EM-Splitter: Katastrophen vor der Zeitkontrolle

Mehr als 300 Spieler, Rating-Durchschnitt über 2.400. Das Feld bei der Europameisterschaft ist in der Breite so stark besetzt, wahrscheinlich machen sich mehr als zwei Drittel aller Teilnehmer Hoffnungen, eines der 22 World-Cup-Tickets zu ergattern, wenn es gut läuft.

Für die meisten Amateure geht es derweil in erster Linie darum, möglichst viele Partien gegen möglichst viele starke bis sehr starke Gegner zu spielen – das bestmögliche Schachtraining. In dieser Hinsicht liefen für den deutschen FM Blasius Nuber (Elo 2.284) die ersten beiden Runden perfekt. Nach seiner Schwarzniederlage gegen GM Rasmus Svane (Elo 2.587) in Runde eins bekam er zur Belohnung am Tag danach den russischen GM Aleksandr Rakhmanov (Elo 2.655) vorgesetzt, wieder mit Schwarz.

Mit dem 40. Zug beide Partien verdorben

nuber
FM Blasius Nuber

Nach diesen beiden Partien stand der bayerische Landesligaspieler vom SC Dillingen bei null aus zwei, aber die nüchternen Zahlen repräsentieren nicht die Dramen dahinter. Zwar gelang Blasius beide Male die Eröffnung nicht so recht, und er geriet früh unter leichten, aber anhaltenden Druck. Doch den hielt er unerschütterlich aus und seine Remischancen zumindest existent – jeweils bis zum 40. Zug.

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Mit Erreichen der Zeitkontrolle warf er beide Partien weg. Gegen Rakhmanov mit einem taktischen Patzer, gegen Svane mit einem scheinbar unschuldigen Bauernzug, der ein schwieriges in ein verlorenes Endspiel verwandelte. Als er mit seinem 41. Zug wieder Zeit hatte, sich in die Stellung zu vertiefen, blieb ihm jeweils nur, sich davon zu überzeugen, dass er die Partie gerade verdorben hat.

Immerhin hatte er für uns ein weiteres Lehrstück aus der Abteilung

Abwickeln in ein gewonnenes Bauernendspiel

kreiert. Vielen Dank dafür an die Herren Svane und Nuber 😉

Aleksandr Rakhmanov – Blasius Nuber, EM Batumi 2018, 2. Runde

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Weiß hat Raum, das Läuferpaar, wird mittelfristig womöglich auf b3 einen Bauern gewinnen. Der weiße Vorteil ist unbestreitbar, aber vorbei ist die Partie nach 40…Lc7 noch lange nicht, denn wie der Weiße Fortschritte machen soll, ist nicht so klar. Nuber zog 40…fxe5?. Er hatte sich auf 41.dxe5 Lc5 verlassen, aber nach 42.c7! ist die Partie schlicht verloren. Entweder Weiß gewinnt eine Figur, oder der c-Bauer läuft durch.

Rasmus Svane – Blasius Nuber, EM Batumi 2018, 1. Runde

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Schwarz steckt in Schwierigkeiten. Er kann entweder versuchen, mit 40…Sd6 41.Lxa7 Sf5 einen h-Freibauern zu generieren und Gegenspiel zu bekommen, oder er hält passiv aus, indem er mit dem König auf der siebten Reihe pendelt. Spaß macht beides nicht, aber das waren die Optionen. Stattdessen zog Blaser 40…a6? Dieser scheinbar unschuldige Zug verwandelt ein schwieriges unmittelbar in ein verlorenes Endspiel, weil sich nun auch noch dem weißen König Routen in den aufgeweichten schwarzen Damenflügel anbieten und der Springer ohne Unterstützung des Königs gar nicht mehr ziehen kann.

Nach 41.Sf3-e5 Lg7xe5 42.f4xe5 kann der Weiße den Schwarzen mit seinem dominierten Springer beliebig in ein Zugzwangszenario manövrieren. Nuber ließ sich sofort zeigen, dass das Bauernendspiel verloren ist. Nach 42…Sc8-b6 43.Lc5xb6 Kc7xb6 stand es so:

svanenuber2.jpg
Gewonnen für Weiß: Wenn Schwarz verhindern will, dass der weiße König am Damenflügel eindringt, muss er früher oder später …a5 ziehen. Weiß antwortet mit a4 nebst b4, bildet sich einen entfernten Freibauern auf der a-Linie und gewinnt. Versucht Schwarz an einer Stelle …c5, hilft das nicht, er bildet nur dem Weißen eine entfernte Majorität.

Trivial ist es nicht, aber sicher gewonnen für Weiß.

Du bist Dir nicht sicher, ob Du dieses Bauernendspiel gegen perfekte Verteidigung gewinnen kannst? Probiere es einfach aus: Hier ist die Stellung schon aufgebaut, und Du kannst gegen einen Computer die weißen Steine führen. Viel Erfolg!

Wem zwei solche Missgeschicke hintereinander passieren, der läuft Gefahr, Selbstvertrauen  und Stabilität zu verlieren und danach ein miserables Turnier hinzulegen. In so einem Fall können elf Runden endlos lang werden. Aber Blasius Nuber berappelte sich, landete in Runde drei den ersten vollen Punkt und gewinnt bei der Europameisterschaft gar Elo, wenn er so weiterspielt.

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[…] noch als das Bauernendpiel aus der Partie Svane – Nuber, das wir neulich im Beitrag „Katastrophen vor der Zeitkontrolle“ beleuchtet […]