Gesinnungswandel beim Schachbund: Profis belohnen statt vergraulen

Profisport versus Gemeinnützigkeit, ein traditionelles Spannungsfeld im deutschen Schach. Zutage tritt es, wenn ein Deutscher besonders gut Schach spielt, so gut, dass sich ihm oder ihr die Perspektive Berufsschachspieler eröffnet – eine Perspektive, die zu fördern Schachfunktionäre in aller Regel nicht gutheißen. Elisabeth Pähtz hat in diesem Spannungsfeld manchen Konflikt ausgefochten, Arkadij Naiditsch, Jan Gustafsson, Georg Meier auch.

Zuletzt hat Vincent Keymer den Schachbund für seine amateurhafte Attitüde kritisiert. Profischach sei in Deutschland nicht vorgesehen, entsprechend werde es beim Verband gefördert, sagte Keymer im Rahmen der zahlreichen Interviews, die er vor Beginn der Grand-Prix-Serie gegeben hat. Nun zeigt zum ersten Mal Wirkung, was ein Schachmeister sagt. Keymers Worte sind offenbar angekommen.

“Profischach ist in Deutschland nicht vorgesehen”, hat Vincent Keymer vor Beginn der Grand-Prix-Serie angemerkt. Seine Worte haben Wirkung gezeigt. Jetzt will der Schachbund erstmals in seiner Geschichte herausragende Talente unterstützen, sollten sie auf die Profi-Karte setzen. | Foto: FIDE

Klammheimlich könnte es jetzt im deutschen Schach zu einem Kulturwandel kommen; es könnte sich die Sichtweise durchsetzen, dass das Schach bis in den kleinsten Dorfverein von Vorzeigefiguren des Sports profitiert, und dass darum solche Vorzeigefiguren gefördert werden sollten. Es könnte dazu kommen, dass der Schachbund (angehende) Profispieler unterstützt, anstatt sie so lange zu frustrieren, bis sie nach Aserbaidschan, Uruguay oder in einen anderen Beruf flüchten. Es könnte dazu kommen, dass der Schachbund seine herausragenden Talente für den Mut, es als Profi zu versuchen, belohnt, dass er einen Anreiz setzt, Schach als berufliche Option zu sehen, indem er es den Spielern und Spielerinnen leichter macht, diesen Weg zu gehen.

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Voraussetzung ist, dass der Hauptausschuss im Mai einen entsprechenden Antrag des Präsidiums annimmt. Wenn das passiert, dann wird Keymer, dessen Sponsorensuche offenbar andauert, als erster Spieler der deutschen Schachgeschichte in den Genuss einer Sonderförderung kommen, die ihm den weiteren sportlichen Aufstieg erleichtern soll. Das hat Ullrich Krause in einer TV-ChessBase-Sendung verkündet. Um wieviel Geld es sich in welchem Zeitraum handelt, sagte Krause nicht.

Paul Meyer-Dunker hat jetzt im Schachgeflüster-Podcast mitgeteilt, es handele sich um einen signifikanten fünfstelligen Betrag pro Jahr, etwa die Hälfte der Kosten eines ersten Profijahres. Keymer selbst hat diese Kosten auf etwa 60.000 Euro beziffert, insofern dürfte die vom Präsidium vorgesehene Förderung bei etwa 30.000 Euro liegen. 

Die Fördermittel des Innenministeriums seien zuletzt stark gestiegen, „das gibt uns die Möglichkeit, mehr zu machen“, sagt DSB-Präsident Krause. Gerade im Hinblick auf Keymer, „das größte Talent seit Robert Hübner“, gäben diese Mittel dem Schachbund die Möglichkeit, „mehr zu machen“.

Zusammen mit den Keymers habe der DSB einen Plan aufgestellt, dem der Hauptausschuss zustimmen muss. „Ich bin sehr sicher, dass an der Stelle eine eindeutige Zustimmung kommt, wir mehr Geld in den Leistungssport investieren dürfen und insbesondere mehr in die Förderung von Vincent Keymer.“ Jeder in Keymer investierte Euro sei gut angelegt, sollte es Keymer „nach ganz oben“ schaffen. „Das wäre fantastisch für das deutsche Schach.“

Mit Neid innerhalb des Kaders rechnet Krause nicht. Trotz der Sonderförderung für das Ausnahmetalent Keymer würden alle Spieler stärker gefördert als bislang. Niemand habe sich beschwert, dass Keymer mehr gefördert wird als andere. „Die anderen Kaderspieler akzeptieren, dass er das größere Talent ist.“

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Gerhard Schreiber
Gerhard Schreiber
2 Jahre zuvor

Ich finde diese Entscheidung grundsätzlich richtig vor dem Hintergrund dass Vincent ein herausragendes Talent ist auch nach internationalen Maßstäben. Allerdings ist Deutschland ein Land, indem der Neidfaktor mMn besonders hoch ist. Was mir immer dann aufgefallen ist, wenn ich für längere Zeit im Ausland war. Ich denke, der Verband sollte vor allem sein Beziehungsnetzwerk einsetzen, um den Spielern zB bei der Sponsorensuche behilflich zu sein. Es gibt im Veband sicher etliche Personen, die Verbindungen persönlicher oder geschäftlicher Art zu potentiellen Sponsoren haben.

Schachus
Schachus
2 Jahre zuvor

was ich nicht ganz verstehe: Mehr Förderung ist natürlich immer schön, aber aktuell ist Vincent doch so erfolgreich, dass er ganz ohne Sponsoren alleine mit Prisgelder und Antrittsgeldern schon einiges einnimmt: Im Grand Prix waren es 5000€(für Platz 4 in der Gruppe)+9000€ (für Platz 2 in der Gruppe), bei der Champions Chess Tour hat er 7500$ in seinem ersten Event gewonnen, würde mich nicht wundern, wenn er wieder eingeladen wird. Bundesliga hat er 4 Partien gespielt, gab bestimmt auch etwas Gage, wenn auch weniger. Macht seit Jahresbeginn schon etwas mehr als 20000€ und das war ja grad mal ein gutes… Weiterlesen »

halbstark
halbstark
2 Jahre zuvor

Mal ganz wertfrei und nur aus Interesse gefragt: Woher soll das Geld kommen? Gibt es neue Sponsoren? Werden die Mitgliedsbeiträge erhöht? Wird an einem anderen Ende gespart?

Ich wünsche Vincent das Beste für seine Profikarriere, aber ob ich die Sonderförderung gut finde, hängt doch stark davon ab, woher das Geld genommen wird.

Last edited 2 Jahre zuvor by halbstark
Daniel G
Daniel G
2 Jahre zuvor

Eine Sonderbehandlung von Keymer fände ich schon fragwürdig. Ich finde, so etwas sollte auf den gesamten A-Kader der Nationalmannschaft (nicht den der Frauen) verteilt werden.

Peter Kalkowski
Peter Kalkowski
2 Jahre zuvor

“Sonderförderung” ist wohl eine Abwandlung von Sondervermögen also Schulden die zu Vermögen gemacht werden und die Mitglieder werden Bürge machen müssen.
Die Förderung über einen Verband sehe ich grundsätzlich kritisch.
Der Schachsport geht auch >Sonderwege< .