Die Schlussphase der letzten Runde des Stauferopens läuft. Artur Jussupow kommt von seinem Streifzug durch den Turniersaal zurück und nimmt neben dem Fragensteller Platz auf dem Sofa in einer abgeschiedenen Ecke im Foyer vor dem Turniersaal. Mit seiner Frau Nadja ist Jussupow jeden Tag im Schwäbisch Gmünder Stadtgarten präsent, um beim Open mitspielende Schüler ihrer im bayrischen Weißenhorn gelegenen Jussupow-Schachschule zu betreuen.
Die Schachlegende überfliegt die ihm vom Interviewer vorgelegte Seite 156 (Kapitelüberschrift „Sturm auf dem Schachbrett“) des Buchs „Theorie und Praxis der Schachpartie“, die er natürlich längst kennt. Das Buch stammt vom früheren Trainer und späteren Schachschul-Partner Mark Dworetski (1947-2016). Auf Seite 156 beschreibt Dworetski den Weg, den Artur als aufstrebender Jugendlicher zur Vervollkommnung seines Spielstils zurücklegen musste:
„In jungen Jahren war Artur Jussupow taktisch schwach und spielte daher in strengem positionellen Stil unter Vermeidung kombinatorischer Verwicklungen. Er verstand natürlich, dass man kein großer Schachspieler werden könne, ohne das gesamte schachliche Arsenal zu beherrschen und unternahm deshalb ernsthafte Anstrengungen, sein Spiel harmonischer zu gestalten….“
Dies war meine Chance, den heutigen Schachlehrer und damaligen Schüler persönlich dazu zu befragen.
Herr Jussupow, ich habe diese Buch schon sehr lange, das Kapitel „Sturm auf dem Schachbrett“ hat mich schon immer interessiert. Können Sie darüber erzählen, wie es war, als Sie damals Ihren Spielstil umgestellt haben?
Ich habe danach gestrebt, universell zu spielen, das bedeutet, nach Stellungsbedarf spielen zu können. Wenn die Stellung verlangt, ein Endspiel anzustreben, dann wollte ich in ein Endspiel gehen, oder wenn aktiv spielen oder angreifen gefragt ist, dann muss ich angreifen. So habe ich das als richtig empfunden. Ich hatte mir Boris Spasski zum Vorbild genommen. Diesen konnte ich in Moskau während der sowjetischen Einzelmeisterschaft 1973 beobachten. Spasski hat das Turnier mit einem sehr guten Ergebnis gewonnen. Wir wissen ja, dass er zuvor 1972 den Weltmeisterschaftskampf gegen Bobby Fischer verloren hatte. Ein Jahr danach hat er dann die sowjetische Meisterschaft gewonnen – mit einem Punkt Vorsprung vor Karpow, Stein, Tal, Smyslow und anderen großen Spielern. Er hat einfach das ganze Feld überrollt, mit eigentlich sehr, sehr klugem Spiel. Mit technischem Spiel, er ist auch oft ins Endspiel gegangen.
Man hatte Spasski bis dahin mehr als Mittelspiel-Genie geschätzt, in seiner besten Zeit konnte er im Mittelspiel jeden überspielen, als Angriffsspieler auch. Aber er war ein universeller Spieler, der im Schach alles machen konnte. Das hat er bei dieser Meisterschaft bewiesen. Es beindruckte mich, wie er alle niedergerungen hat. Ich habe seine Partien angesehen, die dann in gewissem Sinne und für meine Begriffe ideal waren. Das machen zu können, was die Stellung verlangt – wenn notwendig, in Endspiele zu gehen, wenn notwendig, dann anzugreifen und zu opfern. Letzteres entsprach überhaupt nicht meinem Naturell. Das musste ich dann lernen. Und ich habe mich wirklich sehr, sehr viel damit beschäftigt. Ein anderer ein Teil meines Programms war, dass wir auch viele Partien von Michail Tal angeschaut haben. Ich wollte später natürlich nicht so wie Tal spielen. Aber ab und zu dann, in Ausnahmesituationen, konnte ich das auch so machen. Oder so ähnlich, natürlich nicht wirklich genauso. Keiner kann so spielen wie Tal (lacht).
Mark Dworetski schreibt, Sie hätten 1979 bei der Juniorenweltmeisterschaft insgesamt 15 Bauern geopfert. Dworetski merkt an, „das sportliche Ergebnis war mit 7,5 aus 13 verständlicherweise nicht sehr gut, dafür sammelte er jedoch nützliche Erfahrungen“. Wie haben Sie es geschafft, trotz schlechterer Turnierergebnisse die Motivation nicht zu verlieren und den neuen aggressiven Stil weiter durchzuziehen?
Ja, das Ergebnis in diesem Turnier war nicht so gut. Das haben wir bewusst in Kauf genommen. Na ja, nicht ganz bewusst, ich habe natürlich schon versucht, mehr Punkte zu kriegen. Aber ich habe vielleicht ein bisschen übertrieben. Es passiert bei jüngeren Spielern relativ häufig, dass sie etwas gelernt haben und dann versuchen, das sofort zu benutzen. Und vielleicht übertreiben sie dann ein bisschen in diese Richtung. Aber es ist dann wie bei einem Pendel, das ausschlägt. Dann kommt der richtige Schritt, dass man nicht mehr übertreibt, nicht mehr zu weit geht. Man findet sich, dann hat man diesen Möglichkeiten, diese Erfahrung. Und dann macht man das besser. Das ist dann eine Mitte.
Dieses Thema interessiert mich (und bestimmt auch andere Spieler) deshalb so besonders, weil ich (natürlich einige Stufen unterhalb Ihrer Fähigkeiten) speziell bei diesem Stauferopen im B-Turnier auch versucht habe, mehr auf Angriff zu spielen und weil ich grundsätzlich taktisch stärker werden will und nicht immer alles möglichst strategisch lösen will. Aber das ist so mühsam…
Es ist möglich. Aber man muss natürlich auch viel trainieren in diese Richtung, auch die Partien von großen Angriffsspielern studieren, das zu sehen und dann sich auch Zeit lassen, ein bisschen experimentieren. Dass es nicht sofort klappt, das ist auch normal.
Gemeinsam mit Ihrer Frau sind Sie jeden Tag beim Stauferopen. Was tun Sie hier? Wie gefällt es Ihnen?
Wir haben mit unserer Jussupow-Schachschule neun Schüler hier. Die meisten spielen in der B-Gruppe. Das Stauferopen ist für uns sehr wichtig, auch weil es in zwei Gruppen geteilt ist. Jeder kann das seinen Fähigkeiten entsprechend gut nutzen. Ich habe sehr, sehr viele junge Spieler hier, die noch viel lernen, aber einige haben schon einen positiven Score. Für uns ist dies ein sehr wichtiger Teil der Arbeit. Wir versuchen, die Begleitung zu Turnieren häufiger zu machen. Auf jeden Fall bei großen Turnieren, bei deutschen Meisterschaften, bei solchen bedeutenden Turnieren sind wir dabei. Wir unterstützen unsere Schüler, Partien zu analysieren, Fehler zu sehen und vielleicht diese Fehler für die Zukunft zu korrigieren. Ich denke, man lernt das auch am Besten in solchen Situationen, bei Partieanalysen.
Für uns Trainer besteht hier auch die Möglichkeit zu beobachten: Wie benimmt mein Schüler sich während der Partie? Diese Sachen sind wichtig, das kann man nicht im Training feststellen. Wenn ich die Wettkampfsituation sehe, bemerke ich womöglich Dinge, die ich vorher im Training nicht bemerkt habe. Das ist wirklich eine wichtige Erfahrung.
Wir sind hier in Schwäbisch Gmünd sehr glücklich mit dem Ambiente, das muss man sagen. Es ist eines der besten Turniere, man hat Platz zum Analysieren. Man hat überhaupt Platz, wodurch man sich sehr wohl hier fühlt. Die Räumlichkeiten sind schön, es ist schön grün hier drumherum, einfach viel Luft. Da fühlt man sich natürlich schon grandios. Ich finde, es ist wirklich ein tolles Turnier, uns gefällt es. Ich sehe es auch mit Freude, dass auch einige ehemalige Schüler von uns hier mitspielen (lacht). Bei deren Partien schaue ich dann natürlich auch mal rein.
Können Sie ein paar Schüler der Jussupow-Schachschule nennen, die hier mitspielen?
Es sind Erwachsene, aber auch Kinder hier. Zum Beispiel Alfred Nemitz, der jetzt in der letzten Runde gerade gegen einen Internationalen Meister spielt. Er ist noch U-12-Spieler, aber ist wirklich gut. Letztes Jahr hat er seinen ersten Sieg gegen einen Großmeister geschafft – in einer Partie, aber immerhin. Wer auch sehr gut spielt ist Yunqi Li in der B-Gruppe – er hat im Turnier ebenfalls einen positiven Score abgesichert. Das ist schon wirklich etwas Gutes. (Anm. d. Autors: Yunqi Li ist zweimaliger württembergischer Meister in der U8).
Es verwunderte mich, dass die Turnierveranstalter Ihre tägliche Anwesenheit in Schwäbisch Gmünder nicht „verwertet“ haben. Wurden Sie gar nicht gefragt, ob Sie zum Beispiel mal einen Eröffnungszug machen wollen – oder wollten Sie selber das nicht?
Nein, nein. Aber ich habe eigene gute Traditionen, ich habe hier einmal auch selber mitgespielt. Wir kennen uns auch sehr gut, wir begrüßen uns natürlich mit den Veranstaltern.
Aber es wäre doch eine tolle Werbung gewesen, wenn sie mal bei einem Rundebeginn vorgestellt worden wären. Viele junge Spieler hier wissen möglicherweise gar nicht, was für eine Schachlegende hier jeden Tag im Vorraum vom Turniersaal zugegen ist.
Das macht nichts.
Sie sind wirklich sehr bescheiden.
Nein, so bescheiden bin ich gar nicht (lacht). Aber es muss nicht sein. Wir sind glücklich hier. Das ist sogar in unserem Interesse, weil wir ja auch mit unserer Schule beschäftigt sind. Es gibt hier genug Arbeit für uns.
Ein anderer ehemaliger Schüler von Ihnen, Vincent Keymer hat sich super entwickelt und scheint jetzt ganz oben angekommen zu sein. War das zu jener Zeit, als Sie mit ihm trainierten schon absehbar?
Ich glaube, das war im Prinzip schon relativ früh absehbar – sogar bereits bevor ich angefangen habe, mit ihm zu arbeiten. Es gibt solche Talente. Aber ich glaube, auf einen zweiten Keymer müssen wir noch lange warten (lacht). Aber er ist ein gutes Beispiel für einen jüngeren Spieler, der sich sehr gut entwickelt hat. Ich finde das toll. Er arbeitet jetzt mit Peter Leko. Ich bin wirklich sehr, sehr glücklich, dass er ausgerechnet mit Peter Leko arbeitet, weil ich mit Peter ja auch lange Zeit gearbeitet hatte. Und so bin ich sicher, dass Peter der Richtige für Vincent ist. Er kann ihm viel beibringen und viel helfen und versteht ihn sehr gut. Ich glaube, das passt wunderbar und man sieht das auch am Ergebnis.
Wie alt war Vincent ungefähr, als Sie mit ihm gearbeitet haben?
Zwölf, dreizehn Jahre – etwa in diesem Bereich.
Gab es etwas Spezielles, an dem sie damals schon erkannt haben, dass er herausragt?
Ich würde sagen (überlegt kurz) schnelles Denken. Wahrscheinlich mit einer anderen Geschwindigkeit als „nur“ normale Spieler. So war es bei ihm. Und Liebe zum Schach. Die ist auch sehr wichtig. Er ist natürlich auch fleißig. Er hat im Prinzip alle Voraussetzungen. Er hat die Gabe und er arbeitet viel. Und er hat auch Charakter. Er hat wirklich die Chance, dieser komplette Spieler zu werden – mit allen Elementen, die dazu notwendig sind. An der Frage, ob er wirklich top wird, daran habe ich keinen Zweifel, dass er es sagen wir in die Top zehn in der Welt schafft – keinen Zweifel! Er kann auch weiter gehen. Ich habe es zum Beispiel auch geschafft, die Nummer drei der Welt irgendwann für kurze Zeit vielleicht zu besetzen (lacht). Und Vincent hat mehr Talent, er auch die Chance, noch weiter zu gehen. Dann würden wir uns alle freuen. Es ist natürlich unglaublich schwierig, auf diesem höheren Niveau dann bei Wettkämpfen gegen wirkliche Titanen. Aber er ist schon nah dran.
Erst kürzlich wurde er Vize-Weltmeister im Schnellschach…
Genau. Okay, aber das würde ich nicht überbewerten. Es ist wichtig, dass er sich stabil zeigt. Ein etwas glückliches Turnier kann dazu führen. Aber er ist gut. Wie gesagt, er denkt auch schnell, diese schnellen Turniere liegen ihm dann auch. Auch Blitzturniere, das passt, das unterstreicht noch ein bisschen seine starke Seite.
Sie erwähnten gerade, sie waren die Nummer drei der Welt. Wie empfinden Sie es als dreimaliger WM-Halbfinalist, dass der WM-Titel für den jetzigen Inhaber Magnus Carlsen eine Bürde geworden ist, dass er nicht mehr Weltmeister sein mag?
Das mit der Bürde kann ich natürlich nicht beurteilen. Weil ich war nie Weltmeister (lacht). Persönlich finde ich es natürlich sehr schade, dass er zu so einer Entscheidung gekommen ist. Ich verstehe das nicht ganz. Aber okay, wenn er es so fühlt… Vielleicht kommt er ja auch zurück. Er ist ein fantastischer Spieler. Möglicherweise braucht er ein bisschen Pause, neue Motivation. Ich würde es gut finden, wenn er ins Weltmeisterrennen nochmals zurückkehrt.
So wie Rocky Balboa…
Ja, genau (lacht). Es ist natürlich schwierig, immer die Topleistung bringen zu müssen, die Nummer eins zu sein. Man braucht Motivation, die Vorbereitung auf eine Weltmeisterschaft ist mit sehr viel Arbeit verbunden. Aber vielleicht kommt er zurück, er ist noch jung.
Können Sie im Fall der Carlsen-Niemann-Affäre die Handlungen des Weltmeisters nachvollziehen?
Carlsen spricht ein großes Problem an. Ich bin nicht sicher, ob er in diesem konkreten Fall recht hat. Ich denke, er könnte vielleicht etwas vorsichtiger handeln, insbesondere als Weltmeister, sein Wort hat noch größeres Gewicht. Und es gibt natürlich auch dieses Prinzip: Wenn man keine Beweise hat, sollte man mit Äußerungen vorsichtig sein.
Seine Handlungsweise startete Magnus Carlsen offensichtlich aus der Emotion heraus, also nach seiner Niederlage gegen Niemann beim Sinquefield-Cup. Können Sie das nicht nachempfinden?
Ich möchte es etwas größer sehen. Cheating ist wirklich eine Plage. Es kommt auch mehr vom Onlineschach. Jeder weiß, was dort los ist. Wenn man ein bisschen spielt und plötzlich sieht „oh, ich habe jetzt keine Chance“ – das ist dann natürlich kein tolles Gefühl. Er spricht schon ein wichtiges Thema an. Es gibt Gremien, die das bewerten, untersuchen und das muss auch so sein. Ich habe großes Vertrauen in die Ethikkommission der FIDE. Allerdings ist dieser Fall sehr schwierig, die Situation sehr verfahren. Das muss beurteilt werden. Ich will kein Richter sein bei dieser Sache, denn ich fühle mich nicht kompetent genug, solche schwierigen Sachen zu lösen.
Carlsen sollte seine Sachen diesen Gremien konkret vortragen oder es unterlassen. Damit wäre er gut beraten. Denn er ist kein Experte, kann auch Fehler machen. Und wenn er einen Fehler gemacht hat, dann hat er einem anderen Mann geschadet. Deswegen: lieber vorsichtiger sein. Ich weiß, dass der Weltverband schon sehr viel macht in Richtung Cheating-Bekämpfung.
Selbst hier in Schwäbisch Gmünd gibt es dieses Jahr stichprobenweise elektronische Cheating-Kontrollen.
Richtig, richtig. Aber wir müssen alle ein bisschen mehr tun. Auch die Schach-Presse, die Schachspieler selber – alle müssen ein bisschen mehr tun im Sinne von Fairplay, im Sinne, wie wir uns selber benehmen. Manchmal gibt es Verstöße gegen Regeln, die nur ganz klein sind, zum Beispiel, wenn Spieler reden während der Partie – über Fußball, über etwas anderes, ich meine nicht über Schach. Aber auch das ist ein Verstoß, man stört dann die anderen.
Sie meinen, allein, weil man als Gegner darüber nachzudenken beginnt, ob jetzt betrogen wird. Denn man weiß ja nicht, dass zum Beispiel nur über Fußball geredet wird.
Genau! Ich finde überhaupt, das Thema Fairplay sehr wichtig, das hat sich ja auch die deutsche Schachjugend auf die Fahnen geschrieben. Und ich unterstütze alle Bemühungen in diese Richtung. Wir versuchen auch an unserer Schule, das zu vermitteln – nicht immer erfolgreich natürlich. Aber es ist wichtig, es ist unglaublich wichtig. Ich hätte nur eine leise Kritik an der Schachjugend in dem Sinne, dass sie sehr gute Prinzipien haben – sie haben nur eine Kleinigkeit vergessen: Das Fairplay beginnt eigentlich nicht mit Kindern, sondern mit Erwachsenen und mit Funktionären und Schiedsrichtern – mit allen – wir alle müssen uns bemühen, mit einander respektvoll und fair umzugehen und mit gutem Beispiel vorauszugehen. Erwachsene haben noch mehr Verantwortung und sind dann oft daran schuld, dass die Kinder etwas falsch machen.
Halten Sie es für möglich, dass das durch die simplen Betrugsmöglichkeiten, die heutzutage jedem Betrugswilligen theoretisch zur Verfügung stehen, inzwischen das Ende des Nahschachs auf Sicht eingeläutet ist? Ich meine, so wie damals die starken Computer für das Ende des ausschließlich zwischen Menschen gespielte Fernschachs gesorgt haben?
Wir sind an einem gefährlichen Punkt. Aber das waren wir vor zehn, fünfzehn Jahren auch schon. Ich erinnere an den Skandal bei der Schachweltmeisterschaft Topalow-Kramnik 2006 und diese schwierigen Beziehungen zwischen beiden dann danach.
Diese Paranoia-Atmosphäre…
Auch das, auch das. Das sind sehr gefährliche Tendenzen. Die gab es schon damals. Vielleicht haben wir da schon was verschlafen. Es ist schwierig. Wichtig, dass wir jetzt trotzdem jetzt alle zusammen dagegen kämpfen. Vielleicht ist auch entscheidend, was auf Vereinsebene passiert, vielleicht entscheidet sich ja dort auch alles, dass wir sagen „nein – sowas wollen wir gar nicht sehen“, dass dieses Verständnis auf Vereinsebene weitervermittelt wird: Betrug hat keinen Platz im Schach!
Rubinstein, mit dem sie gemeinsamer Namensgeber eines Eröffnungssystems sind (Jussupow-Rubinstein System – 1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3.e3) erlernte die Schachregeln erst mit 14 und erreichte dennoch eine hohe Meisterschaft. Kaum mehr vorstellbar, dass heute ein schachlicher Späteinsteiger noch ganz nach oben kommt. Was sagen Sie dazu, dass gerade so viele immer noch jüngere starke Spieler auf der Schachbühne von sich reden machen?
Das ist die Entwicklung. Und das kommt durch die Möglichkeiten, die Computer bieten, der Zugang zu Informationen, man kann jetzt alles viel schneller lernen. Ich kann das nicht wirklich richtig begründen und beurteilen, mir fehlen dazu spezifische Kenntnisse. Aber es ändert sich gerade vieles, oder es hat sich schon sehr stark verändert. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass die Konkurrenz im Schach jetzt viel größer geworden ist. Wir haben sehr, sehr viele Spieler, deswegen wird es viel schwieriger für ältere Spieler, noch nach ganz oben zu kommen. Als Sportler sind die besten Zeiten begrenzt. Einige vermuten zum, Beispiel, dass es nach 25 Jahren eher bergab als bergauf geht. Wobei es natürlich immer auch Ausnahmen gibt, Spieler, die sich länger oben halten.
Zum Beispiel Kortschnoi?
Es gibt einige, die können sich „lahm“ entwickeln, es gibt solche Ausnahmen. Motivation, Kraft, Energie, das alles lässt mit dem Älterwerden ein bisschen nach. Wenn man das durch größere Erfahrung, ein größeres Verständnis kompensiert, dann ist es gut. Wenn man es nicht schafft, das vollständig zu kompensieren, dann geht man bergab. Das sind so die Schwierigkeiten. Viele entwickeln sich jetzt so ähnlich wie Vincent, es gibt in der Welt fünf, sechs solche Spieler, die sich sehr, sehr schnell entwickeln. Die Zukunft gehört natürlich diesen Leuten. Firouzja, Keymer, Praggnanandhaa und vielleicht Gukesh. Die werden es untereinander lösen, wer der Beste dieser zukünftigen Generation ist (lacht).
Wie immer ein klasse Artikel von Martin Hahn. Sehr informativ durch die richtigen Fragestellungen und natürlich auch die konkreten Antworten von Artur Jussupov. Irgendwie aber schade, dass man keine Chancen mehr hat, im Schach ein “Großer” zu werden, wenn man mit 10 Jahren noch keinen Weltklassegroßmeister als Lehrer hat. Ich denke da an Spieler wie Unzicker, Darga, Pfleger, Schmid, Hecht, Hübner u.a., die ohne Datenbanken und Unterstützung von Supergroßmeistern auch in die erweiterte Weltspitze vorgedrungen sind.
danke danke danke!
Vielen Dank für dieses Interview, Herr Hahn, auch den hiesigen Inhalteverantwortlichen für die Publikation! Sehr nett, Artur Jussupow ist sicherlich ein Bär, ein Riese des Schachspiels, besonders mochte ich auch seinen (schachlichen) Stil, seine Handhabung der Holländischen Eröffnung und der Französischen Verteidigung zum Beispiel (wobei beide Verteidigungssysteme nicht gänzlich unproblematisch sind, fürwahr).Zum Cheating, also so ist es sehr problematisch, sicherlich finden Turnierausrichter hier bald bessere Wege der Prävention, der Prohibition oder der Ausmerzung, auch ist das Strafmaß von Belang. (Auch die sog. Cheating-Paranoia ist m.E. ein sehr ernst zu nehmendes Problem.) Bei Vincent Keymer (‘schnelles Denken’) macht es mir Freude… Weiterlesen »