EM: Kein Druck auf Keymer

Hätte Daniel Fridman die Aufstellung der Nationalmannschaft ausgewüfelt, er hätte nichts grundsätzlich falsch machen können. “Die Mannschaft ist ausgeglichen”, sagt der Coach, dem vor dem heutigen Beginn der Mannschafts-EM die Aufgabe oblag, die Brettreihenfolge seines Deutschland-Vierers festzulegen. Ähnlich ausgeglichen stellt sich die Situation bei den Frauen dar – unterhalb von Brett eins, das die nominell über den Dingen stehende Elisabeth Pähtz besetzt.

Die Herren bekommen es zum Auftakt mit der Slowakei zu tun, die Damen mit der Schweiz, in beiden Vergleichen werden die Deutschen Favorit sein. Die Matches beginnen am heutigen Freitag um 15 Uhr.

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Angesichts der nahe beieinander liegenden Spielstärke seiner Recken musste Fridman nach anderen Faktoren suchen, um die Reihenfolge zu optimieren. Und er wurde fündig. Die 20 Jahre Profischach-Erfahrung, die Liviu Dieter Nisipeanu seinen Mitspielern voraus hat, führten dazu, dass der 45-Jährige wie in den Jahren zuvor das Spitzenbrett hüten wird. Dort hat Nisipeanu in der Vergangenheit stets mindestens stabile, oft überragende Leistungen abgeliefert.

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Nominell ist zwar schon Vincent Keymer die deutsche Nummer eins, und das mit einer Tendenz, die vermuten lässt, dass er sich eher kurz- als mittelfristig deutlich von seinen Kollegen absetzen wird. Aber für den 16-Jährigen ist der Auftritt im slowenischen Catez eine Premiere, und die könnte, vermutet Fridman, mit größerem Druck verbunden sein, als ihn Keymer aus regulären Turnieren kennt. Darum wollte Fridman seinen Youngster nichts ans erste, nicht einmal ans zweite Brett setzen. Damit erspart er ihm die Bürde, an eins aufzurücken, sollte Nisipeanu aussetzen. In der Nationalmannschaft 2021 ist Keymer die Nummer drei.

https://youtu.be/2txbU7W5qcI?list=PLJoqJKVTGm2PSmGJRnlzRU35w1NdFiBsn
Beton-Don: Selbst wenn ein WM-Kandidat wie Alexander Grischuk die Daumenschrauben anzieht, heißt das noch lange nicht, dass Alexander Donchenko nun vor Schmerz kollabiert. Gerade gegen die großen Kaliber des Weltschachs zeigt der 23-Jährige immer wieder, dass er jetzt schon auf höchstem Level mithalten kann. Und darum wird er gleich bei seiner Nationalmannschafts-Premiere in Slowenien das erste Brett für Deutschland besetzen, sobald Liviu Dieter Nisipeanu sich eine Auszeit nimmt.

Außerdem hat Fridman einen Faktor gefunden, der dafür spricht, Alexander Donchenko zur Nummer zwei zu machen: Je stärker die Gegner, desto motivierter der Donchenko. An starken Gegnern wird es an Brett zwei bei der Europameisterschaft nicht mangeln. Und sollte Nisipeanu aussetzen, hält Fridman Donchenko für den Richtigen für den Job, am ersten Brett gegen die allerstärksten Widersacher Beton anzurühren.

Vincent Keymer hat im vergangenen Jahr ausschließlich Performances oberhalb von 2700 abgeliefert, was dazu geführt hat, dass in der Live-Elo-Liste diese Marke nun langsam in Sichtweite des angehenden Abiturienten auftaucht. Keymer steht jetzt bei 2660. Sollte der Saulheimer dieses Level auch bei der EM bestätigen, dann hat Deutschland am dritten Brett eine Bank.

Nicht nur da. Auch ein Matthias Blübaum mit seinen 2647 am vierten Brett ist eine Hausnummer, um die die meisten anderen Nationen die Deutschen beneiden dürften. Und sollte einer dieser vier ausfallen, kommt eine nominell annähernd gleichwertige Waffe von der Ersatzbank: Rasmus Svane (2628) hat zuletzt mehrfach angedeutet, dass eineinhalb Jahre Corona-Pause seinem Schach nicht geschadet haben, im Gegenteil eher. Im Interview mit dieser Seite hat Svane unlängst gesagt, 2650 seien für ihn drin. Die EM wäre doch ein schöner Anlass, sich in diese Richtung zu bewegen?!

Bild
Die Herren. | Grafik via Schachbund

Welche Gedanken Frauen-Coach Yuri Yakovich bewogen haben, so aufzustellen, wie er aufgestellt hat, ist bislang nicht bis an den Bodensee durchgedrungen. Hinsichtlich des ersten Bretts ist es nicht schwierig zu erraten: wen sonst?

Elisabeth Pähtz obliegt die Aufgabe, ganz oben die stärksten Gegnerinnen auszubremsen. Außerdem kennt sie dank ihrer Erfahrung in der Weltspitze alle Gegnerinnen besser als ihre Mitspielerinnen. Sie wird wie bei der Team-WM in Sitges als verlängerter Arm des Coaches Hinweise geben und helfen können, die Vorbereitung in die richtige Richtung zu steuern.

Ab Brett zwei gilt wie bei den Herren: Auch ein Würfel hätte nichts grundsätzlich falsch machen können. Die Brettreihenfolge des Deutschland-Vierers bei den Frauen:

Bild
Die Damen. | via Schachbund

Ein Blick über die deutschen Teams hinaus auf die Konkurrenz. Die ist nicht von Pappe:

Jetzt bleibt noch zu hoffen, dass diese Mannschafts-EM mit allen Beteiligten regulär gespielt werden kann. Die Pandemie-Entwicklung in Slowenien versieht diese Hoffnung mit einem gewaltigen Fragezeichen:

https://twitter.com/Meyer_Dunker/status/1458701662755999746

Das Turnier wird nicht wie der Grand Swiss in Riga (mit deutlich weniger Teilnehmer:innen) in einer abgeschlossenen Blase absolviert. Die Teilnehmer bewegen sich frei.

https://twitter.com/Meyer_Dunker/status/1458875775709589508
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Peter der 2.
2 Jahre zuvor

Man darf ja auch mal loben, oder?
Auf der Webseite des deutschen Schachbundes gibt es “Live”-Interviews von 3 Nationalspielern direkt nach der Partie. Ich finde, es kommt sehr sympathisch rüber. Natürlich ist es nach einem Sieg einfacher ein Interview zu geben, aber mal sehen was da noch so kommt.

Martin Mauelshagen
Martin Mauelshagen
2 Jahre zuvor

Du sprichst im Text vom Spieler Fridman
“sobald Fridman aussetzt“