Spitzenreiter!

Zwei Siege, zwei Remis, Performance 2812. Vincent Keymer führt beim Prager Schachfestival nach vier von neun Runden die mit drei Punkten “Challenger”-Gruppe an. Nach dem Ruhetag am Sonntag geht der Wettbewerb am Montag um 15 Uhr weiter. Keymer führt die schwarzen Steine gegen den tschechischen Großmeister Peter Michalik.

Livepartien, Ergebnisse Tabelle (chess.com)
Livepartien, Ergebnisse Tabelle (chess24)

Tabelle via Prague Chess Festival

Schon vor dem Beginn der Partien hatte das Turnier gut begonnen. Keymer zog die Startnummer eins, was ihm zwei Weißpartien zum Auftakt bescherte. Diese Gelegenheit für einen guten Start sollte er perfekt nutzen, wenngleich nich vollständig ohne Wackler.

Die Nummer eins: Vincent Keymer bei der Auslosung. | Foto: Petr Vrabec/Schachfestival Prag

Die Auftaktpartie gegen die einstige tschechische Nummer eins Zbynek Hracek begann mit einer Demonstration überlegener Strategie. Keymers erste zehn Züge sahen, jeder für sich betrachtet, unspektakulär aus. Und doch hatte der 17-Jährige schon in der Eröffnung ein Netz gewoben, in dem sich sein erfahrener Gegenspieler verfing:

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Nach 9.a5.

10.a6 nebst 11.Se5 ist eine derart starke Drohung, Schwarz muss hier wohl oder übel schon auf a5 nehmen, will er nur zwar signifikaten, aber noch erträglichen Nachteil haben, anstatt nach zehn Zügen am Rande des Verlusts zu operieren. Hracek wollte einen so hässlichen Zug nicht machen, spielte 9…Le7? und hätte sich nach 10.a6 nicht beschweren können, wäre es schnell vorbei gewesen.

Keymer ließ die Zügel ein wenig schleifen, blieb aber über die gesamte Dauer der Partie am Drücker. Am Ende fand sich der für Werder Bremen in der Bundesliga spielende Tscheche in einem tödlichen Zugzwang wieder:

Der Auftaktsieg über Zbynek Hracek.

Die zweite Partie gegen den erfahrenen Inder Krishnan Sasikiran (Elo-Bestwert 2720) hielt einige für unbedarfte Beobachter mysteriöse Momente bereit:

Schon im zwölften Zug, in dem sich das Schema 12.Se2 angeboten hätte, überraschte Keymers 12.Te1. Im Zug danach landete der Turm dann auf e2, wo er nur ein Feld hatte, das, von dem er gekommen war. Keymers Idee: der d-Bauer wird ziehen, und sogleich werden die Türme flexibel aufgestellt sein, bereit für eine Verdopplung auf der c-Linie.

Im 14. Zug zog der d-Bauer tatsächlich – nach d3. Um einen Zug später nach d4 weiterzugehen. Ein Tempoverlust?

Mitnichten. Das Prinzip: Weiß zieht erst d4, nachdem schwarzes …c5 auf dem Brett steht. Nach 15.d4! ist 16.dxc5 nebst Spiel gegen die hängenden Bauern (dank der flexibel aufgestellten Türme) eine positionelle Drohung. Schwarz musste 15…c4 spielen, und damit bekam Keymer genau die Struktur, die angestrebt hatte, wie sein zügiges Spiel anzeigte.

Vorteil bekam er allerdings nur auf der Uhr. Auf dem Brett, na ja. Letztlich entschied die Zeitnot des Inders die Spitz auf Knopf stehenden Verwicklungen. Sasikiran geriet unter dem Druck der Uhr entscheidend ins Straucheln, und auch dieser Punkt ging an Keymer.

Die Partie gegen Krishnan Sasikiran aus der zweiten Runde.

In der dritten Runde dann die erste Schwarzpartie gegen die slowakische Schachhoffnung Jergus Pechac. Diesmal bekam Keymers Gegner genau das aufs Brett, was er angestrebt hatte – mit dem ensprechenden Zwischenstand auf der Uhr:

20 Züge gespielt, Weiß hat praktisch keine Zeit verbraucht und eine Stunde Bedenkzeit mehr auf der Uhr als Keymer.

Georgios Souleidis vermutet, dass das schnelle Spiel des Slowaken Keymer nicht unbeeindruckt gelassen hat. Womöglich um seinen Gegner endlich zum Denken zu zwingen, verzichtete Keymer hier darauf, mit 20…Lf5 nebst 21….Ld6 totalen Ausgleich herzustellen.

Stattdessen: 20…Lf8? mit der Idee, 21.g4 mit 21…h5 und (angenommenem) Druck gegen die weiße Königsflügelformation zu kontern. Dieses zweischneidige Konzept erwies sich allerdings als fehlgeleitet. Weiß entfachte sogleich einen fantastischen Angriffswirbel, der Keymer vom Brett hätte fegen sollen. Der Saulheimer hatte Riesenglück, dass es Pechac am Ende zu schön machen wollte:

Fast jeder Zug hätte gewonnen, das spektakuläre 32.Sd7?? allerdings nicht. Nach der einzigen Erwiderung 32…Sxd5! (sichert dem schwarzen König das Fluchtfeld e6) musste sich Weiß zähneknirschend auf die Suche nach einem Dauerschach begeben, weil plötzlich kein Gewinn mehr drin war. Pechac gelang es, wenigstens den halben Dauerschach-Punkt mitzunehmen.

Jergus Pechac war gegen Vincent Keymer drauf und dran, seine persönliche Unsterbliche zu kreieren. Aber am Ende wollte er Keymer zu schön ausknipsen und wurde dafür mit dem Verlust eines halben Punkts bestraft.

In Runde vier, wieder mit Weiß, stand die erste Partie gegen einen Mitfavoriten auf den Turniersieg an. Gegen Hans Moke Niemanns Ragosin-Damengambit kam Vincent Keymer mit einem Mehrbauern aus der Eröffnung – aber sein Gegner mit Kompensation:

Die Partie gegen Hans Moke Niemann aus der vierten Runde.

Anstatt weiter mit Kompensation zu spielen, entschied sich Niemann, ein Turmendspiel mit Minusbauern zu verteidigen:

27…Dd3? ist ein Fehler, der zu einem für Schwarz äußerst kritischen Turmendspiel führt. 27…Da1+! nebst 28…Td1 wäre besser gewesen. Es zeigt sich, dass Weiß dem schwarzen König nichts anhaben kann, während die auf der Grundreihe verdoppelten schwarzen Schwerfiguren Weiß mehr beschäftigen, als ihm lieb sein kann.

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keymerfan
keymerfan
1 Jahr zuvor

Keymer hat nun 5/7, ebenso leider auch Adusattorov, allerdings hat Vincent die etwas” leichteren” Gegner in den zwei folgenden Runden , und eine etwas bessere Feinwertung. Also gibt es gute Chancen zum Turniersieg!

keymerfan
keymerfan
1 Jahr zuvor

Keymer zeigt, dass er auch als einer der Favoriten stabil spielen kann, bisher hat er ja noch keine Partie verloren. Wenn er so weiterspielt, könnte das mit dem Turniersieg noch etwas werden.

Last edited 1 Jahr zuvor by keymerfan
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[…] und wertungsgleich an der Spitze: Vincent Keymer und Hans Moke Niemann. | via @praguechessSpitzenreiter!Die mit einem Blitzstart herausgespielte Tabellenführung konnte Keymer nicht halten. Abdusattorov […]