Im Eishockeystadion knapp am GM-Titel vorbeigeschrammt

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Christopher Noe.

Es fehlte nicht viel, dann hätte es seit diesem Wochenende einen Schachgroßmeister mehr in Deutschland gegeben. Einen Tag, nachdem sich IM Vincent Keymer in Helsingor seine zweite GM-Norm gesichert hatte, trumpfte beim Open in Pardubice IM Christopher Noe auf: 7 Punkte aus 9 Partien, Elo-Leistung 2.616 gegen einen Schnitt von knapp 2.400. Noe hat schon zwei Normen, dieses wäre seine dritte und damit der Titel, aber eine Feinheit im Regelwerk der FIDE sorgt dafür, dass sich der 22-Jährige vom SC Eppingen noch gedulden muss.

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Eine Leistung von über 2.600 und ein Gegnerschnitt von mehr als 2.380 über neun Partien allein reichen leider nicht aus. Außerdem müssen unter den neun Gegnern mindestens drei Großmeister sein, damit das Ergebnis als GM-Norm zählt. Bei Noe war es leider – keiner. Großmeisterlich war seine Leistung dennoch, nicht spektakulär, aber durchgehend solide. Noe ließ in neun Partien nichts anbrennen und nutzte Chancen, sobald sie sich boten. Platz drei in einem vor allem in der Breite enorm stark besetzten Turnier bescherten ihm zwar nicht den ersehnten Titel, aber immerhin 25.000 tschechische Kronen.

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Schachfestival im Eishockeystadion von Pardubice.

Traditionell reist seit Jahrzehnten jeden Sommer eine große deutschsprachige Delegation ins Nachbarland zum Riesenturnier im Eishockeystadion. Roven Vogel, ein weiterer Normjäger, schied leider nach sechs Runden mit vier Punkten aus. Großmeister Philipp Schlosser hielt sich stets im Windschatten der Spitzenplätze auf, doch er verpasste den Sprung nach ganz oben. Mit 6,5 Punkten wurde er am Ende 20., hatte aber eine der knackigsten Kombinationen des Turniers gespielt:

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Philipp Schlosser – Mikulas Manik, Pardubice, 24. Juli 2018

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Nach 1.Th7+ Kxh7 2.Dxf7+ Kh6 (2…Kh8 3.Th5+ usw.) 3.Te1! zappelt der schwarze König im Mattnetz.

Der Endstand in Pardubice:

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Das Xtracon-Open in Helsingor

Beim an der Spitze deutlich stärker besetzten Xtracon-Open im dänischen Helsingor spielten bis zum Schluss zwei Deutsche um den Turniersieg, GM Rasmus Svane und Vincent Keymer. Neben diesen beiden waren auch in Dänemark zahlreiche Schachfreunde aus Deutschland am Start. Zwischendurch schickten sich die FM Frank Sawatzki und Frank Buchenau an, ebenfalls ganz oben mitzuspielen, aber beiden ging am Ende die Luft aus. Sawatzki musste sich in der sechsten Runde von Rasmus Svane eine Eröffnungslektion erteilen lassen:

Rasmus Svane – Frank Sawatzki, Helsingor, 25. Juli 2018

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Nach 11.e6! steht Schwarz schon fast auf Verlust, weil sein Königsflügel lahmgelegt ist. Er würde sich ja gerne per 11…fxe6 12.Lc3 Tg8 nebst …g6 befreien, aber das geht nicht, weil Weiß per f3 und g4 den Lf5 nach g6 treiben kann.

In der vorletzten Runde vergab GM Rasmus Svane am Spitzenbrett einen Matchball gegen Norwegens Nummer zwei GM Jon Ludvig Hammer, der ihm die alleinige Tabellenführung beschert und den späteren Turniersieger zurückgeworfen hatte.

Rasmus Svane – Jon Ludvig Hammer, Helsingor, 28. Juli 2018

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Ein mutiges Qualitätsopfer. Den Tc5 lässt Weiß angesichts der potenziellen schwarzfeldrigen Schwächen des Schwarzen gerne einstehen. Hammer bediente sich auf c5, geriet danach in arge Verlustgefahr, aber kam so gerade noch davon.

Die Partie wurde remis, und so lagen nach 9 von 10 Runden Rasmus Svane und Vincent Keymer mit 7,5 Punkten auf dem fünfgeteilten ersten Platz – zusammen mit drei anderen Edelschächern: der ehemalige WM-Kandidat und 2.700+-GM Dimitri Andreikin, Jugendweltmeister GM Aryan Tari sowie Magnus Carlsens Jugendfreund und Sekundant Jon Ludvig Hammer.

Revanche für die Europameisterschaft

In der zehnten Runde hatten beide Schwarz: Keymer gegen Hammer und Svane gegen den amtierenden Europameister GM Ivan Saric aus Kroatien – eine Gelegenheit zur Revanche für eine der zentralen Partien der jüngsten EM. Dort hatte Saric einen überambitioniert agierenden Svane ausgekontert, die Ambitionen des jungen Deutschen damit beendet und danach selbst das Turnier gewonnen. Anschließend beklagte sich Bundestrainer Dorian Rogozenco öffentlich, Svane habe seinen Rat ignoriert und die Partie zu scharf angelegt.

Dieses Mal lief es besser. Zwar verwaltete Saric für lange Zeit einen symbolischen Vorteil, aber Svane ließ nichts anbrennen und führte die Partie sicher zur Punkteteilung. Das bedeutete 8/10, Platz drei und 14.000 dänische Kronen.

Eine Lektion in professionellem Anti-Wunderknaben-Schach

Keymer bekam derweil von Jon Ludvig Hammer eine Lektion in professionellem Anti-Wunderknaben-Schach erteilt. Hammer vermied alle Verwicklungen. Stattdessen strebte er von Beginn an einem Endspiel mit Mini-Vorteil entgegen. Nach 24 Zügen zum Beispiel fand sich Keymer an dieser Weggabelung wider und hatte eine unschöne Entscheidung zu treffen.

Jon Ludvig Hammer – Vincent Keymer, Helsingor, 29. Juli 2018

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Das Bauernendspiel nach 1…Td7 2.Txd7 Kxd7 3.Kd5 ist verloren. Keymer schätzte das korrekt ein und hielt sich an die alte Regel, im Zweifel aktiv zu verteidigen. Aber auch das Turmendspiel nach 1…Td2 ist kritisch für Schwarz. Vielleicht könnte es eine Maschine remis halten, aber Keymer gelang das nicht.

Vielleicht war das Turmendspiel theoretisch zu halten, aber in der Praxis setzte sich Hammer durch. Keymer kann sich gleichwohl über ein großartiges Turnier, seine zweite GM-Norm und 21 Elopunkte freuen. Auch Rang zehn im Endklassement ist respektabel, und das umso mehr, wenn wir uns anschauen, wer auf Platz 11 und 12 gelandet ist:

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Mitte August reist der deutsche Schachtross zum Open in Barcelona weiter. Dort werden unter anderem die deutsche Nummer eins Liviu-Dieter Nisipeanu und Vincent Keymer am Start sein. Für Nisipeanu die Chance, sich von seinen desaströsen Dortmunder Schachtagen zu erholen, für Keymer eine weitere Gelegenheit zur Normjagd.

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Thomas Richter
Thomas Richter
5 Jahre zuvor

Wie/warum ist das mögliche Bauernendspiel in Hammer-Keymer verloren? Überraschend ist/wäre es nicht, aber ich sehe es nicht (auch nicht mit etwas Engine-Hilfe).
Im Turmendspiel bot 33.-Te4 und dann mit dem König Richtung a-Linie laufen eventuell noch Remischancen, schwarze Turmschachs halfen nur dem Gegner.
Kritisch (im Nachhinein) war vielleicht bereits, Semi-Tarrasch zu wiederholen. Das brachte Keymer ein recht lockeres Schwarzremis gegen Agdestein, aber Hammer war vorbereitet – mit einem seltenen aber wie die Partie zeigte nicht ungiftigen Abspiel.