Carl Magenschabs Turnierabbruch

Na, schreibst du wieder ein Schachgedicht?“ Der geschätzte Schachfreund Claudius Caissa grinste verschmitzt. Oder grinste er spöttisch? Schwer zu sagen.

„Genau genommen ja, ich habe ein Gedicht zur Causa Magnus Carlsen/Hans Niemann geschrieben“, antwortete ich meinem unangemeldet nach langer Zeit wieder aufgetauchten Besucher. Schachfreund Caissa, nicht gerade als Liebhaber von Reimversen bekannt, zeigte überraschend großes Interesse an meinen Zeilen. „Zeig mal her, was du geschrieben hast.“

Ich reichte ihm meinen Notizblock.

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Carl Magenschab

Mein Schachkumpan Carl Magenschab
Brach neulich beim Vereinscup ab.
Die Begründung war sehr vage –
Gleich nach einer Niederlage

Da klagte Carl und schimpfte bös
Und sagte Sachen, nebulös
Über seinen Schach-Besieger,
Unsern jungen Überflieger.

Nun meint gar mancher im Verein,
Der müsse ein Betrüger sein –
Magenschab so klar zu schlagen
Sei nicht möglich sozusagen.

Da sei Schmu im Spiel, ganz klar!
So stellen das Carls Schmeichler dar;
Magenschab indes, der Schlaue
Zupft sich kühl die Augenbraue.

Sein Dolchstoß saß sehr zielbewusst,
Denn niemand spricht mehr vom Verlust
Und das Jungtalent beteuert
Seine Unschuld angesäuert.

Carl MagenMagnus Carlsen, unzufrieden. | Foto: Lennart Ootes/FIDE

Das kannst du als der Neutralität verpflichteter Schreiber so nicht veröffentlichen“, antwortete Claudius mit einer für mich überraschenden plötzlichen Ernsthaftigkeit.

“Warum, es ist doch bloß ein Gedichtchen?” Ich versuchte, so spitzbübisch zurückzugrinsen, wie er es eingangs getan hatte.

„Ja, aber das geht nicht. Ich hab’ wirklich Bedenken. In dieser Angelegenheit ist doch noch überhaupt nicht klar, was wirklich Sache ist. Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Es ist ein schwebendes Verfahren sozusagen. Und du ergreifst in deinem Statement ganz klar Partei für Hans Niemann. Schlimmer noch, du unterstellst dem Weltmeister einen Dolchstoß, den der mit kühler Berechnung gesetzt hat”, sagte mein Schachfreund.

Caissa, der sich ansonsten bevorzugt mit alten Schachgestalten vergangener Epochen beschäftigt, kannte sich überraschend gut in dieser brandaktuellen Geschichte aus. „Aber ich schreib’ doch gar nicht Magnus Carlsen“, erwiderte ich, „meine Fantasiefigur heißt Carl Magenschab. Außerdem berufe ich mich im Zweifelsfall auf Kunstfreiheit. Und überhaupt: Was kann ich dafür, wenn Carlsen sich hinter einem Fußballtrainer versteckt?“

„Pipapo – jeder erkennt, wen du meinst. Carl Magenschabe, was ist das überhaupt für ein Quatschname, da ist ja wieder mal deine Fantasie mit dir durchgegangen. Und das ‘Jungtalent’ ist ebenfalls klar erkennbar. Du bist auch nicht besser als die ganzen anderen Leute, die nichts wissen, aber umso stärker für die eine oder andere Seite Partei ergreifen.” Caissa riet mir, die Veröffentlichung zu verschieben: “Mein Gefühl sagt mir, da kommt noch etwas Großes nach.”

„So kenne ich dich gar nicht. Normalerweise bin doch ich der Bedenkenträger, und du sagst immer, ich soll mir nicht über alle möglichen Konsequenzen Gedanken machen. Außerdem: Er heißt ‘Magenschab’, nicht ‘Schabe'”, erwiderte ich. “Falls sich in den nächsten Tagen tatsächlich herausstellen sollte, dass der Tenor meines Gedichts falsch ist, dann schreibe ich halt nächste Woche ein neues und ergreife Position für die Gegenseite. ‘Was kümmert mich mein Gereime von gestern’, hätte Konrad Adenauer gesagt”, erklärte ich ihm.

„Du kannst natürlich machen, was du willst. Aber mit diesem Gedicht stichst du in ein Wespennest. Das wird Gegenwind geben. Norwegische Trolle, sag ich nur! Am Schluss kommentiert dann wieder einer so wie damals bei deinem Vincent-Alireza-Artikel, deine Gedanken seinen idiotisch. Damit musst du dann halt klar kommen.” Mein geschätzter Schachfreund riet mir, mich aufs Beobachten zu beschränken und künftig auf Andeutungen und Interpretationen zu verzichten.

Genauso überraschend wie er aufgetaucht war, war der stets unberechenbare Schachfreund Claudius Caissa dann auch wieder verschwunden. Alles wie immer. Er hatte mich gewarnt.

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Neandertaler
Neandertaler
1 Jahr zuvor

Ich habe mich köstlich amüsiert.

Und ich bin mittlerweile überzeugt, dass Magnus Carlsen seinem Ansehen so oder so geschadet hat, selbst wenn Niemann irgendwann tatsächlich des Betrugs am Brett überführt werden sollte.

Carlsens Verhalten ist einfach hinterhältig, und zeigt ein völlig Desinteresse daran, seiner Rolle als wichtigstes Botschafter des Schachs gerecht zu werden. Carlsen scheint seit einiger Zeit nur noch Unternehmer in eigener Sache zu sein.

Das ist sein Recht. Es verspielt Sympathien. Und das wiederum ist ihm egal.

Jochen
Jochen
1 Jahr zuvor

… es ist übrigens absolut menschlich, dass Niemann unter diesem massiven Druck in der zweiten Hälfte des Turniers schlechter spielt. Das Gegenteil wäre merkwürdig. Guter Schlaf und gute Stimmung / Zuversicht während eines Turniers machen bei mir 200 bis 300 Elo aus. Doch das ist gerade der Punkt: Einen motivierten, routinierten Turnierspieler macht es aus, auch in Turnieren, schlecht gestartet, noch recht gut zu spielen. Im Boxen nannte man das schon immer Nehmerqualitäten, was in der trendigen Psychologie seit einigen Jahren Resilienz heißt. Der Turnierabbruch als Option ist denk ich aber auch ein schlechtes Vorbild für unseren Schachnachwuchs. Letztens “drohte”… Weiterlesen »

Last edited 1 Jahr zuvor by Jochen
Tobs
Tobs
1 Jahr zuvor

Beim Runterscrollen tätigt man schon leicht eine unzutreffende Sterne-Wertung für den Artikel. Diesen fand ich sehr unterhaltsam.

Tiger-Oli
Tiger-Oli
1 Jahr zuvor

Eijeijei, sehr sehr schön! Gedicht und Text! Wer aber ist Claudius Caissa?

Friedrich Lehmann
Friedrich Lehmann
1 Jahr zuvor

Die Heiterkeit ist angebracht. Carolus Magnus streitet sich derweil auf chess.com mit Nakamura um das höchste Blitz Rating, anstatt den Sinquefield zu gewinnen.

acepoint
1 Jahr zuvor

Im Talkchess-Forum bin ich eben auf eine sehr professionell durchgeführte Analyse der Ratingentwicklung von Hans Niemann gestoßen. Mal abgesehen von einigen Trollpostings lohnt es sich, die Diskussion ab diesem Beitrag (DrCliche) auf Seite 11 bis zum Ende zu lesen: http://talkchess.com/forum3/viewtopic.php?f=2&t=80630&start=100#p933597

Bis auf Hinweis SinquefieldCup Runde 1-3 im Vergleich zu 4-9 – der Unterschied dort kann tatsächlich, wie hier schon erklärt, menschlich nachvollziehbare Gründe haben – hat mich persönlich die statistische Argumentation überzeugt.

Kai Henne
Kai Henne
1 Jahr zuvor

Es passt nicht perfekt zu diesem Artikel aber sind wir nach dem Statement von chess.com vielleicht ein Stück weiter? Naheliegender Ablauf: Es gibt mindestens starke Indizien, dass Hans weiterhin online betrügt. Magnus ist nach dem Verkauf Teil von chess.com und er ist in die interne Diskussion eingebunden. Er weiß, dass Hans ein Cheater ist und er weiß natürlich auch, dass es keine Beweise für OTB-Cheating gibt. Er hat natürlich den Verdacht, aber er kann ihn nicht beweisen. Natürlich ist er stinksauer über seinen Verlust und will Hans in jedem Fall abstrafen. Als hochintelligenter Schachspieler findet er die wirksamste Strategie, den… Weiterlesen »

Higamato
Higamato
1 Jahr zuvor

Was mich am meisten elektrisiert: “Mein Gefühl sagt mir, da kommt noch etwas Großes nach.” Folgst du Magenschabs Spuren oder weißt du tatsächlich mehr als wir alle?

René Liese
René Liese
1 Jahr zuvor

Und MG hatte wieder keine Lust gegen Niemann … Ich gehe davon aus, dass er plausible Gründe dafür hat – aber natürlich bleibt das mit dem jetzigen offiziellen Informationsstand nur Spekulation …