Den Deutschland-Vierer durchs Turnier gezogen

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Weil Roven Vogel am ersten Brett für Deutschland alles abräumte, was sich ihm in den Weg stellte, spielte seine Mannschaft bis zur vorletzten Runde um die Goldmedaille mit. Ausgerechnet an seinem 18. Geburtstag im vorgezogenen Endspiel gegen Rumänien setzte es dann die erste Niederlage für ehemaligen U-16-Weltmeister. (Foto: Klaus Steffan, Turnierseite)

Mit einem Sieg gegen Polen in der fünften Runde sicherten sich die deutschen Jungs bei der U-18-Mannschafts-EM in Bad Blankenburg ein vorgezogenes Endspiel um die Goldmedaille gegen Rumänien (das leider verloren ging). Bis dahin hatte Roven Vogel am Spitzenbrett seine gelegentlich wackelnden Kollegen durchs Turnier gezogen. Nach diesem feinen Sieg über die polnische Nummer eins standen für Roven 4,5 Punkte aus fünf Partien zu Buche.

Roven Vogel (2.467) – Igor Janik (2.420)
U18-Mannschafts-EM Bad Blankenburg, 16. Juli 2018,
Slawisch (Tschebanenko) 

1. c4 c6 2. d4 d5 3. Nf3 Nf6 4. Nc3 a6

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Der gute, alte Tschebanenko-Slawe kommt mit dem guten, alten c4-c5-Dilemma daher.

5. Qb3

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Eine seltene Fortsetzung. Was die Dame auf b3 leisten soll (außer c4 decken) ist nicht offensichtlich. Klar, der Lc8 kann nicht ziehen, aber Schwarz hat bei Bedarf stets …b5 oder …dxc4 nebst …b5 im Arsenal, um diesen Missstand zu beseitigen. Vogel stand wahrscheinlich noch unter dem Eindruck einer Partie aus dem Mitropa-Cup Anfang Juni, in der er 5.Db3 aus der schwarzen Perspektive sah und Schiffbruch erlitt. (Wer sich generell fragt, was gegen den Tschebanenko-Slawen zu tun ist, der findet am Ende dieses Beitrags eine Anregung.)

5… e6

(5… dxc4 6. Qxc4 b5 7. Qd3 e6 8. e4 c5 9. dxc5 Qxd3 10. Bxd3 Bxc5 11. e5 Nfd7 12. Be4 Ra7 war in der Partie Moroni-Vogel Anfang Juni moderat besser für Weiß, aber viel los war trotzdem nicht.)

6. Bg5 b5 7. cxd5 cxd5 8. Ne5 Be7 9. e3 O-O

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10. Be2

Das aktivere 10. Ld3 spielte hier unter anderem Vogels langjähriger Trainer GM Henrik Teske. Vogel wollte womöglich sicherstellen, dass er seinen schwarzfeldrigen Läufer per Lf4 und h3 auf der Diagonalen h2-b8 installieren kann, ohne dass ihm der Schwarze per …Sh5 dazwischenfunkt.

10… h6 11. Bf4

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11… Bd7

Auf d7 sieht der Läufer ungelenk aus, aber so entstehen auf der b-Linie keine Fesselungen wie zB nach 11…Lb7 12.a4 b4, die Weiß nutzen könnte, um den weißen Damenflügel aufzuweichen.

12. O-O

Generell stellt sich für den Weißen die Frage, wo er kurz- und mittelfristig eigentlich spielen will. Die Struktur ist so symmetrisch wie flexibel. Vorgehen am Damenflügel/auf der c-Linie bietet sich an, aber die Stellung erlaubt auch zentrale Ambitionen mit f3/e4 oder Spiel am Königsflügel, für das allerdings die (auf b3 ohnehin unbeschäftigte) Dame auf die andere Hälfte des Brettes überführt werden müsste.

12… Nc6 13. Rfc1 Rc8 14. Qd1 Qb6 15. Bd3

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Der Königsflügel soll es also sein, und der nächste Zug des Schwarzen spielt dem Weißen in die Karten.

15… Nxe5 16. dxe5

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Jetzt steht der Ld7 tatsächlich schlecht, denn er blockiert dem Sf6 das einzig gute Rückzugsfeld. Also muss der sich zwischen den beiden schlechten entscheiden.

16… Nh7 17. Qg4

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17… f5

Einziger Zug, um die weißen Drohungen zu parieren.

18. Qg6

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Wieder droht Weiß 19.Sxd5 und 19.Lxh6, aber Schwarz findet eine tückische Verteidigung. Interessant wäre zu erfahren, ob Vogel 18.Dg6 einfach nur gespielt hat, weil es der einzig konsistente Zug ist, oder ob er die Konsequenzen von 18…Txc3 kalkuliert und tatsächlich die Stellung nach 21… Kh8 als als günstig für Weiß eingeschätzt hat. Letzteres wäre aus der Perspektive eines Otto-Normal-Patzers ganz schön beeindruckend.

18… Rxc3

(18… Qb8 ist wahrscheinlich das Präziseste, nimmt beide weißen Drohungen aus der Stellung. 19. Bxh6 Qxe5 sähe sehr in Ordnung für Schwarz aus. Die weiße Armee ist eher in einzelne, kleine Trupps aufgeteilt, anstatt zusammenzuarbeiten, und Schwarz dominiert das Zentrum.)

19. Rxc3 Be8 20. Qg3 g5

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Und plötzlich zeigt sich, dass Schwarz zwei Figuren für den Turm bekommt.

21. Rac1 Kh8 22. h4 gxf4 23. Qxf4 Rg8

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24. Be2

Nimmt erst einmal …Tg4 aus der Stellung. Der Läufer biss ohnehin auf Granit, und jetzt hängt h6 tatsächlich. Weiß hat dank seiner Aktivität und der fehlenden schwarzen Koordination gutes Spiel für das moderate materielle Minus. Aber viel mehr als das hat er eben nicht, so lange nicht die Türme via c7 oder c8 eindringen und den Schwarzen ernsthaft belästigen können. Darum ist es für Schwarz wichtig, sich stets die Optionen …Ld8 und …Ld7 offen zu halten, um alle Einbruchsfelder auf der c-Linie zu kontrollieren.

(24. Qxh6?! Rg6 25. Qf4 Rg4 wäre eher günstig für Schwarz. So lange der Nachziehende die weiße Dame von seinem König fernhalten kann, stört ihn die weiße Herrschaft auf der c-Linie und ein potenziell auf c8 oder c7 eindringender Turm nicht so sehr.)

24… Bf8?

Deckt h6, aber das verkennt die Prioritäten. Jetzt kann sich dauerhaft ein weißer Turm auf c7 einnisten, und das führt schon fast zu einer weißen Gewinnstellung.

(24… h5 und es ist nicht klar, wie es für Weiß weitergeht. Nach zum Beispiel 25. Rc8 Bd8 26. Qh6 Rg6 27. Qxh5 Rxg2+ 28. Kxg2 Bxh5 29. R1c6 Qxc6! 30. Rxc6 Bxe2 31. Rc8 sollten die zwei schwarzen Figuren gegen den Turm sicherstellen, dass Schwarz das Endspiel nicht verliert.)

25. Rc8 Bd7 26. R8c7 Rg7

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27. Bh5

Logisch. Der Le2 spielte nicht mit, also führt ihn Weiß ans Kampfgeschehen heran.

Interessanterweise verlangt die Engine an dieser Stelle, den Plan zu ändern, und gibt 27.Qd4 als klar besten Zug für Weiß. Ob Schwarz nun die Damen tauscht oder nicht, Weiß wird sich in der Folge über den schwarzen Damenflügel hermachen (und womöglich gar per Da7 auf der siebten Reihe verdoppeln). Schwarz steht mit seinen am Königsflügel hilflos verknoteten Truppen wehrlos da.

27… Kg8 28. Kh1 

Nimmt das Abzugsschach …Txg2+ aus der Stellung.

28… b4 29. Qxh6 Qb5 30. Bg6 Qe2

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…b4, …Db5 und …De2 verkraftet die ohnehin kaum zu verteidigende schwarze Stellung nicht mehr. Anstatt nach Gegenspiel zu fischen, wo keines ist, hätte der Schwarze seine Dame zum Königsflügel überführen sollen, damit sie hilft, den Laden zusammenzuhalten. Jetzt ist es unmittelbar aus.

31. Rxd7! Rxd7 32. Rc8

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nebst Matt in sieben. Schwarz gab auf.

1-0

Wer gelegentlich mit dem Tschebanenko-Slawen konfrontiert wird und nicht weiß, was er dagegen machen soll, der möchte sich vielleicht bei Boris Gelfand Rat holen? Das anspruchsvolle, großartige “Positional Decision making in chess” ist gespickt mit Tschebanenko-Partien, in denen Gelfand die weißen Steine führt.

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[…] U-18-Konkurrenz ins Rennen gegangen. Aber nur weil in den ersten Runden Roven Vogel am Spitzenbrett seine schwächelnden Jungs durchs Turnier zog, kamen die Deutschen in die Nähe der Goldmedaille, sicherten sich sogar ein vorgezogenes Endspiel […]

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[…] eine große deutschsprachige Delegation ins Nachbarland zum Riesenturnier im Eishockeystadion. Roven Vogel, ein weiterer Normjäger, schied leider nach sechs Runden mit vier Punkten aus. Großmeister […]