des Kombi-Königs zu vergeben gewesen, Florian Stricker hätte zwei veritable Bewerbungen abgeben können. Neben dem Matt-Finish, das dem Schachbund gar einen Tweet wert war (siehe oben), gelang ihm diese Endspielkombination:

FM Keyvan Farokhi (2313) – Florian Stricker (2182)
German Championship Magdeburg (6), 2022.08.18

Schwarz zieht und gewinnt.


Am Großmeistertitel arbeitet Roven Vogel noch, am Blitzmeistertitel auch. Von beiden ist er nicht allzu weit entfernt. Bei der Deutschen Blitzmeisterschaft gelang ihm gar der Sprung aufs Treppchen. Hier allerdings übersah Vogel eine versteckte Chance:

FM Tobias Voege (2360) – IM Roven Vogel (2516)
German Championship | Blitz Magdeburg (12), 2022.08.21

Jetzt wird es langsam schwierig. Schwarz hat einen Gewinnzug – welchen?


Als “Ritter des Königsgambits” schickte sich Lukas Schulz an, die “Deutsche Meisterschaft” aufzumischen. Mit 3/3 ins Turnier gestartet, wurde Schulz am Ende immerhin Siebter. Noch besser lief es jetzt bei der Bayerischen Meisterschaft direkt im Anschluss an die sogenannte Deutsche: Schulz ist seit wenigen Tagen amtierender Bayerischer Meister. Hier eine Gewinnabwicklung aus der Deutschen Meisterschaft, die zu übersehen selbst einem Bayerischen Meister passieren kann.

IM Malte Colpe (2363) – FM Lukas Schulz (2271)
German Championship Magdeburg (7), 2022.08.18

Sehr schwierig: Schwarz zieht und gewinnt. Und, nein, es ist nicht …Dg3+. Das beantwortet Weiß mit Kh1! – und steht besser.


Der Master 2021 Luis Engel musste sich anno 2022 hinter Vincent Keymer anstellen. | Foto: Deutscher Schachbund

Seinen Vorjahreserfolg hat Luis Engel beim “Masters” 2022 nicht wiederholen können. Zu überlegen war Vincent Keymer. Auch den direkten Vergleich entschied Keymer für sich, nachdem Engel in der Stellung unten die einzige Rettung nicht gefunden hatte:

GM Luis Engel (2557) – GM Vincent Keymer (2672)
German Masters Magdeburg (3), 2022.08.18

Sehr, sehr schwierig: Weiß zieht und rettet sich.


Bis hier durchgehalten, prima. Dafür gibt es noch ein Taktikbonbon aus dem Titled Tuesday der vergangenen Woche. Den dominierten zwei Spieler, der Welt- und der Europameister. Magnus Carlsen stand nach sechs Runden mit sechs Punkten da, Matthias Blübaum auch – nachdem er in dieser Stellung gegen Fabiano Caruana den Ausknipser aufs Brett gestellt hatte:

GM Fabiano Caruana (2776) – GM Matthias Blübaum (2664)
Titled Tue 23rd Aug Late chess.com INT (6), 2022.08.23

Schwarz zieht und gewinnt.

In der siebten Runde trafen Carlsen und Blübaum aufeinander. Es passierte dieses:

https://youtu.be/8uh7ZDQZdVI

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Martin
Martin
1 Jahr zuvor

Schachfipfel

find ich einen schönen Verschreiber. Hat was von Wipfel.