Paul Meyer-Dunker bleibt beim Deutschen Schachbund. Zwei Wochen, nachdem der DSB die Kündigung seines Öffentlichkeitsarbeiters notiert hatte, teilt DSB-Präsident Ullrich Krause nun mit, es sei dem Präsidium gelungen, ihn zu überzeugen zu bleiben. Meyer-Dunker werde seine Arbeit im Team Öffentlichkeitsarbeit in der Geschäftsstelle in Berlin mit sofortiger Wirkung wieder aufnehmen und sich wie bisher schwerpunktmäßig um die Betreuung der Social-Media-Kanäle und die Live-Berichterstattung kümmern.
Der Grund für Meyer-Dunkers Sinneswandel ist die wesentliche der personellen Veränderungen der vergangenen zwei Wochen, der Abschied von Marcus Fenner. Mit ihrer vereinten Front gegen den Geschäftsführer haben die Angestellten des Deutschen Schachbunds auf einem Feld Erfolg gehabt, auf dem sämtliche Instanzen und Gremien des Verbands auf eine vierjährige Geschichte des Versagens zurückschauen. Nie hat ein Verantwortlicher die ans Absurde grenzende Rückendeckung Ullrich Krauses für seinen leitenden Angestellten in Frage gestellt, obwohl sich dessen aus dem Marshall Chess Club mitgebrachte Kernqualifikation, um sich herum grüne Sprechblasen sprießen zu lassen, nur allzu bald auch beim Deutschen Schachbund offenbart hatte.
Weil mit einem Arbeitgeber, der seiner Fürsorgepflicht nachkommt, in diesem Fall nicht zu rechnen war, mussten es die Angestellten am Ende selbst machen. Weil das Quintett aus der Geschäftsstelle obendrein keinen Anlass hat anzunehmen, dass an der DSB-Spitze von heute auf morgen Anstand und Gerechtigkeit zum ersten Maßstab des Handelns werden, hat es vorgesorgt. Um beim DSB zumindest einen Ansprechpartner zu finden, mit dem sich im Fall von Konflikten vertrauensvoll reden lässt, haben die Angestellten einen solche Vertrauensperson nun selbst installiert.
Einstimmig hat das Quintett Kevin Högy zum neuen Betriebsrat bestimmt.
Die Mitarbeiter unter der neuen Geschäftsführerin Anja Gering haben jetzt Gelegenheit zu zeigen, dass der Laden mit einem Mann weniger, dem bestbezahlten zumal, besser läuft als bisher. Es wäre keine Überraschung, würde das überzeugend gelingen.
Geschasste Angestellte, Vizepräsidenten, Referenten: die Zahl der unter Fenner/Krause gerollten Köpfe ist beispiellos. Trotzdem hat die Schachöffentlichkeit die Trennung von Meyer-Dunker nicht mit einem achselzuckenden “Wieder einer” hingenommen. Stattdessen war die öffentliche Enttäuschung groß wie in keinem der Fälle davor.
Der 30-Jährige kann jetzt wieder den Job ausüben, den er in den vergangenen Monaten liebgewonnen und den er nur der Umstände halber aufgegeben hat. Auf Anfrage dieser Seite teilt Meyer-Dunker mit: “Nach guten Gesprächen und produktivem Austausch bin ich glücklich, die Arbeitsstelle, die mir die vergangenen zwölf Monate so viel Freude bereitet hat, wieder anzutreten. Ich danke Ullrich Krause und dem Präsidium, dass sie diesen Schritt möglich gemacht haben, und freue mich auf die Zusammenarbeit mit der neuen Geschäftsführerin Dr. Anja Gering.”
Wohlan denn. Allerdings steht die Frage im Raum, ob fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich genug sind, um alle unbestellten Felder in der DSB-Geschäftsstelle zu beackern. Mit seinem letzten Versuch, an Marcus Fenner festzuhalten, indem er ihn zum Strategiedirektor beförderte, hat Ullrich Krause die Aufmerksamkeit auf Felder gelenkt, auf denen ebenfalls eine mehrjährige Geschichte des Versagens zu konstatieren ist: Fundraising, Sponsorensuche, Vernetzung im politischen Raum.
Ein Fund, der unter Fenner geraist worden wäre, ein nennenswerter Sponsor, der gefunden worden wäre, hat sich seit 2018 nicht offenbart. Zuletzt beim Schachgipfel in Magdeburg hat der DSB dem Vernehmen nach die Sponsorentafel des Vorjahres wiederverwendet, obwohl längst nicht alle darauf platzierten Gönner die Veranstaltung unterstützt haben.
Die Personalkosten des DSB sind nun um einen hohen fünstelligen Betrag pro Jahr entlastet. Mit diesem Spielraum ausgestattet, wäre es sinnvoll, eine sechste Stelle einzurichten, eine, die sich mittelfristig sogar rechnet, indem sie jemand besetzt, der an dem arbeitet, worüber andere nur geredet haben: Gönner des Schachs finden und ans Schach binden. Dass das geht, hat die FIDE gerade vorgemacht. In Zusammenarbeit mit dem neuen Sponsor von Ian Nepomniachtchi, einem deutschen Unternehmen, wird der Weltverband im Frühjahr in Düsseldorf ein mit 250.000 Euro dotiertes Turnier ausrichten, eine offene Mannschaftsweltmeisterschaft. Der deutsche Verband ist außen vor.
Abseits solcher anstehenden Personalprojekte repräsentiert der Status Quo, der sich aus den jüngsten Personalrochaden ergeben hat, die bestmögliche Lösung für das deutsche Schach. Eine Lösung allerdings, die Meyer-Dunkers Doppelfunktion als DSB-Angestellter und Präsident des Berliner Verbands berührt. Während er seinen Job beim DSB gerne weitergemacht hätte (und ihn insgeheim wahrscheinlich nie aufgegeben hat), gehörte der Berliner Schachpräsident Meyer-Dunker hinter den Kulissen zu denjenigen, die ausgelotet haben, wie sich beim Kongress im Oktober DSB-Präsident Ullrich Krause absägen ließe.
Mit höchster Wahrscheinlichkeit wäre das gemeinschaftliche Projekt “Abwahl” in Ermangelung eines formidablen Nachfolgers ohnehin gescheitert. Nun ist es vom Tisch, bevor es konkret werden könnte. Meyer-Dunker sieht hochgezogene Augenbrauen seiner Präsidentenkollegen: Einerseits Krause absägen wollen, andererseits als Angestellter in dessen Schoß zurückkehren?
Wer sich umhört, der erfährt: Die Rolle des Präsidenten des Berliner Verbands in der nationalen Schachverwaltung ist nach dem jüngsten Hin und Her geschwächt – obwohl er derjenige war, der entscheidend geholfen hat, den zwischenmenschlichen Notstand beim DSB zu beseitigen. Ein Dankeschön bekommt er dafür allenfalls von seinen Kollegen in der Geschäftsstelle. Von denen in den Gremien eher nicht, im Gegenteil.
Wer das als Indiz für die Indifferenz der großen Mehrheit der Schachverwalter gegenüber dem Wohlergehen des Schachs nimmt, darf sich zumindest eines zustimmenden Nickens vom Bodensee sicher sein. Was die beste Lösung fürs deutsche Schach ist, interessiert die in ihren Ränkespielchen gefangenen Landesfürsten herzlich wenig.
Und Ullrich Krause? Von seinen drei Verbündeten, die anstellen konnten, was sie wollten, und sich trotzdem stets bedingungsloser Rückendeckung sicher sein konnten, ist mit Elisabeth Pähtz nur noch diejenige übrig, die im Tagesgeschäft des Schachs keine Rolle spielt. Sein auf acht Jahre angelegtes Denkmalprojekt mit einigen wichtigen Anstößen darin liegt kurz vor Halbzeit ohne jeden Fortschritt auf Eis. Seine Angestellten vertrauen ihm nicht.
Trotzdem ist Ullrich Krause fein raus.. Zwar wird sich nie die spannende Frage klären lassen, ob er mehr am Amt oder an Marcus Fenner klebt (oder ist sie gerade geklärt worden?), aber sein zweites zentrales Projekt, “Präsident bleiben”, läuft bestens. Im Mai 2023 wird gewählt, und mit Fenners Abgang sowie Meyer-Dunkers Rückkehr ist sichergestellt, dass bis dahin niemand ohne Not in eine Katastrophe stolpert, die einen Gegenkandidaten gebären könnte. Und wer glaubt, dass Krauses von der FIDE gesponsertes Auftreten bei der Generalversammlung in Chennai zu Ungemach führen könnte, der lese einfach, was AKLV-Chef Guido Springer dazu zu sagen hat. Krause hat nichts zu befürchten.
Die nächste drängende Personalfrage muss nicht Ullrich Krause, sondern Springer und dessen Kollegen im Kongress beantworten. Die eine Voraussetzung, die Turnierdirektor Gregor Johann zum Bleiben bewegen könnte, ist mit dem Weggang Marcus Fenners geschaffen. Die andere wäre, Johann seine Arbeit machen zu lassen, anstatt ihn zu zwingen, “Hierarchien rauf- und runterzustiefeln”, wie Johann nennt, was die Fachleute für Satzungsreform für seinen Beritt ausgeheckt haben.
Ob das Sponsoring durch die deutsch-russische WR-Group in der jetztigen Situation dem DSB als Vorbild dienen sollte, darf man durchaus hinterfragen.
Ich erwarte vom DSB, dass er sich von dieser durch russisches Geld finanzierten Veranstaltung fernhält.
“Und wer glaubt, dass Krauses von der FIDE gesponsertes Auftreten bei der Generalversammlung in Chennai zu Ungemach führen könnte, der lese einfach, was AKLV-Chef Guido Springer dazu zu sagen hat. Krause hat nichts zu befürchten.“ Cool, was mir hier unterschwellig unterstellt wird (Verdacht der “Gleichschaltung”?). Aus der Benennung objektiver und nachvollziehbarer Fakten im verlinkten Kommentar deutet der Autor, dass Ullrich Krause keinen Gegenwind mehr, also “nichts zu befürchten” hat. Sehr interessante Meinung. Bei auftretenden Differenzen pflege ich, diese dort zu klären, wo sie entstehen bzw. bestehen. In den dazu notwendigen Gesprächen nähert man sich an oder eben auch nicht. Nähert man sich… Weiterlesen »
Vor vielen Jahren hatte ich mich mal auf die Stelle des GF beworben … man man man, gut das nicht geklappt hat, eine solche Schlangengrube / ein solches Intrigenhäusschen haette ich mir damals gar nicht vorstellen können. Wir sind doch hier beim Schach und nicht der Wettmafia …
Bin froh über diese Wendung, denn der Mann hat mMn gute Arbeit geleistet! Und ich kann mir vorstellen, dass „Ulme“ jPaul Meyer- Dunker) noch einiges bewegen wird wenn man ihn lässt. Von der Aussendarstellung ist es natürlich verheerend, so wie das gelaufen ist!
Gegendarstellung: Die WR-Group hat natürlich nichts mit Walter Rädler zu tun.
Übrigens:
Spannend sind die derzeitigen Machtverhältnisse in der Vorstandschaft des DSB. Meine Prognose: Mit mittlerweile Ralph Alt, Gerhard Prill und Lutz Lutz Rott-Ebbinghaus sind drei beruflich erfolgreiche, integre Persönlichkeiten aktiv, die dies und jenes diskret ausbügeln.
Conrad, du hast das Präsidium in einem Artikel als schwach bezeichnet, ich hoffe, es zeigt dir seine Zähne!
Sehr interessant, diese Einblicke in die bundesdeutsche “Schachpolitik”, Dr. Marcus Fenner und so meinend, der hiesige werte Inhaltegeber scheint sozusagen alles zu wissen (und auch klare Meinung zu haben).
Viele Grüße aus der Tschechischen Republik
LK
Ein Artikel mit offenem Visier, und gleichzeitig ein Beleg dafür, wieviel Unabhängigkeit wert ist. Solche Stimmen sind unersetzbar, weiter so!
Kleine Anmerkung zum Titel: “Rochade rückwärts” ist wie “Salto rückwärts” negativ konnotiert, was hier wohl nicht beabsichtigt ist.
Sehr interessant ist ja übrigens, dass der Sportdirektor Betriebsratvorsitzender geworden ist. Eigentlich ziemlich lustig, denn diese Position als BR ist schon fast unkündbar obgleich er für die sportlichen Belange verantwortlich ist. Also bei Versagen ist er trotzdem schwierig zu entlassen. Echt spannend, eigentlich müsste sich Herr Bierhoff auch mal zur Wahl stellen. Smile!!