Zum Auftakt der Europameisterschaft trafen beide deutschen Mannschaften auf Außenseiter. Die Männer sind mit einem 2,5:1,5-Zittersieg über Schweden in den Wettbewerb gestartet. Die Frauen kamen über ein 2:2 gegen Griechenland nicht hinaus.
Das offene Turnier begann mit zwei Überraschungen. Die beiden topgesetzten Mannschaften ließen Federn. Aserbaidschan verlor gegen Dänemark, die um mehrere Zugänge verstärkte rumänische Mannschaft kam gegen Österreich nicht über ein 2:2 hinaus. Als Folge dieser Favoritenwackler wird die deutsche Mannschaft in der zweiten Runde am ersten Tisch spielen, dem “TV-Tisch”, wo es gegen Ungarn geht. Die Frauen sind in der zweiten Runde hohe Favoritinnen gegen die norwegische Mannschaft.
“Wir sind ganz klar die stärkste deutsche Nationalmannschaft seit sehr langer Zeit, und mit diesem Team können wir wirklich etwas erreichen. Es gibt viele Teams, die von der Spielstärke her in unserer Region oder zumindest sehr solide sind. Garantiert ist dort also nichts, aber für mich ist eindeutig, dass wir um die ersten Plätze kämpfen können.” So weit Vincent Keymer unlängst im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (für Abonnenten).
Wäre jetzt Sommer 2023 und alle fünf in der Galaform der vergangenen Monate, wer würde widersprechen. Leider ist schon November, die Nationalspieler schauen auf ein für alle außer Keymer durchwachsenes Grand Swiss zurück, und so steht die Form-Frage im Raum – speziell bei Alexander Donchenko, der zuletzt einen Elosinkflug absolviert hat.
Umso besser, dass der aktuell nicht erfolgsverwöhnte Donchenko als Matchwinner des ersten Spieltags mit Rückenwind ins weitere Turnier geht. Dass am Ende jemand 83 Züge lang würde kämpfen müssen, um den knappestmöglichen Sieg sicherzustellen, danach sah es anfangs nicht aus.
Den ersten spannenden Zug der Männer hatte Bundestrainer Jan Gustafsson ausgeführt, indem er Rasmus Svane ans zweite Brett rochierte, Blübaum und Donchenko dahinter. Dann begann (wie bei den Frauen, siehe unten) der Kampf mit einer schnellen Punkteteilung.
Vincent Keymer überzeugte sich vor seinem 24. Zug 36 Minuten lang davon, dass er nichts Besseres hat, als ein Dauerschach zu erzwingen. Und warum auch nicht? Rasmus Svane knetete eine Rasmus-Svane-Stellung, Matthias Blübaum hatte mit Schwarz früh das Kommando übernommen, und Alexander Donchenko stand mit Weiß in einem Königsinder schlechtestenfalls undurchsichtig, eher besser.
Svane knetete ins Nirgendwo, und Matthias Blübaum musste am Ende aller Gewinnversuche froh sein, dass ihm das Endspiel nicht noch entglitt. So hing es an Alexander Donchenko, der wahrscheinlich nicht ungern sah, als es im 22. Zug vor seinem König auf g2 einschlug. Schwarz hatte zwei Figuren für Turm und zwei Bauern gegeben, was seine Lage eher verschlechtern sollte:
Donchenko nahm auf d6, dann verschwand allerhand Material vom Brett – und es wurde schwierig: 2 vs 2 Bauern und auf der einen Seite zwei Türme, auf der anderen Turm plus zwei Figuren. Gegen eine Maschine ungewinnbar, aber gegen einen Menschen? Donchenko stellte Probleme, ließ seine Springer durch die schwarze Stellung kreiseln und gewann schließlich mit einer fein ausgerechneten Taktik einen der beiden schwarzen Bauern.
Wie die Männer an drei gesetzt, starten die Frauen ambitioniert ins Turnier. Die laut Elisabeth Pähtz “stärkste Mannschaft jemals”, laut Jana Schneider “stärkste Mannschaft seit langem” soll nun den Nachweis erbringen, dass sie an den Medaillen zumindest schnuppern kann.
Nominell ist der wesentliche Unterschied zu früheren Jahren allein die Anwesenheit von Dinara Wagner, die erstmals dafür sorgt, dass die Mannschaft mit einer Nummer 1a und einer 1b antritt. Die Girls dahinter haben ihre wachsende Power in den vergangenen Jahren zumindest der Elo nach nicht demonstriert.
Anstatt die ersehnten 2400 in Angriff zu nehmen, besteht die unmittelbare Herausforderung weiterhin darin, sich über 2300 zu etablieren. Nun, da das “Powergirls”-Förderprogramm nicht ein weiteres Mal verlängert werden soll, wäre die EM eine sehr gute Gelegenheit, Argumente in eigener Sache zu sammeln.
Das erste von neun Matches taugt nicht als Argument. Josefine Heinemann wird nach verkorkster Eröffnung froh gewesen sein, dass ihre Gegnerin im Angesicht eines 200-Elo-Unterschieds mit einem halben Punkt zufrieden war, wo sie bequem hätte spielen können. Nach dieser Punkteteilung sah es erst einmal aus, als sei ein Mannschaftserfolg locker drin. Pähtz und Wagner hatten Druck, wenngleich bei Wagner die Zeit recht früh recht knapp war, während Hanna-Marie Klek sich mit den schwarzen Steinen zumindest in der Nähe des Ausgleichs bewegte.
Zwar gab Klek zwischenzeitlich einen Bauern, hatte dafür aber stets genug Spiel, sodass sich die Angelegenheit bald in ein Endspiel 3 vs. 3 Bauern an einem Flügel auflöste. Es stand 1:1, und die Entscheidung musste an den oberen beiden Brettern fallen.
Elisabeth Pähtz hatte in der Zwischenzeit ein Schwerfigurenendspiel mit Mehrbauer angesteuert. Vielleicht nicht die beste Entscheidung?
Auch so ergab sich ein hoffnungsvoll aussehendes Doppelturmendspiel, in dem Weiß aber nach und nach der Druck abhanden kam. An Ende stand das gute, alte Turmendspiel 3 vs. 2 bzw. 2 vs. 1 auf dem Brett, und die dreifache Mädchenweltmeisterin auf der anderen Seite des Brettes ließ nichts mehr anbrennen – 1,5:1,5.
Nur war zu diesem Zeitpunkt auch bei Wagner nicht mehr drin als ein halber Punkt. Aktivität, Läuferpaar, Struktur hatten es lange gut für sie aussehen lassen, aber auch hier verflachte die Sache. In der Schlussstellung kann Wagner sich sogar bedanken, dass ihre 220 Elo schwächere Gegnerin das Remisangebot annahm. Wagners letzter Zug 44…h4? (wenn die Liveübertragung stimmt) stellt einen Bauern ein:
(Titelfoto: Anna Shtourman/FIDE)
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