16 Jahre, 1 Monat und 17 Tage. So alt war am Samstag der indische Wunderknabe Gukesh, als er in Biel mit Schwarz die Nummer 23 der Welt besiegte und in der Live-Elo-Liste die 2700-Marke überschritt. Mit 2703,9 ist Gukesh der drittjüngste Spieler, der eine Elozahl von 2700 erreicht hat. Nur Alireza Firouzja, der eine Woche jünger war, und Wei Yi, der mit 15 die 2700 überquerte, waren schneller.
Seit einigen Wochen schon stürmen die besten Junioren der Welt fast im Gleichschritt die Elolisten hoch. Allesamt nach den schacharmen Pandemiemonaten unterbewertet, gleichen sich die Wertungszahlen der Spitzentalente nun ihrer tatsächlichen Spielstärke an. Vier von ihnen treffen gerade in Biel aufeinander.

Trotz aller sportlicher Konkurrenz sei das Verhältnis unter den aufstrebenden Jung-Großmeistern freundschaftlich, sagte Vincent Keymer nach der dritten Runde in Biel: “Wir kennen einander ja schon lange.” Gegen Gukesh hat Keymer noch nie eine klassische Partie gespielt. In Biel wird sich das jetzt ändern, “das wird bestimmt interessant”, so Keymer.
Beim Schachfestival in der Schweiz hatte Gukesh gleich in der ersten Runde den amtierenden Schnellschach-Weltmeister Nodirbek Abdusattorov (17) besiegt. Nach einem Remis gegen Arkadij Naiditsch folgte jetzt der Sieg über den in den USA lebenden Vietnamesen Quang Liem Le (2722), die Nummer 23 der Welt.
Gukesh führt nach diesem Sieg in Biel, wo am heutigen Sonntag das Blitzturnier des Großmeister-Triathlons ausgetragen wird. In der Eloliste der Junioren muss sich der Inder als einer von zwei 2700ern vorerst hinter Firouzja einsortieren. In der Liste der jüngsten 2700er jemals hat er einen gewissen Magnus Carlsen auf den vierten Platz verdrängt.
Ob Gukesh nachmachen kann, was Firouzja und Carlsen vorgelegt haben? Das Beispiel von Wei Yi zeigt, dass das frühe Erreichen von 2700 nicht einen Platz im kleinen Elitezirkel des Schachs garantiert. Beim Gibraltar Masters 2015 hatte der Chinese im Alter von 15 Jahren, 7 Monaten und 28 Tagen die 2700 überschritten – und stagnierte in den folgenden Jahren mehr oder weniger. Zwar erreichte er ein Allzeit-Hoch von 2753, aber meistens liegt er zwischen 2720 und 2730.
Allerdings musste Wei Yi mit einem Wettbewerbsnachteil leben: Der begnadete Jugendliche aus Fernost bekam wenige Einladungen zu Spitzenturnieren, wenige Gelegenheiten, im Wettbewerb mit den international Besten zu wachsen. Aktuell trifft ihn das Los, das den meisten seiner chinesischen Kollegen das Ausüben ihres Berufs schwierig macht: Internationale Reisen sind ein Problem, sie bedürfen aufwändiger Genehmigungsverfahren.
Nachdem Ding Liren, die chinesische Nummer eins, deswegen die Qualifikation fürs Kandidatenturnier verpasst hatte, wird nun die chinesische Nationalmannschaft bei der Schacholympiade in Chennai fehlen. Wei Yi zeigt derweil beim Online-Schnellschach, dass er ganz oben mithalten kann. Beim aktuellen Turnier der Champions Chess Tour bestreitet er das Finale gegen Levon Aronian.
Das Problem fehlenden Wettbewerbs stellt sich für den indischen Nachwuchs nicht. Gukesh, Praggnanandhaa oder Nihal Sarin waren schon vor Pandemiebeginn Schachprofis, die von einem Turnier zum anderen reisen. Bei der Schacholympiade werden sie im Team “Indien B” Seite an Seite kämpfen. Gut möglich, dass das junge indische B-Team sich am Ende des Wettbewerbs als das eigentliche A-Team des Gastgeberlands entpuppt.

Nachtrag, 18. Juli: Magnus Carlsen ist mit der Einschätzung, Gukesh sei der drittjüngste Spieler über 2700, nicht einverstanden.
Carlsen verweist auf ein Turnier in Amsterdam im August 2006, in dessen Verlauf er (drei Monate vor seinem 16. Geburtstag) nach Live-Elo über 2700 gestanden haben soll. Allerdings gab es damals noch keine Live-Elozahlen (die Seite 2700chess.com ging erst 2011 online). In der monatlichen FIDE-Eloliste stand Carlsen erstmals im Juli 2007 über 2700.
(Titelfoto: @bielchessfestival.ch)
[…] auf Chancen, ein Punkt sollte her, mit Macht. Und das ließ sich gut an. Keymer erwischte den 16-jährigen 2700er mit einem neuen Konzept in der Eröffnung. Nach elf Zügen schon hatte er sich Vorteil in Form […]
Interessant, womöglich paradox dass in Indien nun Gukesh und Spätstarter Erigaisi die Nase vorn haben gegenüber den viel mehr bejubelten Praggnanandhaa (für mich “Großmeister PR”) und Nihal Sarin (beide eher “der Vollständigkeit halber” in der 2700chess.com Grafik?). Wobei man zunächst abwarten kann und sollte, ob Gukesh auch nach dem kompletten Turnier in Biel und damit offiziell Elo 2700+ hat – Esipenko hatte bereits 2723 und dann ging es zuletzt wieder abwärts. Manche Leute suchen gerne nach Ausreden, wenn höchste Erwartungen nicht erfüllt werden, nun für Wei Yi. Auch für Hou Yifan hieß es, dass sie mit noch mehr Superturnier-Einladungen garantiert… Weiterlesen »
Inwiefern handelt es sich um “Ausreden”, wenn jemand Erklärungen sucht? Wobei aus meiner Sicht auch Erklärungen eher unnötig sind; ich finde: Lasst die Leute doch einfach spielen, und am Ende sehen wir doch alle, wer wo ankommt. Es ist ein Trauerspiel, wie in den diversen Kommentarspalten quartalsweise der neue Weltmeister ausgerufen wird. Genauso blöd erscheint es mir allerdings auch, einen 18-Jährigen, der 2.800 (!) überschreitet, immer noch als “gehypt” zu bezeichnen, oder jeden Meilenstein, über den berichtet wird, als “PR” abzutun. Lassen wir sie doch einfach spielen, freuen wir uns mit ihnen über das bisher Erreichte; was irgendwann eventuell sein… Weiterlesen »
Womöglich sind wir nicht so weit auseinander. Man kann Erfolge zur Kenntnis nehmen und würdigen und dabei berücksichtigen, wie sie zustande kamen und sie damit etwas relativieren. Firouzja hat sich durch reihenweise Siege gegen Elo unter 2700 erst für das Kandidatenturnier qualifiziert und dann im nächsten Turnier die 2800 geknackt – zwei derartige Turniere nacheinander ist ziemlich selten und es sagte dann wenig aus über seine Chancen im Kandidatenturnier – so sahen es tendenziell auch Kasimdzhanov und Caruana. Bei Hou Yifan war es quasi ähnlich: relativ nahe dran an 2700 durch Erfolge in Damenturnieren, aber praktisch in jedem Superturnier hatte… Weiterlesen »
D. h., Firouzja hatte das Glück, dass er an gewissen Turnieren teilnehmen konnte, aber Yi hatte _nicht_ das Pech, dass er das nicht konnte? :-)))
PS: Ich bin mir besonders sicher, wie leicht “reihenweise Siege gegen Elo unter 2700” sind. Falls doch leichter als ich vermute, dann sollten sich andere mal ein Beispiel an Firouzja nehmen, statt reihenweise gegen unter 2700 Elo zu remisieren.
Dass Wei Yi keine Superturnier-Einladungen bekam ist ja ein Mythos: dreimal nacheinander (2016, 2017, 2018) Wijk aan Zee (nur 2017 spielte er, TPR 2812, wie ein potentieller zukünftiger Weltmeister), 2016 auch Bilbao, außerdem einige Turniere in China. Die Grand Chess Tour nahm nur top10 Spieler, sonst kam höchstens Dortmund noch in Frage – wurde damals auch eingefordert (da Conrad Schormann damals noch nicht “präsent” war, wohl von Stefan Löffler). Wie Giri beim Kandidatenturnier zu Recht anmerkte, eignet sich Firouzjas Spielweise besser für relativ schwache Gegner: er schließt Remis als Ergebnis aus, das bedeutet mehr Siege gegen <2700 und eben öfters… Weiterlesen »