Der Workshop “Öffentlichkeitsarbeit” des Deutschen Schachbunds vor gut zwei Jahren begann mit einer Offenbarung. Ein führender DSB-Funktionär erklärte, wie er sich Öffentlichkeitsarbeit vorstellt: Er wolle ein Imagevideo für Schach produzieren lassen und es auf Youtube veröffentlichen.
Ende der Erklärung. Er nannte das “eine Idee”.
Was ein Kanal ist, wie man den entwickelt und mit welchem Ziel, was Reichweite ist, wie man die aufbaut und mit welchem Ziel, damit hatte er sich nie beschäftigt. Er dachte, man stellt ein Video auf Youtube, dann kommen 100.000 Leute und gucken sich das an, und hinterher hat der DSB ein Superimage.
Im analogen Altherrenverein Schachbund ist dieser bis heute tätige Funktionär mit solchen Vorstellungen nicht allein. Und auch unter Beobachtern des organisierten Schachs könnte er Verbündete finden.
Vielleicht stellt sich besagter Funktionär ja auch vor, dass man einen Twitch-Kanal aufmacht, dann kommen 100.000 Leute und gucken zu, und hinterher ist man in aller Munde. Und jetzt wundert er sich, warum Schachdeutschland TV nicht aus dem Stand so groß ist wie der seit Jahren gewachsene, kontinuierlich gepflegte, größte internationale Schachkanal von Hikaru Nakamura mit seiner viel größeren Zielgruppe.
Zum Glück haben wir die wunderbare Fiona Steil-Antoni, um ihm und anderen noch einmal ein paar Grundlagen zu erklären:
Und wir müssen gar nicht bis nach Luxemburg schauen. Im deutschen organisierten Schach ist unlängst ein bemerkenswerter Schächer namens Leonid Löw aufgetaucht (bestimmt gibt es den schon länger, aber bis zum Bodensee war sein Name nicht durchgedrungen). Löw fällt im Gegensatz zu den meisten anderen Schachfunktionären und ihren medialen “Ideen” auf, indem er fortwährend Dinge sagt, die von Substanz und Sachkenntnis geprägt sind.
Auch diese Twitch-Sache hat Löw im deutschen Verbandskontext wunderbar erklärt:
Nicht nur das Online-Liga-Schachfernsehen, das sich seine Zuschauerschaft erst aufbauen muss, fand sich im Zentrum einer Debatte, auch die Plattform, auf der diese Liga ausgetragen wird, die ChessBase-Spielwiese “Playchess”:
Zur Partnerschaft zwischen Schachbund und ChessBase ließe sich einiges Kritisches anmerken. Dass sie beiden Partnern nicht guttut, zeigt allein die publizistische Inzucht, zu der sie auf beiden Seiten führt. Während der Schachbund kostenpflichtige ChessBase-Angebote fettgedruckt als kostenlos anpreist, veröffentlicht ChessBase jede amtliche Mitteilung des DSB 1:1, anstatt aufzubereiten, einzuordnen und zumindest gelegentlich zu hinterfragen.
Davon, Publikum aufzubauen, verstehen beide Partner etwa so viel wie der eingangs zitierte Funktionär, und auf diesem Stand verharren sie seit Jahrzehnten. Es befruchtet ja keiner den anderen. Natürlich wäre es im Sinne des eigenen Vorankommens für den DSB Gold wert, sich endlich aus der ChessBase-UKA-Niggemann-Komfortzone zu trauen und sich einen richtigen Sponsor zu suchen, einen, der etwas verlangt für sein Geld. Das würde helfen, den Staub abzuschütteln.
Aber, und das fettgedruckt: Für die DSOL ist Playchess die einzig richtige Plattform. Sich dafür einen anderen Partner zu suchen, wäre grundfalsch. ChessBase macht in erheblichem Maße Entwickler-Ressourcen frei, um seinem Partner Schachbund mit seinem Schiedsrichter- und Spielbetrieb-Stab genau die Liga-Umgebung zu schneidern, die er braucht, und um sie während der Spieltage zu betreuen. Andere Plattformen würden die DSOL vielleicht auch ausrichten, bei keiner anderen hätte sie diesen Stellenwert als zu förderndes Leuchtturm- und Vorzeigeprojekt.
Und sie bemühen sich ja wirklich. Auf beiden Seiten hier wie dort bekommt die Liga mit allen Beteiligten immer wieder prominente Auftritte. Natürlich ist das oft hölzern, zuweilen ein bisschen putzig, aber jeder fängt mal an. Es ist ja in der Geschichte beider Partner das erste Mal, dass überhaupt versucht wird, über amtliche Mitteilungen hinaus Nähe zu schachlichem Geschehen und zu den Beteiligten herzustellen, mit Menschen zu sprechen, sie zu zeigen und ihre Geschichte zu erzählen. Die Richtung stimmt, das wird schon.
Richtig schlecht ist einzig der DSOL-Twitter-Account, der all das nicht versucht, der keinerlei Anzeichen zeigt, pfiffig zu sein, sich attraktiv zu machen und der Liga Publikum zuzuspielen. Menschen werden keine gezeigt, Geschichten werden keine erzählt, Kombinationen werden anonymisiert, Ideen, Interaktion und redaktionelle Ambition: Fehlanzeige. Das einzige, was der DSOL auf Twitter gelingt, ist, öffentlich das Berufsbild des Redakteurs zu verhöhnen. Zum Glück schaut kaum jemand zu.
Natürlich gehören die Spieler in den Fokus gestellt, Erich Schäfer vom SC Heilsbronn zum Beispiel. Der hat beim Liga 5C-Match gegen die SF Barsinghausen den Schmerz seiner Mannschaftskameraden über eine weitere Niederlage mit einer veritablen Mattkombination gelindert.
Oder Adrian Müller, der 100-Prozent-Mann am Spitzenbrett des SV Fideler Bauer Leverkusen in Liga 6A, der im Match gegen den SK Gerolzhofen kurz ins Schwitzen geriet, aber dann den einzigen, präzisen Zug fand, der ihm erlaubte, einen vollen Punkt anzusteuern.
Wir präsentieren heute wieder eine Auswahl der schönsten Kombinationen und verpassten Gelegenheiten aus der DSOL. Schäfers Mattkaskade und Müllers Präzisionsarbeit haben es unter die schönsten Kombinationen geschafft.
Kirk, Alexander – Schäfer, Erich
DSOL 5. Liga Gruppe C, play.chessbase.com
2021.01.22
Zum Aufwärmen I: Schwarz zieht und gewinnt.
(Du willst lösen? Klick aufs Brett.)
Helmsdorf, Marius – Humkamp, Berthold
DSOL 7. Liga Gruppe B, play.chessbase.com
2021.01.21
Zum Aufwärmen II: Schwarz zieht und gewinnt.
Gerlach, Herwig – Pottgiesser, Ulrich
DSOL 8. Liga Gruppe C, play.chessbase.com
2021.01.22
Mehrfigur, schön und gut. Aber der schwarze c-Bauer droht einzulaufen. Um den aufzuhalten, entschied sich Herwig Gerlach für Sxc2, aber das daraus entstehende Turmendspiel ist etwa ausgeglichen.
Wie hätte Weiß am Zug gewinnen können?
Preiß, Martin – Müller, Adrian
DSOL 6. Liga Gruppe A, play.chessbase.com
2021.01.22
Hier würde gerne der Schwarze seinen d-Bauern einlaufen lassen, aber erstmal droht matt. Außerdem hat Schwarz manche Möglichkeit, Kräfte heranzuführen, die den d-Bauern stoppen. Ein einziger, präziser Zug gewinnt für Schwarz.
Adrian Müller hat ihn gefunden. Findest du ihn auch?
Ercan, Eren – Schiele, Kilian
DSOL 10. Liga Gruppe A, play.chessbase.com
2021.01.22
Kilian Schiele muss sich nicht grämen, dass ihm hier der Gewinner entging und die Partie remis wurde. Leicht ist das nämlich nicht, im Gegenteil
Schwarz zieht und gewinnt.
Ist Playchess wirklich die einzig richtige Plattform für die DSOL? Aus Sicht des Frühjahrs 2020 lässt sich die Frage klar mit “Ja” beantworten: Präsenz-Schach gibt es bis auf Weiteres nicht, ein nationales Online-Turnier soll zeitnah entstehen. Hier ist es absolut verständlich, dass sich der DSB dafür Chessbase als Partner sucht, die in dieses Projekt sehr viel Zeit und Arbeit reinstecken können. Auf anderen Plattformen müsste man deutlich mehr selbst machen – und dafür haben die Ehrenämtler des DSB eventuell nicht die personellen und fachlichen Ressourcen. Direkt nach Ende der DSOL-Saison 2020 kamen die Rufe nach einer neuen Saison: Gleiche Argumentation… Weiterlesen »