Für die Nationalspieler läuft die Phase der praktischen Vorbereitung auf die Schacholympiade. Während Vincent Keymer in Biel um sportliche Ehren kämpft, treten Matthias Blübaum, Rasmus Svane und Dmitrij Kollars ab Sonntag beim “Deutschland Grand Prix” im Rahmen der Dortmunder Schachtage an. Für alle vier markieren diese Wettbewerbe die letzten vor dem Abflug nach Indien.
Keymer, Blübaum und Svane haben schon vor dem Auftakt in Biel bzw. Dortmund für Aufsehen gesorgt, der eine am Brett, die anderen beiden vor dem Bildschirm.
Keymer gewann das Bieler 960-Turnier; im folgenden Schnellschach-Wettbewerb war er weniger erfolgreich. Das klassische Turnier in Biel begann er am Donnerstag mit einem Remis gegen Andrey Esipenko, …
…gefolgt von einem Remis am Freitag gegen seinen Deizsauer Mannschaftskameraden Gata Kamsky:
Rasmus Svane hat derweil um die Weltmeisterschaft gespielt. Zumindest hatte der Wettbewerb anfangs so geheißen: “chess.com World Championship” nannte die größte Schachseite ihren neuen Flaggschiffwettbewerb, mit einem Preisfond von einer Million Dollar das größte Online-Turnier, das chess.com je veranstaltet hat.
Dann intervenierte die FIDE, ein erstaunlicher Vorgang, ist doch a) chess.com der FIDE als Sponsor verbunden und b) deswegen die Vermutung umso naheliegender, dass die beiden vorab klären, ob der Begriff “Weltmeisterschaft” womöglich geschützt ist oder ob der Weltverband andere Einwände hat, etwa weil beliebige “Weltmeisterschaften” die eigentliche Weltmeisterschaft entwerten.
Offenbar war die Angelegenheit nicht abgesprochen. Die FIDE grätschte chess.com in die Parade, und die Schachseite gab ihrer “World Championship” einen anderen Namen: “Global Championship” heißt der Wettbewerb nun, sonst ändert sich nichts. Der hochdotierte Wettbewerb über mehrere Vorrunden hat jetzt seine vorentscheidende Phase erreicht. In 16 Qualifikationsturnieren werden 32 Spieler ermittelt, die zu den 32 für K.o.-Endrunde eingeladenen stoßen.
Diese finalen 64 werden in Schnellschach-Matches (15+2) den neuen “chess.com Global Champion” ermitteln. Preisgeld für den Sieger: 200.000 Dollar. Für die Normalverdiener aus dem Großmeisterstand ist schon das Erreichen der K.o.-Endrunde lohnenswert. Jeder aus den letzten 64 bekommt mindestens 5.000 Dollar, das entspricht etwa dem Preisgeld für einen Gewinn des “German Masters”.
Rasmus Svane hat diesen Betrag sicher. Gleich beim ersten Qualifikationsturnier für die K.o.-Endrunde sicherte sich der Lübecker neben dem Inder Vidit den Einzug unter die letzten 64. Matthias Blübaum scheiterte bei diesem ersten Versuch knapp, ihm fehlte ein halber Punkt. Stattdessen kämpfte sich Blübaum wenig später beim “Titled Tuesday” unter anderem dank eines Sieges über Fabiano Caruana in die Preisränge:
Am Freitag beim dritten Qualifier für die K.o.-Runde fehlte Blübaum wieder ein halber Punkt. Aber noch hat er eine Reihe von Versuchen, sich ebenso wie Svane einen veritablen Zahltag bei der “Global Championship” zu erkämpfen.
Ab Sonntag bekommen es Svane, Blübaum und Kollars miteinander zu tun. Die Dortmunder Schachtage beginnen – erstmals in der Form, wie die Veranstalter es sich vorgestellt haben: mehrere Rundenturniere, dazu offene Turniere und nicht zuletzt ein Vierkampf im Schach ohne Rochade mit zwei Legenden, die zuletzt vor allem abeits des Brettes aufgefallen sind: Viswanathan Anand, der als potenzieller FIDE-Vizepräsident für eine Wiederwahl von Arkady Dvorkovich steht, und Vladimir Kramnik, der es für moralisch und ethisch verwerflich hält, einen Vladimir Kramnik über die Uhr zu ziehen:
Fürs deutsche Schach am interessantesten dürfte der “Deutschland Grand Prix” vom 17. bis 24. Juli sein, in dem es die drei genannten Nationalspieler mit veritablen Widersachern zu tun bekommen. Bemerkenswert am Format: Sieben Teilnehmer bestreiten das Turnier, pro Runde hat einer spielfrei. Die Idee: der spielfreie Großmeister unterstützt den Online-Kommentar von Artur Jussupow und Fiona Steil-Antoni.
Von Dortmund geht es nicht nur für die drei Deutschen quasi direkt nach Ostindien. Die Nationalmannschaften sollen möglichst einige Tage vor Beginn der ersten Runde der Schacholympiade am 28. Juli in Indien ankommen, um sich zu akklimatisieren: die Zeitumstellung, die Hitze, das Essen. Vor dem wichtigsten Mannschaftswettbewerb seit vier Jahren kann es nicht schaden, sich ausgiebig auf die ungewohnten Umstände einzustellen. Speziell für die Herren gilt es, ans überaus erfolgreiche Turnier 2018 anzuknüpfen. Seinerzeit in Batumi blieben die Deutschen als einzige Mannschaft ungeschlagen.
Wie immer Schacholympia ausgeht, Zeit zum Verschnaufen bleibt kaum. Sechs Tage nach dem Ende des Wettbewerbs, am 16. August, beginnt in Magdeburg das “German Masters”, dessen Besetzung der Schachbund jetzt bekanntgegeben hat. Die gute Nachricht: Anders als unlängst beim “Masters” der Frauen, wo Elisabeth Pähtz (“keine Lust auf Schach“) fehlte, wird mit Vincent Keymer der überragende deutsche Spieler mit von der Partie sein.
Eine Überraschung ist Keymers Mitwirken nicht, eine Selbstverständlichkeit erst recht nicht. Der 17-jährige Jung-Profi sucht sich seine Wettbewerbe nach dem Hauptkriterium aus, möglichst starke Gegner zu bekommen. In Magdeburg wird er die Nummer eins des Feldes und klarer Favorit sein. Unter anderem wird Keymer beim “Masters” gegen den “Deutschen Meister” Jonas Rosner (Elo 2478) sowie den angehenden IM Tobias Kölle (Elo 2436) spielen. Beim parallel zum “Masters” laufenden Turnier der Champions Chess Tour könnte sich Keymer mit der Weltelite messen.
Zwei, wenn nicht drei deutsche Großmeister und Nationalmannschaftskollegen, die Keymer den Sieg streitig machen könnten, werden in Magdeburg fehlen. Liviu-Dieter Nisipeanu etwa ist nicht dabei. Würde sich der Rumäne, der in Chennai 46. Geburtstag feiern wird, nach Schacholympia eine Pause gönnen, das wäre nicht erstaunlich. Allerdings kann es auch sein, dass er das vergleichsweise bescheiden dotierte deutsche “Masters” auslässt, um stattdessen beim neu eingerichteten, vergleichsweise hoch dotierten rumänischen Grand Prix gegen leichtere Gegner um etwa dasselbe Preisgeld zu spielen.
Außerdem fehlen Matthias Blübaum und Alexander Donchenko. Der Europameister wird die Tage nach der Schacholympiade nutzen, um ein letztes Mal Hand an seine “so gut wie fertige” Mathe-Masterarbeit zu legen, bevor er für einige Zeit seinen Fokus ausschließlich auf Schach legt. Donchenko hätte gerne am Masters teilgenommen, hatte sich aber ausgerechnet zur Nominierung am 1. Juni sein Elo-Tief genommen, sodass er nur auf der Reserveliste stand. Auf Anfrage dieser Seite sagte Donchenko, er habe nicht riskieren wollen, am Ende nicht ins Turnier zu kommen. Darum habe er sich fürs parallel zum “Masters” laufende GM-Turnier des Rubinstein-Memorials in Polen beworben – und den Zuschlag bekommen.
[…] seines ersten Profijahres steht schon fest: Das “German Masters” im August (siehe dieser Beitrag), bei dem sich Frederik Svane mit einer Reihe von Leuten messen wird, an deren Seite er […]
[…] Mit seiner „chess.com World Championship” hat sich chess.com nicht nur Hohn und Spott von Lichess eingehandelt. Obwohl das Unternehmen der FIDE als Sponsor eng verbunden ist, war der Start einer eigenen Weltmeisterschaft offenbar nicht mit dem Weltverband abgesprochen. Kaum 48 Stunden nach der Ankündigung ruderte chess.com zurück. Der mit einer Million Dollar dotierte Wettbewerb heißt jetzt „Global Championship“ (Rasmus Svane ist als einziger Deutscher für die finalen Play-Offs qualifiziert). […]