Armenischer Doppelsieg und österreichische GM-Norm beim deutschen Schachgipfel in Lettland

Eine beeindruckende Phalanx junger, starker Großmeister aus Deutschland stellte sich beim RTU-Open in Lettland der Konkurrenz. Blübaum, Donchenko, Svane, Schröder, Kollars – eine Reihe von (Fast-)2.600ern, die bezeugt, dass an der Spitze der deutschen Rangliste seit einiger Zeit die jungen Wilden nach oben drängeln. Jeder aus diesem Quintett wäre ein Kandidat für den “Deutschen Schachgipfel”, der ab 2019 eine Etage über der Deutschen Meisterschaft ausgespielt werden soll. Deren 2018er-Auflage lief in Dresden parallel zum RTU-Open, aber in Riga erwarteten die Teilnehmer stärkere Gegner und ein drei Mal so hoher Preisfonds (15.000 Euro).

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Rasmus Svane in Galaform: 7/9 und Platz 5 in Riga. (Fotos: RTU-Open)

Das größte Stück vom Preiskuchen schnitten sich zwei Armenier ab. Robert Hovhannisyan und Manuel Petrosyan landeten mit 7,5/9 auf den beiden Spitzenrängen, gefolgt unter anderem von Lokalmatador Igor Kovalenko und dem kommenden russischen Star Andrey Esipenko, zwei der sieben Spieler mit 7/9.

Für die deutsche Delegation ließ sich das Turnier ziemlich gut an. Nach zwei Dritteln war sie geschlossen auf den oberen Rängen zu finden – mit einer Ausnahme: Matthias Blübaum erwischte einen rabenschwarzen Start (2/4) und musste in der Tabelle zwischenzeitlich gar zu seinem Vater Karl-Ernst (Elo 2.253) aufschauen.

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Karl-Ernst Blübaum (hinten rechts) lag lange vor seinem 400 Elopunkte stärkeren Sohn Matthias.

Im letzten Drittel ging dann nicht mehr viel. Alexander Donchenko verpasste mit 5/6 in einer überlegenen Stellung den Sprung auf 6/7. Er verlor erst den Faden, dann die Partie (siehe unten) und endete schließlich mit 6/9 auf den Taschengeld-Preisrängen. Noch weniger zufrieden dürfte Dimitrij Kollars sein, der bei 5 Punkten aufschlug – gleichauf allerdings unter anderem mit Neu-GM Praggnanandhaa, ein Indiz, wie stark besetzt das RTU-Open auch in der Breite war.

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GM-Norm und Platz 12 mit 6,5/9  für Robert Kreisl.

Bei Jan-Christian Schröder funktionierte wenigstens das verzögerte Schweizer Gambit. Zwei Siege in den Schlussrunden katapultierten ihn auf 6,5/9 und Rang 13. Noch besser Rasmus Svane, der unlängst beim Open in Helsingor schon seine Galaform angedeutet hatte: Gar nicht einmal spektakulär, aber gewohnt solide endete er bei 7/9 auf Rang fünf.

Während die Mehrheit der deutschsprachigen GM ein eher durchwachsenes Turnier erlebten, ließen zwei IM aufhorchen. Lev Yankelevich war stets vorne dabei und saß in der Schlussrunde mit 6/8 am fünften Brett Rasmus Svane gegenüber. Gegen den setzte es eine klare Niederlage. Trösten kann sich Yankelevich mit plus 11 Elo und dem Umstand, dass auch ein Sieg wahrscheinlich nicht für eine GM-Norm gereicht hätte. (Korrektur: Thomas Richter stellt fest, dass es wohl knapp für eine Norm gereicht hätte, siehe Kommentare.)

Die erzielte (noch unbestätigt) Robert Kreisl aus Österreich (seine zweite?), die er sich in der neunten Runde ganz pragmatisch per Kurzremis mit Weiß abholte. Herzlichen Glückwunsch!

Donchenko, Alexander (2.612) – Maiorov, Nikita (2.504)
RTU-Open Riga, 7. Runde. 8. August 2018

1. g3 d5 2. Nf3 c6 3. Bg2 Nf6 4. O-O Bg4 5. h3 Bh5 6. c4 e6 7. d4 Be7 8. Ne5
O-O 9. Nc3 Nfd7 10. g4

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Eine Neuerung an dieser Stelle, eine gute. Weiß erkennt, dass dem weißfeldrigen Läufer des Schwarzen auf der Diagonalen h7-b1 bald die Felder ausgehen werden.

10… Nxe5 11. dxe5 Bg6 12. cxd5 cxd5 13. f4

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Jetzt droht 14.f5, und das ist nicht so leicht zu verteidigen. Die wünschenswerten 13…f6 oder 13…f5 funktionieren taktisch nicht wegen des Drucks gegen d5 (oder auf der langen Diagonalen, sollte sich der schwarze d-Bauer bewegen).

13… h6

(13… f6 14. f5)
(13… f5 14. exf6 Bxf6 15. f5 Bf7 16. fxe6 jeweils mit großem weißen Vorteil)

14. f5 Bh7 15. f6

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Und schon wird die schwarze Königsstellung aufgeweicht.

15… gxf6 16. Bxh6 Re8 17. exf6 Bxf6 18. Qd2

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18… Nd7 19. Kh1

Prophylaxe, um eventuelles Dd8-b6+(xb2) zu entschärfen. Nötig war das wahrscheinlich nicht.

(19. e4 mit großem weißen Vorteil fordert die Engine.)

19… Ne5 20. Qf4 Bh8 21. Bg5 Qb6 22. Bf6 Ng6

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Mit mehr als einer halben Stunde auf der Uhr verpasst Donchenko den kritischen Spot, in dem er noch einmal tief hätte reingucken und die richtige Fortsetzung finden sollen. In der Folge verliert er den Faden und verdirbt die so schön begonnene Partie.

23. Qg5

Nach 31 Sekunden gespielt, plant, auf f6 mit der Dame zurückzuschlagen. Aber der Turm f1 gehört nach f6, um danach per T1f1 die letzte unbeschäftigte Figur einzubeziehen.

(23. Qd2 Bxf6 24. Rxf6 gefolgt von T1f1, dann bald h3-h4-h5, und Weiß hat gewaltigen Angriff.)
(23. Qh6 Bxf6 (23… Qxb2? 24. Ne4) 24. Rxf6 und Schwarz hat keinen konstruktiven Zug mehr. 24…Qxb2? 25. Rb1 Qxc3 26. Rxf7 Kxf7 27. Qxh7+ und gewinnt.)

23… Bxf6

(23… Qxb2 24. Bxh8 Kxh8 25. Qf6+ und so weiter.)

24. Qxf6

(24. Rxf6 wäre jetzt schlecht. Nach 24… Qxb2 kommt Weiß nicht weiter.)

24… Rf8

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Und auch jetzt kommt Weiß nicht recht weiter, und der Ta1 steht ohne Aufgabe da. Seine letzte halbe Stunde steckte Donchenko in die nun folgenden Züge, aber da war die Chance, den Vorteil entscheidend auszubauen, schon verstrichen.

25. Rad1 Qe3 26. Rd4

Der Turm soll auf dem Königsflügel helfen, verspätet zwar, aber nicht zu spät.

26… Rac8 27. g5 Rc6 

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Weiß würde ja gerne h3-h4-h5 spielen, aber wegen der Drohung …e5 kommt er nicht dazu.

28. Qf2

Verliert endgültig den Faden.

(28. Rg4 wäre die gute und konsistente Fortsetzung, die die Position unklar gehalten hätte. 28… e5 geht nicht, weil nach dem einfachen 29. Qf2 Qxf2 30. Rxf2 das schwarze Zentrum zerbröselt.)

28… Qxg5 29. e4 e5 30. Rxd5 Nf4

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31. h4

Panikreaktion, weil jetzt auch noch …Th6 in der Luft lag…

(31. Rd7 und Weiß steht schlecht, aber Schwarz kommt nicht unmittelbar durch.)

31… Rh6

…und das kommt leider trotzdem – mit schwarzer Gewinnstellung.

32. Qxf4 Rxh4+ 33. Qxh4 Qxh4+ 34. Kg1 Qg3 35. Rf3 Qe1+ 36. Kh2 Bg6 37. Rxe5 Kg7 38. Rh3 Qf2 39. Rb5 b6 40. b3 Rc8 41. Rd5 Qf4+ 42. Kg1 b5 43. Rd1 b4 44. Ne2 Qg4 45. Rd2 Qg5 46. Rd5 Qe7 47. Nf4 Rc1+ 48. Kh2 Qc7 49. e5 Qb6 50. Rg3 Qg1+ 51. Kh3 Rc3 52. Nxg6 Qf2 53. Rxc3 bxc3 54. e6 fxe6 55. Rg5 Qe3+ 56. Rg3 Qxg3+ 57. Kxg3 c2 58. Nf4 c1=Q 59. Nxe6+ Kf6 60. Nf4 Qd2 61. Bf1 Qxa2 62. Bc4 Ke5 63. Kf3 a5 64. Ke3 a4 65. Nd3+ Kd6 66. Nb4 Qb1 67. Kd2 a3

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Weiß gab auf.

0-1

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Es hatte ja so gut angefangen für Alexander Donchenko…

Kollars, Dmitrij (2.549) – Kreisl, Robert (2.404)
RTU-Open Riga, 4. Runde, 6. August 2018

1. e4 Nf6 2. e5 Nd5 3. Nc3 Nxc3 4. dxc3 Nc6 5. Nf3 d6 6. Bf4 Bg4 7. Bb5 Qd7 8. h3 Bxf3 9. Qxf3 a6 10. Ba4 e6 11. O-O-O

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Das kann Weiß nur ziehen, wenn er schon an dieser Stelle versteht, dass ihm Schwarz nicht per 11…b5 und 12…d5 den weißfeldrigen Läufer abklemmen kann.

11… b5 12. Bb3

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12… Rd8

(12… d5 13. Bxd5! exd5 14. Rxd5 mit weißer Gewinnstellung, egal, wohin die Dd7 zieht.)

13. c4 Na5 14. exd6 cxd6 15. cxb5 axb5 16. Bd5

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Mutig allemal, aber leider nicht gut. Womöglich hat die Option 19.Lh6 Kollars derart angezogen, dass er nicht widerstehen konnte…

16… exd5 17. Qc3 Qf5 18. Rhe1+ Be7 19. Bh6

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…nur hat Schwarz hier mehrere Wege, in Vorteil zu kommen. Kreisl wählt den klarsten, der die Partie direkt in ein für Schwarz günstiges Endspiel überführt.

19… Rc8 20. g4

(20. Rxd5 Rxc3 21. Rxf5 Rc5 22. Rxc5 dxc5 23. Bxg7 Rg8 24. Bf6 Nc6 mit zwei Bauern für die Figur war die traurige Alternative.)

20… Rxc3 21. gxf5 gxh6 22. bxc3 Kd7

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Würden die weißen Türme Raum und Ziele finden, wäre die Struktur weniger ruiniert, so dass die Bauern einander deckten, dann wäre ein Endspiel mit Turm gegen zwei Figuren vielleicht gar nicht so schlimm. Aber so, wie es ist, lässt Kreisl nichts mehr zu und schiebt die Partie sicher nach Hause.

23. f6 Bxf6 24. Rxd5 Bxc3 25. Re3 Kc6 26. Rf5 Be5 27. f4 Nc4 28. Re4 Bb2+ 29. Kd1 d5 30. Re7 Nd6 31. Rh5 Bg7 32. Re3 b4 33. Rg3 Bc3 34. Ke2 Re8+ 35. Kf3 Kc5 36. Rg2 Bd4 37. f5 Re3+ 38. Kg4 Re4+ 39. Kf3 Re3+ 40. Kg4 Re4+ 41. Kf3 Be3 42. h4 f6 43. Rg8 Kd4 44. Rf8 Rf4+ 45. Kg2 Rf2+ 46. Kh3 Ne4

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Weiß gab auf.

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Thomas Richter
5 Jahre zuvor

Nach meinen Berechnungen hätte Yankelevich mit einem Schlussrundensieg gegen Svane eine GM-Norm erzielt – das wusste er vielleicht selbst, da er die Partie mit Schwarz provokativ-riskant anlegte.
Grundlage http://chess.kivij.info/performance_calculator.shtml – die Elo des schwächsten Gegners wird dabei auf 2200 angehoben, damit TPR 2610. Unklar, ob das auch für die Berechnung des gegnerischen Eloschnitts gilt, aber auch ohne hätte es gerade so gereicht – 2382 ist mehr als das minimal nötige 2380.
Kollars erzielte übrigens 5/8 und verlor in der letzten Runde kampflos. Wie Praggnanandhaa hatte er eben ein schlechtes Turnier, beide “verfehlten eine IM-Norm”.

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