Von Anand und La Bourdonnais lernen

Hallo Maxim, toll, dass du jetzt dein erstes Open spielst. Wettkampf ist das beste Training! Viel Erfolg beim Wasserschloss-Open in Inzlingen. Am Bodensee fiebern wir mit, dein Vorturner allen voran. Vielleicht kriegen wir es ja hin, dass beim nächsten Turnier noch einer oder zwei von den anderen Jungs mitfahren. In der Gruppe macht’s noch mehr Spaß.

Deine Mama hat mir das Formular deiner erste Partie geschickt. 60 Züge! Boah, so eine lange Schlacht. Und ich habe gehört, dass du sogar mehr als 30 Minuten Bedenkzeit für deine 60 Züge verbraucht hast. Super!

Die meisten deiner 60 Züge waren auch super. Aber an ein paar Stellen hättest du noch bessere Züge machen können. Lass’ uns kurz reingucken:

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Du kennst ja schon eine Menge Eröffnungsprinzipien. Figuren entwickeln, König in Sicherheit, nicht ohne Bauern im Zentrum dastehen, hast du alles schon gehört. Hier kommt noch eines, das haben wir so deutlich noch nie benannt:

Eine schon entwickelte Figur ziehen wir in der Eröffnung kein zweites Mal. (Außer es ist gut, natürlich 😉 )

Hier hast du 7.La4-b3 gezogen. Hmm. Klar, der Läufer guckt schön ins schwarze Lager auf den kritischen Punkt f7. Aber wenn Schwarz den Läufer würde loswerden wollen, er könnte einfach 7…Sc6-a5 spielen und ihn wegtauschen. Dein Zug bereitet Schwarz keine Sorgen, zwingt ihn nicht zu Zugeständnissen.

Wahrscheinlich hat sich Schwarz sogar insgeheim gefreut, dass du Zeit verschwendest, anstatt deine Figuren zu entwickeln. Der Sb1 und der Lc1 warten ja noch darauf, dass sie auch mitspielen dürfen.

Statt um den Sb1 und den Lc1 hättest du dich auch ums Zentrum kümmern können.

Hast du schon einmal den Namen “Viswanathan Anand” gehört? Anand ist in Indien ein Volksheld, weil er so toll Schach spielen kann. Anand war Weltmeister und ist sogar heute noch, mit 50, einer der besten Schachspieler überhaupt.

1987 bei der Jugendweltmeisterschaft hatte Visvanathan Anand nach sechs Zügen die gleiche Stellung auf dem Brett wie du gestern in Inzlingen. Anand hat sich für 7.c2-c3 entschieden. Das bereitet d3-d4 vor und stellt den schwarzen Springer auf c6 kalt. Der hat nämlich plötzlich kaum noch Felder, auf die er springen könnte.

Nach 7.c2-c3 hat Anand seinen b1-Springer nach d2 entwickelt (damit e4 gedeckt ist), dann hat er d3-d4 gespielt. Als der indische Trainer das sah, hat er sich gefreut, dass Anand sich so ein schönes Zentrum baut.


Da hat sich Schwarz doch tatsächlich deinen Läufer auf b3 einverleibt. Drei Züge hast du investiert, um ihn dahinzustellen, jetzt ist er weg, und du stehst vor der Frage, wie du zurückschlagen sollst.

Mit dem a-Bauern oder mit dem c-Bauern? Auch dafür gibt es eine einfache Faustregel:

Im Zweifel schlagen wir immer Richtung Zentrum.

Das Zentrum ist der wichtigste Schauplatz auf dem Schachbrett, dort wollen wir stärker sein als unser Gegner. Je mehr unserer Puppen Richtung Zentrum wirken, desto besser.

Natürlich gibt es auch zu dieser Regel Ausnahmen, darum ist Schach so schwierig, aber hier ist der Fall klar. Es gibt keinen Grund, mit dem c-Bauern auf b3 zu schlagen, aber einen, vielleicht sogar zwei, mit dem a-Bauern zu schlagen: Zentrumskontrolle.

Außerdem öffnen wir unseren a-Turm die a-Linie. Wer weiß, was der Turm dort noch anstellen kann. Türme lieben offene und halboffene Linien, das weißt du ja.


Unsere Türme mögen es, wenn sie einander anschauen können. Darum versuchen wir in fast jeder Partie nach der Eröffnung, unsere Türme zu “verbinden“. Das hast du hier super gemacht.

Sind die Türme verbunden, taucht eine Frage auf, die ist manchmal so schwierig zu beantworten, dass sogar Visvanathan Anand ganz schön grübeln muss:

Wohin mit welchem Turm?

Dein Bauer auf e5 hängt, so weit ist das klar. Aber mit welchem Turm sollst du ihn decken? Mit dem auf c1 oder mit dem auf f1?

Wenn du den Link oben anklickst, dann stellst du fest, dass dein Schachfreund Konstantinos neulich in einer ganz ähnlichen Situation vor derselben Frage stand. Und du wirst sehen, dass fast 200 Jahre vor Maxim und Konstantinos der Schachmeister La Bourdonnais aus Frankreich diese Frage auch beantworten musste.

Sorry, Maxim, der Ton ist nicht so gut. Das war eines der allerersten Videos auf unserem Youtube-Kanal, aufgenommen mit einem ganz einfachen Mikrofon.

Was damals La Bourdonnais gemacht hat, davon könnt Ihr beide heute noch lernen. La Bourdonnais hat nämlich verstanden, dass der weiße Plan darin bestehen muss, seinen f-Bauern bis f5 zu treiben. Dann kann sich Weiß entweder per e5-e6 einen Freibauern bilden oder per f5-f6 den schwarzen Königsflügel aufmischen. Nur mit diesem Plan kommt Weiß in dieser Stellung weiter.

Wenn wir zwei unserer Bauern ins gegnerische Lager treiben wollen, dann geht das viel besser, wenn sie von hinten von Türmen angeschoben werden. Und schon wissen wir, wohin mit welchem Turm:

Wir ziehen Tc1-e1, dann f2-f4, dann f4-f5, und dann schauen wir mal.


Zum Schluss noch eine kleine Taktikaufgabe. Mit deinem Rating von fast 2000 beim Lichess-Taktiktraining sollte das kein Problem sein.

Erinnerst du dich? Du hast hier 40.De3-a7 gezogen, dann kam 40…De4-d4+, die Damen wurden getauscht, und du hattest ein verlorenes Turmendspiel auf dem Brett.

Weiß am Zug rettet sich.

Schöne Grüße vom Bodensee und viel Erfolg noch!


Schachlektionen von einem Weltmeister: Zu seinem 50. Geburtstag hat Viswanathan Anand dieses Buch geschrieben, in dem er sein Schachleben in Lektionen unterteilt, die er in all den Jahren gelernt hat. Prädikat: besonders wertvoll.
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