Boom oder Stillstand?

An allen anderen Tagen nehmen wir die Kohlmeyerei der Schachberichterstattung in all ihrer Besenthalhaftigkeit hin. Heute nicht. Das Schach hat wieder mal eine Chance, es entwickelt im Angesicht der Krise aus eigener Kraft eine erstaunliche Dynamik.

Eben nicht, Klaus. Thema verfehlt, setzen, sechs.

Dieses ist die Nachricht:

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Alle anderen Sportarten stehen still, beim Schach geht es rund. Aus dem Nichts (bzw. auf Anregung von Rochade-Chef Jens Hirneise) haben sich bei Lichess Teams und Online-Vereine gefunden, die dort Tag für Tag Schachbattles austragen. Während andere Sportvereine gar nichts anbieten, verlegt ein Schachverein nach dem anderen seinen Spiel- und Trainingsbetrieb ins Internet.

Bei Playchess könnten sie auf diesen Zug aufspringen, zumal dort gerade die üppig dotierte Deutsche Internetmeisterschaft läuft, das bestmögliche Vehikel, um fürs Online-Schach zu trommeln. Gäbe es bei ChessBase jemanden mit ein wenig Marketingverstand, er würde sich im Angesicht der Stillstand-Schlagzeile die Haare raufen.

„Quarantäne-Schach, jetzt erst recht!“ sollte da stehen, und dann sollte ein Aufruf folgen, den playchess-Server zu stürmen, auf dem die Herren und Damen Nationalspieler nur darauf warten, dem gemeinen Vereinsmurkel zu zeigen, wo der Frosch die Locken hat. Stattdessen geht’s bei Besenthal um die Bundeskanzlerin, Durchregieren und eingestellten Spielbetrieb. Müssen wir erwähnen, dass das Titelbild seiner Geschichte kein Gesicht eines der fünf Großmeister zeigt, die an der zweiten Vorrunde teilnehmen?

Sportredakteure suchen händeringend Geschichten. Das Schach könnte welche anbieten

Auch auf Playchess können sich Vereine ein Online-Vereinsheim einrichten. Wo ist die Anleitung für den Vereinsvorsitzenden, die aufzeigt, wie das geht?

Den Sportredaktionen landauf, landab, gehen die Geschichten aus, weil es ja keinen Sport mehr gibt.  Die Redakteure suchen händeringend Geschichten. Das Schach hätte welche anzubieten – als einzige Sportart, die trotz Virus weiterbetrieben wird. Unter diesen Umständen hätte sogar eine Deutsche Internetmeisterschaft die Chance, es in den Sportteil eines großen Nachrichtenportals zu schaffen. Bei der Gelegenheit ließe sich die Riege der Namenlosen in eine Riege von Nationalspielern verwandeln, deren Namen man zumindest mal gelesen hat.

Aus Sicht des Schachbundes wäre jetzt die Zeit, eine Quarantäne-Kampagne aus dem Boden zu stampfen:

Gäbe es beim Schachbund jemanden, der daran interessiert ist, den Präsidenten des Schachbunds gut aussehen zu lassen, wie einen Anführer gar, dieser jemand hätte längst dafür gesorgt, dass sich sein Präsident zu Wort meldet. Die jetzt erforderliche Krause-Ansprache schriebe sich ja von allein: tolle Dynamik, Grenke, schade, DSAM, auch schade, gemeinsam meistern wir die Krise, wir sehen uns bei der DSIM, gens una sumus, bleibt gesund, euer Ullrich.

Die Vereine sind schon da: jetzt den Spielbetrieb ins Internet

Unsere gestrige Anfrage beim Pressesprecher des Schachbunds, ob und wie der Schachbund die Krise als Chance sieht und nutzen will, wurde bislang nicht beantwortet.

Gäbe es in den Ligen jemanden, der daran interessiert ist, Schlagzeilen für das Schach zu machen, anstatt im Schneckenhaus zu sitzen, dieser jemand würde sich mit Macht dafür einsetzen, den Spielbetrieb zumindest der oberen zwei Ligen für ein paar Wochen ins Internet zu verlegen. Gelänge das, wären wir sogar die einzige Sportart mit einem Spielbetrieb.

Diese Seite hat ein Interview mit Bundesliga-Chef Markus Schäfer verabredet. Wir werden ihn danach fragen.

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[…] runtergeht, scheint dort keine Unruhe auszulösen. Dass Schach außerhalb der Verbandsstrukturen boomt wie nie, scheint dort nicht als einmalige Riesenchance wahrgenommen zu […]