Der Fall Pähtz

Elisabeth Pähtz‘ Youtube-Kanal ist die Ambition anzusehen. Professionell gestaltete Titelbilder zieren die Videos, der Kanal ist mit ihrem Twitch-Account verknüpft. Trainingsserien zu verschiedenen Themen sind verfügbar, ebenso Aufzeichnungen von Blitzschach-Sessions, oft streamt sie live. Regelmäßig sind schachliche Hochkaräter zu Gast, allen voran die einstige WM-Finalistin Anna Muzychuk, eine langjährige Freundin der Deutschen. Gespielt wird auf chess.com.

Ende vergangener Woche änderte sich das Programm. Gespielt wurde auf Lichess, zu sehen war – niemand. Nicht professionell gestaltet sahen die neuen Livestreams und Videos aus, sondern hingerotzt: die Lichess-Oberfläche, sonst nichts, nicht einmal Ton. Wo sonst Pähtz wortreich durch die Partien führt, war Stille. Fast täglich erschien ein neues dieser Lichess-Videos, zuletzt am vergangenen Samstag.

An diesem Tag begann abends auf Lichess die Blitz Titled Arena. Aber schon zuvor war „ElisabethPaehtz85“ auf Lichess unterwegs gewesen, ohne Video. Unter anderem verlor sie eine grottig gespielte Blitzpartie gegen einen 16-Jährigen aus Bahrain – und schrieb ihm im Chat, „alle Araber“ würden mit Engine-Hilfe spielen. Ein Screenshot dieses verbalen Ausfalls sorgte für einige Aufregung in der arabischen Schachszene.

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Dann die „Blitz Titled Arena“, ein Turnier mit mehr als 600 Titelträgern, darunter reihenweise starke Großmeister. Anfangs spielte ElisabethPaehtz85 ganz vorne mit, schlug unter anderem die GM Fedoseev und Sarana, dann stellte sich die eine oder andere Niederlage ein.

Nach 17 Partien war Schluss. Lichess sperrte den Account und nullte alle gespielten Partien. Elisabeth Pähtz, eine Cheaterin?

Keine Engine nachzuweisen, trotzdem verdächtig

Während in Sozialen Medien, Foren und Kommentarspalten die Spekulation blühte, während Fachleute und Laien gleichermaßen die Partien auf Anzeichen von Cheating prüften, sagte Elisabeth Pähtz trotz mehrfacher Anfrage – nichts. Ebenso Lichess, ebenso der Deutsche Schachbund, für deren Mannschaft die deutsche Nummer eins ab Freitag bei der Online-Olympiade spielen soll.

Die 17 Partien der Titled Arena gaben selbsternannten und echten Cheating-Inspektoren manche Nuss zu knacken. Prüfungen von Fehlerquote und -häufigkeit ergaben kaum Auffälligkeiten, andererseits waren ihre neuesten Videos voll von solchen. Zum Beispiel der Mauszeiger, der nach jedem Zug auf der Stelle verharrt, als ob ElisabethPaehtz85 nach dem Zug stets die Hand von der Maus nähme. Oder Spielsituationen wie diese:

Die Engine empfiehlt …Sh7, ElisabethPaehtz85 zog …Sa7, was eine Figur einstellt. „Eine mitlaufende  Engine, die mit vertauschten Farben spielt und die Züge verkehrt herum ansagt?“, so das Orakel der Cheating-Analysten, die zumindest eine weitere dieser Spiegel-Pannen ans Tageslicht beförderten. Offensichtlich ging etwas nicht mit rechten Dingen zu, aber niemand konnte auf den Punkt bringen, was.

Ein eilig veröffentlichtes Rechtfertigungsvideo namens „Die Wahrheit“ verschwand im Lauf des Sonntags von Pähtz‘ Youtube-Kanal. Und Elisabeth Pähtz schwieg weiter. Weil seitens der FIDE und Lichess ein Verfahren laufe, dürfe sie nichts sagen, mehr ließ sie sich nicht entlocken.

Von der FIDE entlastet

Aber sie sprach umgehend mit Aghiad Mero, dem 16-Jährigen aus Bahrain, um sich zu entschuldigen. Ihm gegenüber deutete sie erstmals an, dass jemand anderes Zugriff auf ihren Lichess-Account und ihren Youtube-Kanal hatte.

Als dieser Kanal am vergangenen Wochenende sein Gesicht wechselte und Pähtz‘ Lichess-Account verdächtige Partien spielte, war Elisabeth Pähtz für ein berufliches Projekt in Paris. Die Prüfung von Lichess ergab aber, dass im fraglichen Zeitraum jemand aus Deutschland als „ElisabethPaehtz85“ eingeloggt war. „Ohne mein Wissen“, sagt Pähtz in ihrem Statement, das sie veröffentlichte, nachdem die Fairplay-Kommission der FIDE sie vom Betrugsvorwurf freigesprochen hatte.

Tatsächlich hat Elisabeth Pähtz einen Helfer, einen langjährigen Freund und selbsternannten Social-Media-Experten aus Berlin, der sie auf Youtube gut aussehen lässt. Er dürfte derjenige sein, der am Sonntag das gelöschte „Die Wahrheit“-Video hochgeladen, kritische Kommentare gelöscht und sich für aufmunternde Kommentare bedankt hat, so zum Beispiel:

Dafür, dass er es war, spricht, dass er zur selben Zeit auch unter eigenem Namen auf Youtube unterwegs war – um Aghiad Mero einzuschüchtern, der in seinem Kanal „Alle Araber cheaten“ dokumentierte und dafür eine Entschuldigung einforderte.

Anstatt in Paris anzurufen und zu sagen „Sorry, Elisabeth, wir haben Mist gebaut“, war das „Wahrheit“-Video in Kombination mit Drohungen gegen Aghiad Mero („Sie bringt dich vor Gericht“) der untaugliche Versuch zu retten, was nicht mehr zu retten war.

Gleichwohl ist nicht klar, in welchem Maß dieser langjährige Freund für den Bockmist in den Tagen davor verantwortlich ist, darum lassen wir ihn an dieser Stelle anonym. Er ist Teil eines verzweigten Schach-Freundeskreises, dem veritable Großmeister ebenso angehören wie gemeine Vereinsspieler. In Pähtz‘ Umfeld ist es kein Geheimnis, dass zuletzt mehrere Mitglieder dieser Gruppe auf ihre Accounts zugreifen konnten.

Erfolgsdruck auf Youtube

Und das führt zurück zu ihrer Stellungnahme und zum Passus „ohne mein Wissen“. Das ist womöglich nicht die ganze Wahrheit. Was während ihres Paris-Aufenthaltes auf ihren Accounts geschah, wusste sie nicht. Aber ihre Zugangsdaten kursierten allem Anschein nach schon Ende Juli. Ab dem 29. Juli haben andere ihren Lichess-Account benutzt und live auf Youtube gestreamt.

Wer ambitioniert Youtube betreibt und dort wachsen will, der setzt sich dem Druck aus, täglich neue Inhalte zu präsentieren. Neue Videos werden geguckt, Videos von gestern weniger und solche von vorgestern kaum noch. Elisabeth Pähtz‘ Youtube-Kanal wuchs nicht so schnell, wie sie sich das vorstellte, vielleicht auch nicht so schnell, wie es der Kanal angesichts seiner ausgesuchten Inhalte verdient hätte. Die Konkurrenz ist groß mittlerweile.

Ob ihr besagter Social-Media-Experte vorgeschlagen hat, mit weniger aufwändig, aber schnell produzierten Livestreams in Kombination mit einem Gewinnspiel („Schlag‘ mich und gewinne einen meiner Kurse“) zumindest Kontinuität für Tage ohne Lehrvideo herzustellen? Ein erster Live-Stream, der genau danach aussieht, erschien am 29. Juli. Ein schönes Titelbild, aber im Video nur das Lichess-Brett, kein Gesicht, keine Stimme, kein Chat mit den Zuschauern, dasselbe Szenario wie am vergangenen Samstag.

Schlag’ mich, gewinn meinen Kurs: Youtube-Livestream von Lichess am 29. Juli. Kein Ton, kein Chat, nur das Brett und nach fast jedem Zug ein stillstehender Mauszeiger. In den Tagen danach erschienen weitere solcher Livestreams.

In ihrer Mitteilung lässt Pähtz offen, warum andere Zugriff auf ihr Lichess hatten, und sie erweckt den Eindruck, dass sie von den fehlgeleiteten Versuchen, ihrem Youtube-Kanal zu helfen, nichts wusste. Wenn stimmt, was sie mitteilt, hat die Youtuberin Elisabeth Pähtz zwei Wochen lang nicht in ihren Youtube-Kanal geschaut und die Schachspielerin Elisabeth Pähtz zwei Wochen lang nicht in ihren Lichess-Account (einer von zweien, der andere hat zuletzt vor drei Wochen eine Partie gespielt).

Welcher Art des Cheatings genau Lichess ElisabethPaehtz85 bezichtigt, ist weiterhin unklar. Aber nach Aussagen aus ihrem Umfeld erscheint es unwahrscheinlich, dass durchgängig Engine-Hilfe im Spiel war. Punktuell vielleicht. Aber eher ist der Account durch irrationales Spiel aufgrund vieler Beteiligter, womöglich auch durch den starren Mauszeiger nach eigenen Zügen auf die rote Liste geraten.

Aber es war ja gut gegangen bis zu jenem Samstag. Und bevor wir jetzt zum Diagramm oben zurückkommen, stellen wir uns eine Gruppe Schachfreunde vor, die einen geselligen Samstagabend verbringt und nebenbei gemeinsam die Titled Arena spielt. Ein Großmeister ist dabei, am Rechner sitzt ein ordinärer Vereinsspieler, der meistens die vom GM angesagten Züge ausführt (und hinterher zum Glas greift?).

Dann steht diese Stellung auf dem Brett:

Mit …Lg5 möchte sich der GM entlasten, dieses Manöver gilt es vorzubereiten.

„Springer h7“, sagt der Großmeister.

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Olaf Steffens
Olaf Steffens
3 Jahre zuvor

Tja, nicht ganz fair, nicht ganz fein – vielleicht haben sich viele Leute einen Ast gefreut, wenn sie gegen “Elisabeth Pähtz” online gewonnen haben, und nun stellt sich heraus, dass es – hach – leider nur ein paar hinter ElisabethPaehtz95″ verschanzte Trantüten waren, die man da besiegt hat. Eigentlich eine sehr unschöne Tour. Da sagt man, “Vielen Dank für gar nichts, Elisabeth”. “Mir fehlen die Worte, um meine Bestürzung, mein Bedauern und mein Mitgefühl gegenüber den Empfängern der Botschaften auszudrücken, die von meinem Konto versandt worden sind. Den Schmerz und den Kummer, den sie erlitten haben müssen, kann ich nicht… Weiterlesen »

acepoint
3 Jahre zuvor

«Aber nach Aussagen aus ihrem Umfeld erscheint es unwahrscheinlich, dass Engine-Hilfe im Spiel war.» Sorry, aber ich kaufe die so erzählte Geschichte nicht. Mag sein, dass es in dem besagten Turnier an dem einen Abend mit den von Deinem Kontakt analysierten 17 Partien so war. Mag auch sein, dass Du für die Geschichte nur zu diesem Abend recherchiert hast. Aber ich bin schon nach einer groben Analysen mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit 😉 der Überzeugung, dass der Account auf Lichess – wer auch immer da in den letzten 14 Tagen gespielt hat – zwischenzeitlich Engineunterstützung hatte. Ich bin jetzt zu… Weiterlesen »

Last edited 3 Jahre zuvor by acepoint
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[…] Siege zum Auftakt der Vorrunde, zu denen Lara Schulze am ersten Frauenbrett ihren Teil beitrug (Elisabeth Pähtz setzte zum Auftakt aus). Gegnerinnen mit bemerkenswerten Geschichten saßen ihr gegenüber, allen […]

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[…] Der hat auf Nachfrage dieser Seite nun ein zweites Mal gesagt, dass es im Zusammenhang mit dem Lichess-/Youtube-Vorfall keine Sanktion der FIDE gegen Elisabeth Pähtz gegeben […]

trackback

[…] Der Fall Pähtz […]

Krennwurzn
Krennwurzn
3 Jahre zuvor

Dass 14 Tage EP und niemand aus dem Umfeld merkt, dass Fake-Games und Fake-Videos hochgeladen werden…

Extrem schräg – kann man das erfinden? Oder ist es banal die Wahrheit?

Simon
Simon
3 Jahre zuvor

Warum wird hier so ein Geschiss gemacht ? Wenn das Programm festgestellt hat sie hat gecheatet ist das so. Bei anderen Spielern wird auch nicht Tagelang versucht irgendwelche kruden Theorien zu entwickeln. Ich erinnere nur an den Cheatingfall in DSIM, dort wurde nicht ewig rumgelabert

Wenn das Program es meint hat es wohl recht ansonsten ist online Schach nicht möglich!

Stark
Stark
3 Jahre zuvor

Ich habe zwei Videos von Elisabeth Pähtz angesehen, die fand ich in Ordnung. Ihr Gesicht, ihre Stimme, der Inhalt. Dann habe ich einmal kurz in eines dieser Lichess Videos hineingezappt, das war schon sehr seltsam. Aber was da oben angedeutet wird, das geht gar nicht. Ich gebe doch nicht die Kontrolle über meine Accounts auf, auch wenn ich vielleicht keine Zeit oder keine Lust habe, neue Sachen zu erstellen. Transparenz und Vertrauen ist alles. Schöne Freunde sind das!

Sven
Sven
3 Jahre zuvor

Wenn ich das so lese, kommt mir in den Sinn, das die Erde vielleicht doch eine Scheibe ist ?!

Klaus Fischer
Klaus Fischer
3 Jahre zuvor

Ich benutze seit vielen Jahren eine Marble Mouse. Da ist es völlig normal den trackball nach einer Aktion loszulassen, was natürlich zu einem “starren” Mauszeiger führt. Wenn eine software dies als Indiz für cheating wertet, dann taugt sie nichts!

Fernando Offermann
3 Jahre zuvor

Um mit Giri und Carlsen zu sprechen: “I don’t buy it.” Aber der Versuch, das mit der geselligen Runde irgendwie menschlich zu verpacken, ist rührend – und dennoch wäre es Betrug.

Erklärbär
Erklärbär
3 Jahre zuvor

Erfolgreich einen mehrfachen Betrugsfall zu einer rührseligen Geschichte um die arme Fr.Pähtz umgedichtet, und nebenbei noch das erschreckend offensichtliche Enginecheating verneint. Warum?

Last edited 3 Jahre zuvor by Erklärbär
insorge64
insorge64
3 Jahre zuvor

1. Runde bei der Olympiade gewonnen. Filiz und Lara haben beide gepunktet. Spätestens im Finale gegen stärkere Gegner wird Elli natürlich trotzdem fehlen.

Walter Rädler
Walter Rädler
3 Jahre zuvor
Detlef Kleinelsen
Detlef Kleinelsen
3 Jahre zuvor

Um mit Carlsen und Giri zu sprechen: Carlsen: “My opponent is an idiot till proven otherwise!”
Giri: “I treat myself as an idiot till proven otherwise” Jeder kann sich also auswürfeln, wecher Sichtweise er für sich einnehmen möchte. Ich schlage jefenfalls vor, das man grds aufpassen sollte wie man über menschliches Verhalten philosophiert – unabhängig ob was dran ist oder eben nicht. Je nach Wortwahl könnte man sehr schnell einen Menschen verletzen, der grds nicht besser oder schlechter als man selber ist. “Bullet” war noch nie mein Ding…

Hobbyspieler
3 Jahre zuvor

Ein weiteres Kapitel aus der nicht enden wollenden Rubrik “Cheating im Schach”. Vor einigen Wochen habe ich einen alten lichess-Account von mir angeschaut. In der Zwischenzeit wurden 1/3 aller Spieler, gegen die ich verlor, als Cheater markiert oder die Konten geschlossen. Darüber, ob Frau Pähtz selbst betrog (glaube ich weniger) oder ihre Helfer (mit ziemlicher Sicherheit) kann man streiten. Für mich steht es aber fest, dass sie die Fans betrogen hat, wenn sie es zulässt, dass eine unbekannte Anzahl von Personen über ihre Accounts spielt, streamt und damit Fans glauben lässt, sie würde selbst spielen. Das wäre so, als würden… Weiterlesen »

Birger
Birger
3 Jahre zuvor

Unglaublich! Das ist komplizierter als wir gedacht haben! War das Levon Aronian ? Wow!
https://lichess.org/forum/general-chess-discussion/personal-statement-of-elisabeth-pahtz?page=11

Birger
Birger
3 Jahre zuvor

Für alle, die das verpasst haben : ”Guys i have more interesting information for you, I made a deep investigation and came to the conclusion that the guy who was playing the lichess titles arena was non other than Levon Aronian ! i know it sounds crazy, but I can almost prove it using Facts only! Here is why: First of all, back to the Plastic surgeon, the main charachter of this complex story- here are some more Information I could get about him using Google and his private social media accounts – Academic Background : A Medical Degree from… Weiterlesen »

Wolfgang Gusse
Wolfgang Gusse
3 Jahre zuvor

Ich verstehe die ganze Aufregung um diese belanglose Frau einfach nicht?
Einfach ignorieren, dann erledigt sich das Thema E. Pähtz von ganz alleine. Niemand wird sie vermissen, im Gegenteil!