Die Frauen gewinnen 2,5:1,5 gegen Ungarn, die Männer geben beim 2:2 gegen Polen den ersten Punkt ab. Mit nun 7:1 Punkten sind beide Mannschaften Teil eines punktgleichen Trios, das die Europameisterschaft nach vier von neun Runden anführt. Die Frauen spielen in der fünften Runde gegen Aserbaidschan, die Männer gegen Armenien.
Wie sich aus einer etwas passiven, aber gesunden Aufstellung gegen das Reti-System binnen zwei Zügen eine strategische Verluststellung machen lässt, demonstrierte am ersten Brett des Frauenwettkampfs die Ungarin Hoang Thanh Trang gegen Elisabeth Pähtz. Dass es an Brett eins sehr gut läuft, war für die drei Mitspielerinnen schon nach zwölf Zügen zu sehen.
Aber vor dem Gewinn einer solchen Stellung stehen taktische Komplikationen. In denen war Pähtz in ihrem Element. Nach dem entscheidenden Überfall auf die schwarze Stellung (siehe Diagramm unten) operierte die Deutsche mit zwei Leichtfiguren versus Turm gegen eine offene schwarze Königsstellung – und ließ zu keinem Zeitpunkt Luft rein. Zwar dauerte es 42 Züge bis zum 1:0, aber gewonnen war die Partie viel eher.
Mit einem anfangs nur gefühlten, dann realen 1:0 im Rücken, machten sich Josefine Heinemann und Hanna-Marie Klek daran, sich Vorteil zu erarbeiten. Nur Jana Schneider hatte sich Probleme eingehandelt. Offenbar war in ihrer Vorbereitung etwas schiefgelaufen. Im neunten Zug eines kaum exotischen Abspiels der Wiener Variante des Damengambits war sie aus dem Buch – und spielte nach zehn Minuten Bedenkzeit suboptimal weiter.
Schneiders Stellung war danach schlechter, als sie hätte sein können, aber sie kann sich auf einen großen Vorgänger berufen: Levon Aronian hat 2004 ebenfalls 9…Le7 gespielt – in der deutschen (!) Internet-Meisterschaft gegen den heutigen (nach gestriger Erkrankung genesenen) Bundestrainer Jan Gustafsson. Aronian gewann damals sogar.
Schneider kämpfte um Ausgleich, den sie nie bekommen sollte. Aber ihre Stellung sah stabil aus und ein Durchbruch für Weiß lag, wenn überhaupt, in weiter Ferne. Dann ein taktisches Übersehen, und plötzlich stand es 1:1.
In der Zwischenzeit hatten Heinemann und Klek weiter an Vorteil gebastelt. Heinemann würde im Endspiel einen Bauern gewinnen, verpasste aber eine versteckte Gelegenheit, Bauern auf beiden Flügeln zu behalten. Die Partie mündete in ein Springerendspiel 4 vs. 3 Bauern am Königsflügel, und die Ungarin hatte Anlass zu Hoffnung. Bis sich ihr Springer an eben diesem Flügel verlief:
Auch Klek verwaltete längst eine gewinnträchtige Stellung mit Mehrqualität, der aber noch einiges Leben innewohnte. Da ein halber Punkt zum Mannschaftssieg reichte, sicherte sie sich eben diesen, anstatt Risiken einzugehen: 2,5:1,5.
Bei den Männern nahm sich Matthias Blübaum eine Anleihe bei seinem Kollegen vom ersten Brett, um möglichst schnell Leben in die Bude zu bekommen. In einem scharfen Abspiel der Vincent-Keymer-Eröffnung mit frühem g4 sprang er Mateusz Bartel sogleich an. Der zeigte sich präpariert. Was anfangs nach einem wilden Gefecht ausgesehen hatte, verflachte, und bald stand der Kampf 0,5:0,5.
Während am ersten Brett Vincent Keymer mit den weißen Steinen Vorteil suchte, fand Rasmus Svane am zweiten mit den schwarzen Ausgleich. Schon nach gut 20 Zügen stand zwischen ihm und Pawel Teclaf ein Schwerfigurenendspiel auf dem Brett, das nur unentschieden enden konnte.
Beim Stande von 1:1 hing es an Keymer und Dmitrij Kollars, der in einem Leichtfigurenendspiel gegen Szymon Gumularz‘ Läuferpaar um Ausgleich kämpfte. Keymer hingegen kämpfte gegen Radoslaw Wojtaszek um den Gewinn in einer taktisch geprägten Partie, die insbesondere bei elektronischen Beobachtern Euphorie auslöste: plus 3!
Für Menschen, wahrscheinlich sogar solche der Keymer-Kategorie, sah die Sache nicht so klar aus. Dame und Mehrbauer gegen drei Leichtfiguren bei jeweils einem Turm, sehr unübersichtlich. Wie groß immer der tatsächliche Vorteil gewesen sein mag, er war kaum auszubauen, sogar schwierig festzuhalten. Als schließlich das schwarze Figurenquartett Keymers König umschwirrte, ging es für den Deutschen nur noch darum, die Partie nicht zu verlieren.
Keymer gab die Dame zurück und wickelte die Partie in ein unverlierbares Turmendspiel mit Minusbauer ab. Beim Stand von 1,5:1,5 hing es, wie am zweiten Spieltag gegen Ungarn, an Dmitrij Kollars, nur dass es diesmal nicht um den Sieg ging, sondern darum, der Mannschaft einen Punkt zu retten. Wie gegen Ungarn erledigte Kollars den Job. Nach 72 Zügen und einigen Schreckmomenten waren das Remis und das 2:2 der Mannschaft besiegelt.
Liebreizendes Bild von Eli Pähtz. Da wird sie sich freuen …
Die Lichess-Übertragung liefert als letzten Zug von Kollars Brett 4 72. Ke4 und remis, woraufhin die Engine -12 anzeigt. Auf Chess.com endet die Übertragung mit dem 73. Zug…