Zu früh gefreut?

Eine Partie wie diese bedeutet alles. Wenn du gewinnst, hast du das Turnier deines Lebens gespielt. Wenn du verlierst, willst du allein in deinem Hotelzimmer sterben.“ Das sagte Elisabeth Pähtz im Live-Stream nach der elften und letzten Partie beim Grand Swiss der Frauen in Riga. „Es ist ziemlich nervenaufreibend, so eine Partie zu spielen, die dich glücklich machen oder in Trauer versetzen kann.“

Bekanntlich hat Pähtz gewonnen, und es wurde tatsächlich das vielzitierte „Turnier ihres Lebens“. Pähtz hat sich als Zweite in einem Weltklassefeld für den weiteren WM-Zyklus 2021/22 qualifiziert, und die nur durch einen Sieg sicherzustellende Großmeister-Norm ist ihr auch gelungen.

Voreilig: Eine von Pähtz drei GM-Normen könnte sich nachträglich als ungültig erweisen.

Bekommt sie jetzt den ersehnten GM-Titel? Vielleicht. Die vom Schach-Weltverband, vom Deutschen Schachbund und in zahlreichen Medien inklusive dieser Seite verbreitete Nachricht, Pähtz werde jetzt Großmeister, ist bestenfalls voreilig. Noch steht ein Fragezeichen hinter ihrem Titel. Pähtz‘ 2016 bei der Europameisterschaft erzielte zweite GM-Norm könnte sich nachträglich als ungültig erweisen.

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Für Vincent Keymer, deutsche Nummer eins, und Elisabeth Pähtz, Nummer eins der Frauen, endeten die Grand Swiss maximal erfolgreich. Alle drei zu erreichenden Ziele haben die beiden erreicht. Keymers Chance, sich sogar direkt fürs Turnier der WM-Kandidaten zu qualifizieren, war vor der letzten Partie gegen den Engländer David Howell allenfalls theoretischer Natur.

Zum Schluss musste Vincent Keymer noch einmal 6,5 Stunden arbeiten, dann sah David Howell ein, dass er nicht mehr gewinnen kann. | Foto: Anna Shtourman/FIDE

Greifbar war die Chance, sich einen Platz im Grand Prix zu sichern, bei dem von Februar bis April 2022 in Berlin die letzten beiden Teilnehmer des achtköpfigen Kandidatenturniers ermittelt werden (aus dem Grand Swiss haben sich jetzt Alireza Firouzja und Fabiano Caruana qualifiziert).

https://twitter.com/FIDE_chess/status/1457427268016422912

Für dieses Heimspiel um die höchsten Weihen im internationalen Schach musste Vincent Keymer zum Schluss noch einmal 6,5 Stunden arbeiten. Howell brauchte seiner schlechteren Wertung wegen den ganzen Punkt für die Grand-Prix-Qualifikation. Aber letztlich sah er tief im Endspiel ein, dass mit seiner Dame trotz eines Mehrbauern Keymers Doppelturmfestung nicht zu durchbrechen war.

Offen ist, ob Keymer beim Grand Prix der einzige Deutsche sein wird. Der in Ungnade gefallene Ausrichter WorldChess kann bei seinem letzten FIDE-Turnier einen Freiplatz vergeben. Da das russische Unternehmen in Berlin ein Schachzentrum zu eröffnen gedenkt, wäre es naheliegend, diesen Freiplatz einem Deutschen zu geben. Allerdings muss erst einmal geklärt werden, ob es einen Deutschen gibt, der die Voraussetzungen dafür erfüllt.

Auf Twitter läuft schon die Debatte, welcher Deutsche einen Freiplatz für den Grand Prix bekommen könnte.

Anders als Keymer hatte Elisabeth Pähtz beim Grand Swiss sogar zwei Ziele zu erreichen. Für das eine, die Qualifikation für den Grand Prix der Frauen (ab August 2022, Austragungsort steht noch nicht fest), reichte ihr ein Unentschieden. Für die GM-Norm, die sie in den beiden Runden zuvor knapp verpasst hatte, brauchte sie einen Sieg. Und der gelang trotz der nervlichen Belastung, recht glatt sogar.

In den allermeisten Fällen ist die Verleihung des Titels nach der dritten Norm Formsache. Im Fall Pähtz steht eine weitere Zitterpartie bevor, die Klärung der Frage, ob ihre zweite Norm, erzielt vor fünf Jahren bei der Europameisterschaft, gültig ist. Seinerzeit hatte laut Teilnehmerinnen Schiedsrichter Werner Stubenvoll Pähtz‘ Performance aus den ersten neun Runden bei der FIDE als GM-Norm eingereicht.

Ist das eine GM-Norm? Elisabeth Pähtz bei der Europameisterschaft 2016.

Schon damals war die Frage aufgekommen, ob es sich tatsächlich um eine regelgerechte GM-Norm handelt. Unter Pähtz‘ Gegnerinnen waren nur zwei GM, erforderlich sind für eine Norm drei. Aber es soll damals eine (mittlerweile abgeschaffte) Extraregel gegeben haben, nach der eine besonders gute Performance als GM-Norm gewertet werden kann, auch wenn die Gegnerschaft nicht ganz den eigentlichen Erfordernissen entspricht.

DSB: “Gehen davon aus, die Normen gelten”

Ob die Norm nun gilt oder nicht, ist nie endgültig geklärt worden – bis jetzt. Nun, da Pähtz die dritte Norm nachgelegt hat, kommt die Frage nach der zweiten erneut auf den Tisch. Und es offenbart sich, dass seitens der FIDE niemand Normen auf ihre Gültigkeit prüft, bis der Antrag eines Spielers auf seinen Titel vorliegt. Im Fall Pähtz wird sich die FIDE-Schiedsrichterkommission jetzt erst ihre erste Norm (Bundesliga 2011/12), ihre zweite (Europameisterschaft 2016) und die aktuell nachgelegte dritte (Grand Swiss 2021) genauer anschauen.

Pikant daran ist, dass nicht nur der Schachbund, auch die FIDE selbst voreilig gemeldet hat, Pähtz werde den GM-Titel bekommen. Dem Vernehmen nach glühen nun zwischen deutschen und internationalen Schachregel-Fachleuten die Drähte, um diesen Fall möglichst schnell vom Tisch zu bekommen.

„Bevor wir nicht von der FIDE etwas anderes hören, gehen wir davon aus, dass Pähtz‘ Normen gültig sind“, sagt ein DSB-Sprecher auf Anfrage dieser Seite. FIDE-Sprecher David Llada teilt auf Anfrage dieser Seite mit:

“The titles are only officially awarded at the FIDE Congress. Before that, the norms achieved are reviewed by the FIDE Qualification Commission, who has to validate them. Since Elisabeth has just achieved her third norm, this process has barely started. Yes, we are aware that there might be an issue with one of the norms, but we are unable to comment on this until all the information has been double checked.”

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Frank
Frank
2 Jahre zuvor

Sowas (Norm einreichen) sollte gleich geprüft werden, damit es nicht Jahre später plötzlich zu peinlichen Überraschungen und Unstimmigkeiten kommt. Entweder ist eine Norm bereits beim Einreichen gültig oder nicht, so zumindest müsste es es laufen.

Krennwurzn
Krennwurzn
2 Jahre zuvor

Einfache Lösung: einfach noch ein starkes Turnier mit GM-Norm nachwerfen!!

Stefan Meyer
Stefan Meyer
2 Jahre zuvor

Unter Pähtz‘ Gegnerinnen waren nur zwei GM, erforderlich sind für eine Norm drei. Aber es soll damals eine (mittlerweile abgeschaffte) Extraregel gegeben haben, nach der eine besonders gute Performance als GM-Norm gewertet werden kann, auch wenn die Gegnerschaft nicht ganz den eigentlichen Erfordernissen entspricht. Man sollte meinen, dass es sich leicht überprüfen lässt, ob es 2016 so eine “Extraregel” gegeben hat. Falls nein, dann ist die Sache eindeutig, so leid es mir für Elisabeth Pähtz tut. Falls ja, dann ist die Sache ebenfalls eindeutig und dann stimmt der ganze Absatz nicht: erforderlich sind für eine Norm drei (GM-Gegner). Falsch, unter… Weiterlesen »

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[…] Zu früh gefreut? […]

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[…] Pähtz im November 2021 beim Grand Swiss in Riga die vermeintlich dritte Norm erzielt hatte, begann eine Debatte um die Gültigkeit ihrer zweite Norm, erzielt im Juni 2016 bei der Europameisterschaft, von neuem. Erst im Mai 2022 hat die […]

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[…] Zu früh gefreut?Dies sei die dritte Norm und damit der GM-Titel, hieß es direkt nach Elisabeth Pähtz’ Grand Prix 2021. Zu früh gefreut. Stattdessen folgte ein Titel-Tauziehen, in dessen Verlauf Pähtz gar rechtliche Schritte gegen die FIDE erwog. So weit kam es dann nicht. 13 Monate nach der Norm beim Grand Swiss wurde Pähtz GM. […]

Krennwurzn
Krennwurzn
2 Jahre zuvor

Ein Ösi könnte Schuld sein … und es ist nicht die Krennwurzn!!

(aber ein ehemaliger Vereinskollege)

schwichtd
schwichtd
2 Jahre zuvor

Uff… harter Tobak… ich hoffe, es klärt sich alles zu Gunsten von Elisabeth Pähtz. Im aller schlimmsten Fall kann man auch mal Fünfe gerade sein lassen.