Schachfestival Biel: Marathonmann Keymer strauchelt auf der Zielgeraden

Vincent Keymer hat beim Bieler Schachfestival den Sieg in der Gesamtwertung und im klassischen GM-Turnier knapp verpasst. Nach einer starken Vorstellung in Führung liegend, hätte ihm am Mittwoch in der letzten Runde gegen den Inder Arjun Erigaisi ein Schwarzremis zum Gesamtsieg gereicht. Doch es sollte nicht sein. Im Duell der beiden jüngsten Teilnehmer unterlag Keymer nach 87 Zügen und mehr als sechs Stunden. Ebenfalls stark in Biel: Marius Deuer (15), der, gerade erst IM geworden, im Open an seiner ersten Großmeisternorm schnupperte.

Turniersieger Quang Liem Le gilt als solide und schwer zu schlagen. Gegen Vincent Keymer half ihm das nicht.

Dass mit Keymer zu rechnen sein würde, offenbarte sich in der Drittrundenpartie gegen denjenigen, der Keymer am Ende noch überholen sollte. Vorjahressieger Quang Liem Le (Elo 2728), der zuletzt in erster Linie als Coach gearbeitet hat und seit Biel 2022 kein Turnier am Brett gespielt hatte, war trotz fehlender Praxis mit zwei vollen Punkten gestartet. Gegen Vincent Keymer ereilte ihn eine Null.

Und gleich den nächsten 2730er hinterher: Nach dem Drittrundensieg über Quang Liem Le triumphierte Keymer in der vierten Runde über Yu Yangyi, die chinesische Nummer zwei.

In der vierten Runde legte Keymer nach: Mir seinem Sieg über die chinesische Nummer zwei Yu Yangyi (Elo 2735), nominell die Nummer eins in Biel, setzte sich der 18-Jährige an die Spitze des Feldes. Auch in der Weltrangliste (live) machte er einen zumindest symbolisch großen Schritt zurück in den elitären Zirkel der 2700er.

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Bis dahin hatte es ausgesehen, als würden Vincent Keymer und der knapp hinter ihm platzierte 960-Spezialist David Navara den Turniersieg unter sich ausmachen. In der fünften von sieben Runden trafen diese beiden aufeinander – und Keymer verpasste die Chance, sich abzusetzen. Die trickreiche, versteckte Wendung, die ihm einen vollen Punkt hätte bescheren können, blieb hinter den Kulissen. Navara und Keymer trennten sich unentschieden und verbuchten jeweils 1,5 Zähler fürs Klassement.

30…f6 gewinnt? Ja, aber wer das zieht, muss vorhersehen, dass 31.Sf5+ Kh8 32.Dh6 gxf5 33.Te7 nicht die Partie für Weiß entscheidet, weil Schwarz an dieser Stelle eine versteckte Pointe in petto hat.

Quang Liem Le zeigte derweil, dass er nicht gewillt war, sich abhängen zu lassen. Mit Schwarz gelang ihm ein überzeugender Sieg über Yu Yangyi. Dank der Vier-Punkte-Regelung lag er nun wieder knapp vor Keymer und Navara – aber nur für einen Tag. In der Vorschlussrunde war es wiederum Keymer, der gegen Biel-Stammgast Bassem Amin (erste Teilnahme vor 22 Jahren) schon die Eröffnung gewann, sich nach Wacklern im Mittelspiel durch ein langwieriges Endspiel kämpfen musste, aber letztlich triumphierte.

Unschuldiger als diese kann eine Eröffnung kaum aussehen, trotzdem überspielte Keymer Amin ohne Mühe. Dann allerdings wurde es doch nochmal knapp.

Vor der letzten Runde kamen drei Spieler für den Turniersieg infrage: Tabellenführer Vincent Keymer sowie die Verfolger Quang Liem Le und David Navara, die aufeinandertrafen. Für Keymer standen bei seiner vierten Teilnahme am Bieler Großmeister-Triathlon die Chancen auf den Turniersieg besser denn je: Mit einem Sieg wäre er in jedem Fall Erster, und ein Remis würde reichen, wenn es zwischen den Verfolgern keinen Sieger gibt.

Umso bitterer der Ausgang des Turniers, obwohl Keymer mit dem zweiten Platz seine beste Biel-Platzierung jemals erreichte. Aber er war eben auf diesen zweiten Platz zurückgefallen, nachdem ihm am letzten Tag seine erste Niederlage in den klassischen Partien ereilt hatte.

Die Partie gegen Erigaisi war lange offen gewesen, dann geriet Keymer ausgangs des Mittelspiels in eine positionelle Massage, die Erigaisi ohne nachzulassen bis tief ins Turmendspiel fortsetzte. Vom Sieg des Inders profitierte Quang Liem Le, der nach 37 Zügen gegen Navara remisiert hatte.

Der Endstand des Großmeister-Triathlons. | via bielchessfestival.ch

Für eine ganze Reihe der Teilnehmer in Biel dreht sich der Schachzirkus sogleich weiter. Sie fliegen jetzt nach Baku/Aserbaidschan, wo am Sonntag der World Cup beginnt. Vincent Keymer hat als Elo-Gesetzter in der ersten Runde des Mammut-Wettbewerbs frei. Er wird am Mittwoch, 2. August, sein erstes Match gegen den Sieger der Erstrundenpaarung zwischen Daniel Dardha (Belgien) und Wie Ming Kevin Goh (Singapur) bestreiten.

Gegen einen 16-jährigen GM aus Indien? Was anderen Angst machen würde, ist für Marius Deuer eine Gelegenheit, voll zu punkten.

Beendet ist das Schachfestival in Biel noch nicht. Am heutigen Donnerstag wird die zehnte und letzte Runde des Meister-Opens gespielt – an der Marius Deuer nicht mehr teilnimmt. Trotzdem blickt der gerade 15-jährige Kaderspieler auf einen überaus erfolgreichen Wettbewerb zurück. 5,5 Punkte aus 9 Partien (darunter 5 gegen Großmeister) bescheren ihm ein Eloplus von gut 45 Punkten. In der nächsten Eloliste wird Deuer etwa bei 2420 rangieren.

Gegen einen 18-jährigen GM aus Indien? Was anderen Angst machen würde, ist für Marius Deuer eine Gelegenheit, ordentlich Öl ins Feuer zu gießen und ein wildes Handgemenge anzuzetteln.

Überschattet wird das Ende des Bieler Schachfestivals vom Tode Beat Zügers, der am Mittwoch bekannt wurde. Der 1962 geborene Züger war als starker Spieler, auch als Kolumnist des Tagesanzeigers eine Institution des Schweizer Schachs. 179-mal hat Beat Züger zwischen 1980 und 2013 bei Schacholympiaden und Mitropa-Cups als Nationalspieler die Schweiz vertreten.

Beat Züger. | via swisschess.ch

Sein Ziel, Großmeister zu werden, sollte ihm verwehrt bleiben. Zwar erfüllte er die drei notwendigen GM-Normen, schaffte es aber nie, seine Elozahl auf 2500 zu heben. In Deutschland hat Beat Züger lange für die SG Speyer-Schwegenheim gespielt.

Nach Angaben des Schweizer Schachverbands ist Züger der einzige Schachmeister, dem es gelungen ist, in der Schweiz alle nationalen Titel zu gewinnen: 1978 wurde er Schweizer Juniorenmeister, 1989 Schweizer Meister, 1978 Coupe-Suisse-Sieger, 1978, 1987 (jeweils mit Zürich) und 1991 (mit Luzern) Schweizer Mannschaftsmeister, 1995 (mit Grischuna) Team-Cup-Sieger. 1983 gewann er zudem das Jungmeisterturnier in Zug und 1987 das Credit Suisse World Mixed in Biel.

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Thomas Richter
Thomas Richter
1 Jahr zuvor

Der Besserwisser, Faktenchecker oder Scharfrichter: Keymer hatte schon einmal eine höhere Live-Rating: auf dem Weg zu erstmals offiziell 2700 im Oktober 2022 begann er in der polnischen Liga mit 6.5/7 (Live-Rating 2712,8) und verlor dann die beiden letzten Partien. Übrig blieb 2700,3 auf 2700 abgerundet.
In Biel hätten (bei gleicher Gewichtung der drei Bedenkzeiten) nach zuvor 5 Punkten im Schnellschach und 5 Punkten im Blitzschach 5 Punkte mit klassischer Bedenkzeit für den Turniersieg gereicht. Blitz war dabei doppelrundig, und 5/14 ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis.

Ludger Keitlinghaus
Ludger Keitlinghaus
1 Jahr zuvor

Unangenehme Partie :

-> https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/biel-grandmaster-triathlon-2023/28/1/3

No Problemo .


R.I.P.
Beat Züger.

MFG
LK