Carlsen-Anwälte: Verfahren einstellen, Niemann bezahlen lassen

Die Anwälte von Magnus Carlsen und chess.com haben jetzt beim Gericht beantragt, die Klage von Hans Moke Niemann abzuweisen. Niemanns Behauptungen seien ein PR-Trick. Aus Sicht der Beklagten enthält der Schriftsatz von Hans Niemanns Anwälten keine Beweise für eine Verschwörung, die darauf abziele, seiner Karriere zu schaden. Außerdem habe Niemann nicht plausibel aufgezeigt, dass nicht stimmt, was chess.com über ihn verbreitet hat.

„Offensichtlich unbegründet“ finden die chess.com-Anwälte Niemanns Klage, „ein PR-Stunt“. Beide Seiten, die norwegische wie die amerikanische, bezweifeln außerdem, dass das Gericht in Missouri für diesen Fall zuständig ist.

chess.com-Chef Daniel Rensch will in diesen Tagen mit Missouri so wenig wie möglich zu tun haben.

Niemann vs. Carlsen&Co.:
57 Schriftstücke plus Anhänge

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Magnus Carlsens Anwälte schreiben: „Nachdem Niemann jahrelang versucht hat, sich einen Ruf als Bad Boy des Schachs zu verschaffen, will er Geld verdienen, indem er andere für die Folgen seines Fehlverhaltens verantwortlich macht.“ Niemann habe seine Betrugshistorie selbst eingeräumt. „Aber anstatt sich mit den nicht überraschenden Konsequenzen seiner Handlungen auseinanderzusetzen, versucht Niemann nun, die Schuld auf den Weltmeister und andere zu schieben, indem er eine unglaubwürdige Verschwörung konstruiert.“ Der Fall solle eingestellt werden, Niemann solle Carlsens Anwaltskosten tragen.

Niemann beschuldigt Chess.com und Magnus Carlsen, die Schachindustrie zu monopolisieren. Die Quasi-Monopolstellung der Beklagten, darunter auch der Streamer Hikaru Nakamura, habe dazu geführt, dass er während des Dramas einseitig dargestellt wurde. „Hans hat Magnus fair geschlagen. Die Art und Weise, wie er behandelt wurde, war es nicht“, sagten Niemanns Anwälte jetzt dem Wall Street Journal. „Hans ist ein Gewinner auf und neben dem Brett. Wir sind zuversichtlich, dass seine größten Siege noch bevorstehen.“

Warum Richter Ronnie L. White (links) in diesem Fall befangen sein könnte, ist nicht bekannt geworden. Sicher ist, er hat deswegen den Fall an seine Kollegin Audrey Fleissig abgetreten.

„Fair geschlagen“ bezieht sich auf den überraschenden Schwarzsieg Hans Niemanns beim Sinquefield Cup Anfang September, Auslöser des Dramas. Nach dem Verlust zog sich Carlsen aus dem laufenden Turnier zurück, ein Novum in seiner Karriere, und deutete auf Twitter an, es sei Betrug um Spiel. Danach nahm das Drama seinen Lauf.

Niemann hat Magnus Carlsen, die Play-Magnus-Gruppe, chess.com, chess.com-Chef Daniel Rensch und Hikaru Nakamura auf 100 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. Auch innerhalb der Schach-Bürokratie läuft ein Verfahren. Der Weltverband FIDE ermittelt gegen Carlsen und Niemann: gegen Carlsen wegen dessen Vorgehen, gegen Niemann wegen des Verdachts des Cheatings.

Das in der Klage vorgebrachte Argument Niemanns, er könne aufgrund der Verleumdung der Beklagten nicht mehr seinem Beruf als Schachprofi nachgehen, hat er selbst zumindest in Teilen entkräftet. Zwar versagten ihm die Organisatoren des Schachfestivals in Wijk an Zee die Teilnahme, zwar hat ihm Vincent Keymer einen eigentlich geplanten Wettkampf verweigert, trotzdem spielt Niemann ein Turnier nach dem anderen, wenngleich mutmaßlich weniger lukrative Wettbewerbe als solche, die er ohne das Drama hätte spielen können.

Nach der US-Meisterschaft sowie einem Rundenturnier in Saint Louis und der Mannschaftsweltmeisterschaft in Jerusalem sitzt er aktuell bei einem stark besetzten Open bei Barcelona am Brett (wo eine gute Chance besteht, dass er im Lauf des Turniers auf einen der zahlreich vertretenen deutschen Kaderspieler trifft). Nicht überraschend wäre, würde Niemann im Lauf des Dezembers noch am renommierten Schachfestival in Sitges sowie Ende des Jahres an der Schnellschach- und Blitz-WM in Kasachstan teilnehmen.

Abzocker oder Gelackmeierter? Hans Moke Niemanns Drittrundenpartie am Freitag beim El-Llobregat-Open.

Zumindest in den USA wird Niemann weiter Rundenturniere spielen können und Teil von Mannschaften des US-Verbands sein. Die Organisatoren in Saint Louis sehen ihn offenbar weiterhin als Teil des nationalen Schachzirkus, und John Donaldson, Kapitän der US-Nationalmannschaft, hat ihm während der Team-WM öffentlich den Rücken gestärkt. Nicht nur Niemanns Talent, auch seine Hingabe ans Schach sei außergewöhnlich. „In den USA gilt die Unschuldsvermutung“, sagt Donaldson. „Zeigt mir die Beweise.“

Solche finden sich im neuen Schriftstück der Carlsen-Anwälte nicht. Dort heißt es stattdessen, Niemann scheitere in seiner Klage daran aufzuzeigen, dass Carlsen ihn des Betrugs bei der Partie zwischen den beiden beim Sinquefield-Cup beschuldigt. Weiter schreiben die Anwälte: „Und selbst wenn Carlsens Äußerungen Betrugsvorwürfe gegen Niemann waren, dann würden sie auf Tatsachen beruhen.“ Niemann habe eingeräumt,  in der Vergangenheit betrogen zu haben, und er habe zugegeben, von anderen Mitgliedern der Schachgemeinschaft des des Betrugs beschuldigt worden zu sein.

chess.com berichtet in eigener Sache.

(Titelfoto: Anna Shtourman/FIDE)

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Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Keine Überraschungen von Carlsen und chess.com bzw. den jeweiligen Anwälten. Argumentiert wird vor allem formal: das Gericht in Missouri sei nicht zuständig (die rechtliche Situation dabei in Connecticut für sie günstiger), von Carlsen war es nicht Verleumdung sondern legitime Meinungsäußerung. Cheating im Internet wird auch erwähnt, aber das hatte bisher keine Konsequenzen für Schach am Brett. Zu “Das in der Klage vorgebrachte Argument Niemanns, er könne aufgrund der Verleumdung der Beklagten nicht mehr seinem Beruf als Schachprofi nachgehen, hat er selbst zumindest in Teilen entkräftet.”: Es ist (immer) noch zu früh um das zu beurteilen? Qualifikation bzw. Einladung für die… Weiterlesen »

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
1 Jahr zuvor

In der heutigen Zeit geht es selten um Recht eher um die dicke des Geldhaufen.

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[…] nachgelegt, um zu verhindern, dass die Klage abgewiesen wird, wie es die Beklagten Anfang Dezember beantragt hatten. Oved&Oved versuchten darzustellen, dass Carlsen immer neue Geschütze gegen Niemann auffährt, […]

Achi
Achi
4 Monate zuvor

In welcher Welt leben wir eigentlich ,daß jemand , der sich wiederholt bei Online Spielen einen Schachcomputer neben den Bildschirm stellt(e), weiter an regulären Turnieren teilnehmen darf ? Ich glaube dem Niemann kein Wort. Und zu Hikaru : Der ist einfach gut, denn beim Bullet betrügen, halte ich wegen der Kürze der Zeit für unmöglich. Das geht nicht.

Detlef Leps
Detlef Leps
1 Jahr zuvor

In was für einer Welt leben wir, wenn das, was Carlsen getan hat, nicht ehrverletzend gewesen ist? Es blieb für Niemann nicht folgenlos. Carlsen hat den Verdacht in die Welt gesetzt, dass bei Niemann stets damit zu rechnen ist, dass er betrügt. Beweisen konnte er es in konkreten Fällen nicht. Also insbesondere in denen, in denen er das vermeintliche Opfer eines Betruges geworden wäre. Bis heute habe ich keine Klage von einem Opfer gehört, wo der Betrug zweifelsfrei belegt ist. Es gibt lediglich Zugeständnisse des Beschuldigten, in der Vergangenheit einige Male unerlaubte Hilfe eingesetzt zu haben. Gleichzeitig beteuert er heute… Weiterlesen »

eisenherz
eisenherz
1 Jahr zuvor

++ Niemanns Behauptungen seien ein PR-Trick. ++ Da stellt sich doch die Frage, für wen war das ein PR – Kunststück? Für Carlsen, um seine Firma in die Öffentlichkeit zu platzieren? Oder von Niemann, dann aber aus welchem Grund, um sich selber zu schaden? Und verrückter gedacht, abgesprochen von beiden, zum Nutzen von beiden? . Ansonsten, die Argumentation der Anwälte von Carlson ist schwach. Die sehen eher nach Rückzug aus, nach dem Motto:” Sorry, war nicht böse gemeint”. Und wenn es dann doch böse war, dann hat Niemann eben alles falsch verstanden. War von Carlson eigentlich als Satire gedacht. Ich… Weiterlesen »

Gerhard Lorscheid
Gerhard Lorscheid
1 Jahr zuvor

Herr Schormann, sie suggerieren hier Carlsen hätte Nieman nicht beschuldigt zu cheaten und Nieman könne “seinen Beruf weiter ausüben”. Beides ist offensichtlich lächerlich. Spätestens da wo Carlsen seine Anschuldigung damit begründet hat, Nieman sei nicht konzentriert gewesen, ist er einen Schritt zu weit gegangen. Diese Aussage macht einzig Sinn wenn er ihn beschuldigt. Topturniere darf Niemann nun nicht mehr spielen, aber noch zu Hause gegen seinen Computer, also kein Schaden? Man sollte chess.com zwingen die realen Cheating Zahlen auf den Tisch zu legen. Die Firma lebt davon zu suggerieren, dass es so etwas kaum gebe. Ansonsten würden ihnen zu viele… Weiterlesen »